Vom Brandenburger Tor bis zur gläsernen Decke: Der frühere US-Präsident Obama befragt Merkel zu ihren Memoiren. Die Ex-Kanzlerin antwortet. Doch ihre Beziehung war nicht immer so entspannt wie heute.
Ob es die Neugierde auf
"We love you", ruft jemand im Publikum, als sich der frühere US-Präsident und die Altkanzlerin unter grossem Applaus in zwei Sesseln vor dunkelblauem Vorhang niederlassen. Gemeint ist Obama. "Ich bin nicht
"Nett und freundlich", aber "zurückhaltend", so beschreibt der frühere US-Präsident Barack Obama Angela Merkel. "Ich würde sagen, du bist nicht unbedingt ein extrovertierter Mensch", sagt der 63-Jährige scherzhaft an die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin gerichtet. Auf der grossen Bühne in Washington wird viel gelacht – und es werden alte Missverständnisse ausgeräumt. Aber längst nicht alles kommt zur Sprache.
Die ehemalige CDU-Vorsitzende hatte vergangene Woche ihre Memoiren mit dem Titel "Freiheit. Erinnerungen 1954 - 2021" vorgestellt. Nun ist sie in die USA gereist und niemand Geringeres als der ehemalige US-Präsident Obama löchert die 70-Jährige nun vor einem ausverkauften Saal mit Fragen. Zwei Sessel, zwei kleine Tischchen – Merkel im klassischen weissen Blazer, Obama im dunklen Anzug: So sieht die Bühne aus, auf der sonst eigentlich grosse Bands spielen.
Obama: Merkel ist eine "sehr präzise Person"
Die 70-jährige Altkanzlerin spricht Deutsch. Obama sagt, ihr Englisch sei exzellent, aber da sie "eine sehr präzise Person" sei, werde simultan übersetzt. Acht Jahre lang bildeten der erste schwarze US-Präsident und die erste Frau im Kanzleramt zwischen Washington und Berlin ein ungleiches, aber gut funktionierendes Gespann: Auf der einen Seite der glänzende Redner mit den grossen Ideen, auf der anderen Seite die nüchterne Pragmatikerin mit der grossen Durchsetzungskraft, im Weissen Haus ein liberaler weltoffener Politiker, in Berlin ein Hort der Stabilität.
Als Obama 2009 sein Amt antrat, war Merkel schon da, als er 2017 abtrat, war Merkel noch immer da. "Sie hat vier US-Präsidenten, vier französische Präsidenten und fünf britische Premierminister erlebt", sagt Obama. Das Comeback von Donald Trump, der auf Obama folgte und Merkel in seiner ersten Amtszeit wie kaum ein anderer ausländischer Politiker zuvor beleidigte, wird mit keinem Wort erwähnt.
Warum durfte Barack Obama 2008 nicht vor dem Brandenburger Tor sprechen?
Lieber gemeinsame Erinnerungen aufwärmen, etwa daran, wie Merkel 2008 dem damaligen Hoffnungsträger der Demokratischen Partei verwehrte, vor dem Brandenburger Tor eine Rede zu halten. Stattdessen sprach Obama in Berlin an der Siegessäule vor mehr als 200.000 Menschen. "Ich glaube, Angela wollte zu Recht darauf achten, dass nicht der eine oder andere Kandidat bevorzugt wird. Und so waren einige der Sehenswürdigkeiten verboten", erzählt der Demokrat augenzwinkernd – und nutzt das deutsche Wort "verboten". Merkel sei dann nach seinem Wahlsieg nicht sicher gewesen, ob er sauer darüber sei. "Das war ich wirklich nicht, aber sie war immer besorgt, dass ich wütend bin."
Merkel schüttelt den Kopf: "Nee, jetzt kommt meine Version der Geschichte." Sie habe an diesem besonderen Ort der deutschen Geschichte keinen Präzedenzfall schaffen wollen, "denn dann wäre morgen der russische Präsidentschaftskandidat und dann der vietnamesische Kandidat gekommen". Später, als Präsident, habe Obama dann ja eine schöne Rede vor dem Brandenburger Tor halten können. Aber niemand habe damals ihre Haltung verstanden, sagt Merkel. "Das war nicht leicht."
Obama schätzte unter anderem Merkels Humor, die beiden Politikveteranen spielen sich auch an diesem Abend die Bälle zu. Doch auch bei ernsteren Themen wie dem Umgang mit der Finanzkrise, sagt Obama, sei es immer kollegial zugegangen. Man habe nie die Stimme erhoben, aber manchmal die Stirn gerunzelt, scherzt er. Auch Merkel sagt, es sei nicht immer alles eitel Sonnenschein gewesen.
Worüber die beiden bei dem gemeinsamen Auftritt in Washington nicht sprechen: 2013 war bekanntgeworden, dass der US-Geheimdienst NSA über Jahre Merkels Handy ausspioniert hatte. "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht", hatte sich Merkel damals verärgert gezeigt. In ihren Memoiren schreibt sie, sie habe das Obama sehr deutlich am Telefon gesagt und dieser habe versichert, "dass er von der Massnahme nichts gewusst habe und sie für die Zukunft gestoppt sei".
Merkel spricht über Vorbehalte bei ihrer Kanzlerkandidatur
Merkel und Obama kommen aus unterschiedlichen Welten. Der einstige US-Präsident hatte seine Jugend in Hawaii und Indonesien verbracht, studierte in Harvard, war Sozialarbeiter und Bürgerrechtsanwalt in der Metropole Chicago. Merkel ist in Hamburg geboren, in der DDR aufgewachsen, Naturwissenschaftlerin – und dann schliesslich in die Politik gekommen. Doch sie verbindet etwas Bedeutendes: Sie waren beide die Ersten. Merkel war, als sie 2005 gewählt wurde, die erste deutsche Kanzlerin. Obama war nach seiner Wahl 2008 der erste schwarze US-Präsident.
Und so zeigt sich Obama neugierig – fragt sie, wie das damals in der DDR gewesen sei. Sie spricht von einer glücklichen Kindheit – obwohl sie in einer Diktatur gelebt habe. Im Westen, sagt Merkel, verstehe man das nicht immer. Und dann will Obama wissen, welche Bedeutung ihr Frausein an der Macht gehabt habe. "Ich denke jetzt darüber nach, da ich zwei Töchter habe, die in ihrer Mutter offensichtlich ein gutes Vorbild haben", sagt er.
Merkel erzählt, dass sie anfangs ziemlich naiv gewesen sei – aber in der Politik schnell gemerkt habe, dass es eine gläserne Decke gegeben habe. Als sie als Kanzlerin kandidiert habe, habe es Vorbehalte gegeben. Es habe damals in Deutschland noch keine Erfahrung mit Frauen an der Spitze gegeben, sagt sie – und dann ans Publikum gewandt: "Leider haben Sie das auch nicht – da kann man nur auf die Zukunft hoffen."
Noch vor wenigen Wochen machte Obama intensiv Wahlkampf an der Seite von Kamala Harris, die im Falle eines Wahlsieges als erste Frau ins Weisse Haus eingezogen wäre.
Bunte Blazer als Vorteil auf internationaler Bühne
Merkel erzählt weiter, dass sie auf internationaler Bühne manchmal einen Vorteil gehabt habe. Mit ihren bunten Blazern sei sie häufig ein Farbklecks zwischen all den grauen Jacketts gewesen. Es sei aber nicht so einfach gewesen, dorthin zu kommen. Die ehemalige Kanzlerin nennt eine ihrer Gaben, nie etwas zu tun, was man nicht ganz verstehe – stets etwas Bescheidenheit zu bewahren – und dennoch mutig und ehrgeizig zu sein. Obama sagt über die Ex-Kanzlerin: "Sie ist eher die Wissenschaftlerin, es geht um Fakten und Analysen."
Am Ende stört das friedliche Miteinander zwischen Obama und Merkel noch eine schreiende Zuschauerin, die dem Ex-Präsidenten immer wieder ins Wort fällt. Der hat eine Lektion in Demokratie und Respekt parat: "Die Leute sind gekommen, um Angela Merkel zuzuhören, und nicht Ihnen, junge Frau. Sie können Ihre eigene Veranstaltung organisieren."
Merkels 700-Seiten-Buch ist nun in mehr als 30 Ländern auf dem Markt, wer in Washington noch auf den letzten Drücker live dabei sein wollte, musste mehr als 400 Dollar Eintritt bezahlen. Das Buch, das Merkel mit ihrer ehemaligen Büroleiterin Beate Baumann gemeinsam schrieb, sei "sehr harte Arbeit" gewesen, "die ich komplett unterschätzt habe", sagt die Altkanzlerin. Dann ist die Show vorbei: "Danke an das Publikum", ruft sie. "It was wonderful." (AFP/dpa/bearbeitet von tas)
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