Die Griechen haben mit Kyriakos Mitsotakis einen konservativen Technokraten gewählt, der auf grosse Wahlversprechen verzichtet hat. Gerade erst gewählt, legt er ein schwindelerregendes Tempo vor. Er möchte anpacken. Das Volk hat dabei vor allem eine Hoffnung.
Dröhnende griechische Volksmusik, reichlich Essen und ausgelassene Tänze? Fehlanzeige - wer am Sonntagabend in Athen den klaren Wahlsieg der konservativen griechischen Partei Nea Dimokratia mit viel Getöse feiern wollte, wurde enttäuscht.
Bewusst hatte der künftige Premier Kyriakos Mitsotakis die vom Stadtzentrum abgelegene Parteizentrale für seinen ersten Auftritt nach der Wahl bestimmt. Den Ball flach halten, nicht zu viel versprechen und stattdessen die zahlreichen Probleme des Landes wirklich anpacken - dafür haben ihn die Griechen gewählt. Nun erwarten sie mit Spannung, ob er liefern kann.
Ein schwindelerregendes Tempo
Am ersten Tag nach der Wahl jedenfalls gelingt das dem 51 Jahre alten studierten Wirtschaftsanalytiker. Bereits am Montagmittag fand seine Vereidigung als Ministerpräsident statt, anschliessend die Amtsübergabe mit seinem Vorgänger Alexis Tsipras, danach die Vorstellung des Kabinetts.
Am Dienstag soll dessen Vereidigung folgen, am Mittwoch die erste Sitzung - Mitsotakis legt zum Auftakt seiner Amtszeit ein schwindelerregendes Tempo vor. Sogar die im heissen Monat August übliche parlamentarische Sommerpause von vier Wochen hat er abgeblasen - die Parlamentarier werden schwitzen und arbeiten müssen, etliche Gesetzentwürfe sind schon vorbereitet.
Nicht nur darin unterscheidet sich Mitsotakis vom charismatischen Wirbelwind Tsipras. Er gilt als eher knöcherner Technokrat, der sich bisweilen nur widerwillig von begeisterten griechischen Wählern in den Arm nehmen und abküssen lässt.
Gerade aber diese Nüchternheit hat ihn bei der Parlamentswahl zum Sieger gemacht, denn die Griechen haben sich am Sonntag gezielt gegen populistische Versprechen entschieden.
Machtwechsel soll Ende der Krise markieren
Mitsotakis versprach nichts - jedenfalls für griechische Verhältnisse. Erst müsse das Land wirtschaftlich auf die Beine kommen, bevor Löhne und Renten wieder steigen könnten, hatte er stattdessen immer wieder betont.
Vielen Griechen erschien das nach vier Jahren Tsipras nur allzu logisch. Zwar hat sich die einst linksradikale Tsipras-Partei Syriza zur gemässigten Volkspartei gemausert und das Land unter Schmerzen aus den Sparprogrammen geführt - aber selbst das geringste Anzeichen von Populismus sorgte am Ende für Spott.
So etwa, als Tsipras vor der Europawahl im Mai eine zusätzliche Rentenzahlung veranlasste, die von den Griechen zwar gerne angenommen, aber auch klar als Wahlgeschenk erkannt und entsprechend belächelt wurde.
Auf Mitsotakis ruht die griechische Hoffnung, Ordnung in das chaotische Land zu bringen. "Alles riecht jetzt nach Normalität", kommentierte ein politischer Analyst am Montag.
Der Machtwechsel soll das Ende der zehnjährigen Krise markieren, allerdings mit der Erkenntnis, dass Griechenland selbst auf die Beine kommen muss und nicht andere für die eigene Situation verantwortlich machen darf.
Harte Auflagen sollen mittelfristig gelockert werden
Das hat Mitsotakis im Gegensatz zu Tsipras verstanden. Die Gläubiger des krisengeschüttelten Landes, allen voran die Europäische Union, dürften zufrieden sein mit der griechischen Wahl. Der neue Premier ist ein überzeugter Europäer, ebenso wie seine Partei schon immer dezidiert proeuropäisch war.
Nichtsdestotrotz müssen sich die Gläubiger auf Verhandlungen mit Griechenland einstellen. Mitsotakis will die harten Auflagen für das Land mittelfristig lockern, weil er der Ansicht ist, dass sie jedes mögliche Wirtschaftswachstum ersticken. Diese Meinung teilt er mit etlichen internationalen Ökonomen und auch dem Internationalen Währungsfonds.
Allerdings will Mitsotakis nicht wie Tsipras erst fordern und dann liefern, sondern umgekehrt. Er verspricht, zunächst die Bürokratie zu entschlacken, um Investitionen zu erleichtern, sowie die Unternehmenssteuern zu senken.
Greifen diese Massnahmen und nimmt die Wirtschaft an Fahrt auf, will er über die Anforderung der Gläubiger verhandeln und den verlangten Haushaltsüberschuss des Landes von 3,5 Prozent auf 2,5 Prozent senken.
International kommen bereits die ersten Warnungen
"Die hohen Überschüsse bremsen das Wachstum", sagt er, und: "Wenn die Gläubiger sehen, dass unsere Wachstumspolitik Erfolg hat, können wir über eine Reduzierung der Überschüsse reden." Das Geld könnte dann ebenfalls als Investition in das Land fliessen.
Dazu kommentierte am Montag der Schweizer "Tagesanzeiger": "Wenn die Kreditgeber Athen nicht zusätzlichen Spielraum öffnen, wird auch die neue Regierung die Hoffnungen auf einen spürbaren Aufschwung enttäuschen. Griechenland bleibt vom Wohlwollen der EU abhängig."
Schon kommen international die ersten Warnungen: Mitsotakis müsse sich weiterhin eng mit der EU und anderen Kreditgebern abstimmen. Eine "herkulische Aufgabe" sieht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): "Der Staatsapparat ist immer noch ineffizient, die öffentliche Verwaltung funktioniert schlecht und Produktmärkte sind überreguliert."
Das DIW moniert das unzuverlässige Steuersystem, die überbordende Bürokratie, die lahme Justiz.
Genau diese Bereiche will Mitsotakis anpacken. Ob es ihm gelingt, ist nicht zuletzt eine Frage der Kontrolle über seine Partei. In der Nea Dimokratia reicht das Spektrum der Mitglieder von der gemässigten Mitte bis hin zu rechts aussen; auch Politiker alter Prägung sind dabei, jene, die das Land einst durch Vetternwirtschaft und Korruption an den Rand des Abgrunds manövriert hatten.
Bisher gibt sich der neue Premier stark - griechische Parteien werden traditionell vom Vorsitzenden geprägt, ganz wie es bei Tsipras der Fall ist. Entsprechend erklärte Mitsotakis vergangene Woche vor Journalisten: "Wenn die Nea Dimokratia am Sonntag gewinnt, hat das Volk vor allem mich gewählt." (ff/dpa)
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