Mit dem Posten des Präsidenten der EU-Kommission wurde es nichts für Manfred Weber. Die Vereidigung von Ursula von der Leyen am Montag in Luxemburg ruft bei dem CSU-Politiker Wehmut hervor.

Ein Interview

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Am Montag wird Ursula von der Leyen am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg nachträglich, aber feierlich als neue EU-Kommissionspräsidentin vereidigt. Eigentlich hatte Manfred Weber (CSU) fest damit gerechnet, diesen Posten zu übernehmen - war er doch als Spitzenkandidat der EVP-Fraktion auserkoren. Doch politische Ränkespiele, vor allem durch Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, verhinderten schliesslich Webers Amtsübernahme.

"Eine persönliche Niederlage" räumt der 47-jährige Niederbayer freimütig ein. Doch die Personalie ist abgehakt. Stattdessen widmet sich Weber mit Feuereifer den Aufgaben der EU. Dort gebe es genug zu tun, etwa im USA-Iran-Konflikt oder in Sachen Flüchtlingsabkommen mit der Türkei.

Im Interview mit unserer Redaktion skizziert Weber seine Vorstellung einer selbstbewussten EU, spricht über mögliche Konsequenzen für den türkischen Präsidenten Erdogan und äussert einen klaren Standpunkt zur Kanzlerkandidaten-Debatte in der Union.

Herr Weber, glauben Sie, es war eine gute Entscheidung von US-Präsident Trump, den iranischen General Soleimani töten zu lassen?

Manfred Weber: Der Iran exportiert Terror in seine Nachbarschaft und General Soleimani war einer der Hauptorganisatoren dieses Terrorexports. Man muss nicht jede Entscheidung und jeden konkreten Schritt der amerikanischen Administration von Donald Trump gut finden. Aber klar ist, wer das Problem ist: nämlich der Iran.

Wird es zum Krieg kommen?

Es darf nicht zum Krieg kommen und es darf auch keine Eskalation geben.

Was kann die EU in diesem Konflikt tun?

Tatsächlich fragt man sich in Situationen wie dieser: Wo ist eigentlich Europa? Aber gerade jetzt, in Zeiten, wo Waffen sprechen, hat Europa die Aufgabe, Brücken zu bauen und Diplomatie wirken zu lassen. Wir sind vermutlich der Kontinent, der die besten Kontakte in den Nahen Osten hat, der Vertrauen auch im Iran geniesst und Ansprechpartner dort hat.

Ein weiteres konfliktträchtiges Thema ist das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei. Kippt der Deal mit Erdogan?

Europa darf sich nicht erpressen lassen. Erdogan droht uns mit der Öffnung der Grenzen, also mit neuen Flüchtlingsströmen, er schränkt in der Türkei die Pressefreiheit und andere Rechte ein, Erdogan interveniert jetzt in Libyen militärisch, er bohrt in zypriotischen Gewässern nach Gas - das sind alles Massnahmen, die keine Partnerschaft, sondern ein Gegeneinander signalisieren. Erdogan muss wissen, dass all das Konsequenzen hat.

Welche?

Die Türkei ist existenziell von Europas Wirtschaft abhängig. Wer Partnerschaft in wirtschaftlichen Beziehungen haben will, muss sie auch politisch praktizieren. Europa sollte in dieser Hinsicht entschlossener werden.

Das würde in letzter Konsequenz aber bedeuten, dass Europa wieder mehr Flüchtlinge aufnehmen muss, oder?

Nein. Wir haben ein Abkommen mit der Türkei und als Europäer sind wir bereit, dieses Abkommen zu verlängern und unseren Beitrag zu leisten, um den Flüchtlingen Unterschlupf zu bieten. Aber der entscheidende Punkt ist: Wir dürfen uns nicht erpressen lassen. Deshalb fordere ich die Rückkehr an den Verhandlungstisch und die Umsetzung unserer bisherigen Vereinbarungen. Wenn das erfolgt, können wir den Weg weiter gemeinsam gehen. Wenn nicht, muss Erdogan wissen, dass dies wirtschaftliche Konsequenzen haben kann.

Anfang des Jahres bei der CSU-Klausur in Seeon hat Ihr CSU-Parteivorsitzender Markus Söder vorgeschlagen, das Kabinett in Berlin personell zu erneuern. Halten Sie das für eine gute Idee?

Dass die Menschen mit dem derzeitigen Kabinett nicht 100 Prozent zufrieden sind, spüren wir alle. Es ist offensichtlich, dass die grosse Koalition es bisher nicht ausreichend genug vermocht hat, Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Ich wünsche mir eine ambitionierte Zukunftspolitik für Deutschland.

Sie stimmen Söder also zu?

Ja. Wir brauchen Dynamik, im personellen, aber vor allem im inhaltlichen Bereich. Wann das passiert und wie man das macht, ist Aufgabe der Parteivorsitzenden. Aber der Grundappell, dass wir keine bleierne Blockadesituation in Berlin akzeptieren können, den haben wir jetzt so auf den Tisch gelegt.

Hält die grosse Koalition noch durch bis zum Ende der Legislaturperiode 2021?

Ich gehe fest davon aus. Meine Forderung lautet: raus aus der Berliner Selbstbeschäftigung, rein in die Gestaltung Europas, es gibt viel zu tun. Deutschland wird im zweiten Halbjahr 2020 die EU- Ratspräsidentschaft übernehmen. Ganz Europa wartet auf eine starke Bundesregierung, die Orientierung gibt und die Probleme löst auf diesem Kontinent. Es gibt so viele Themen – Migration, Haushalt, Green Deal -, wo die anderen Staaten von der deutschen Präsidentschaft Lösungen erwarten.

Die Entscheidung, wer für die Union in das Rennen um das Kanzleramt einsteigt, wird höchstwahrscheinlich noch in diesem Jahr entschieden. Wäre Markus Söder der geeignetere Kandidat im Vergleich zu Frau Kramp-Karrenbauer?

Ich bin froh, dass wir seit dem CDU-Parteitag im vergangenen November endlich keine Personaldebatte mehr führen, wer der geeignete Kanzlerkandidat ist, sondern uns auf die Arbeit konzentrieren. Ich kann die Union nur warnen. Wir brauchen jetzt Inhalte, Ideen und Kreativität. Die Menschen müssen spüren, dass wir uns um sie kümmern und uns nicht nur um uns selbst drehen.

Flucht nach Europa

UNHCR: Zahl der 2019 über Ägäis geflüchteten Migranten gestiegen

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Dann nochmal der Blick nach Europa: Am Montag werden die neue EU-Kommissionspräsidentin und ihre Kommissare feierlich in Luxemburg am Europäischen Gerichtshof vereidigt. Schmerzt Sie der Gedanke?

Ganz klar, das war eine persönliche Niederlage. Aber ich weiss, dass Politik ein hartes Geschäft ist, und akzeptiere die Prozesse. Ich unterstütze Frau von der Leyen und die neue Kommission, weil ich will, dass wir die Inhalte, die auch ich im Wahlkampf versprochen habe, jetzt miteinander umsetzen.

Also keine Spur von Wehmut?

Natürlich denke ich manchmal an diese intensiven Monate. Aber für mich ist entscheidend, dass ich mich im Wahlkampf für ein demokratisches Europa eingesetzt habe, in dem die Menschen darüber abstimmen, wer Kommissionspräsident wird. Deswegen bin ich mit mir und meinem Beitrag dazu sehr im Reinen, das gibt mir Kraft. Und eine Niederlage wird erst dann zur richtigen Niederlage, wenn man nicht wieder aufsteht und weiterkämpft. In meiner Funktion als Vorsitzender der grössten Fraktion im EU-Parlament tue ich das und sage: ran an die Arbeit. Es gibt keinen Blick zurück mehr. 2020 markiert den Beginn einer neuen Phase, für mich persönlich, aber auch für die EU.

Und was sagen Sie denjenigen Bürgern, die bei der EU-Wahl ihr Kreuz bei der Union gemacht haben aufgrund des Versprechens, dass Sie Kommissionspräsident werden?

Ich kann gut verstehen, wenn sich darüber Politikverdrossenheit breit macht. Aber solche Vorgänge gibt es auf nationaler Ebene auch. In Bremen trat zum Beispiel Carsten Sieling als Spitzenkandidat der SPD an, am Ende wurde sein Genosse Andreas Bovenschulte neuer Regierungschef. Nichtsdestotrotz ist es enttäuschend, dass es nicht gelungen ist, dieses Versprechen einzuhalten. Ich bin aber immer noch vom Spitzenkandidatenprinzip fest überzeugt. Deshalb werden wir bis zur nächsten Europawahl 2024 dafür kämpfen, eine rechtsverbindliche Garantie zu haben, dass die nominierten Kandidaten auch anschliessend EU-Kommissionspräsident werden können.

Wie lauten Ihre weiteren Karriereziele?

Ich habe mir nach dem letzten Jahr abgewöhnt, Karriereziele oder –pläne zu formulieren (lacht). Ich bin durch und durch Parlamentarier und will in der aktuellen Phase die schöne Aufgabe als EVP-Fraktionsvorsitzender anpacken.

Wann erleben wir Ihren Wechsel in die Landes- oder Bundespolitik?

Gar nicht, mein Platz ist in Europa.

Für immer und ewig?

So ist es.

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