Rechtsextremismus für alle: Marine Le Pen hat bei den Regionalwahlen in Frankreich ihren Front National (FN) zur zweitstärksten Kraft gemacht. Das Beunruhigende: Die Partei ist offenbar für jeden wählbar geworden. Man schämt sich seiner Stimme für den FN nicht mehr. Das hat der FN seiner Chefin Marine Le Pen zu verdanken. Die 46-Jährige verfolgt mit eisernem Kalkül ein Ziel: den Weg nach ganz oben. Wie gefährlich ist die lächelnde Rechtsextreme für Frankreich und für Europa?

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Bescheidenheit ist nicht ihr Ding. Aus ihrer Sicht ist Marine Le Pens politische Mission nicht weniger als die Erlösung einer ganzen Volksgruppe. "Ich bin da, um das französische Volk zu retten", hat Le Pen in einem Interview im Dezember vergangenen Jahres gesagt. Der Satz bringt auf den Punkt, was die Chefin des rechtsextremen Front National ausmacht: ihren Anspruch, ihre Sicht auf die Welt – und warum sie damit sogar Erfolg haben könnte. Denn ihre stärkste Waffe ist die Angst.

"Marine Le Pen hat ein gutes Gespür dafür, welche Ängste und Nöte in der Gesellschaft akut sind", sagt Ronja Kempin, Frankreich-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP). "Sie gibt einem Grossteil der Bevölkerung das Gefühl: Ich nehme eure Probleme ernst und ich werde eine Lösung dafür finden."

Marine Le Pen als Verteidigerin der Enttäuschten

Frankreichs wirtschaftliche Lage ist angespannt, die Arbeitslosigkeit steigt, immer mehr Menschen haben das Gefühl, abgehängt zu werden. Hinzu kommt, dass viele Franzosen enttäuscht von der politischen Klasse sind. Sie empfinden die Politiker als abgehobene Elite. Den etablierten Parteien trauen sie nicht mehr zu, die Probleme des Landes in den Griff zu bekommen.

In diese Kerbe haut Le Pen. Geschickt prangert sie die Politik an, gibt sich als Einzige, die die Wahrheit ausspricht und präsentiert sich und ihre Partei als die Verteidiger der Enttäuschten. Sie verspricht Rente mit 60, billigeres Benzin und dafür eine starke Begrenzung der Einwanderung und erhöhte Steuern auf Importe. Dass sie dabei selbst keine realistischen Lösungen parat hat, kaschiert sie gekonnt mit starken Worten. Ihr Jurastudium mag ihr dabei helfen. Als Strafanwältin soll sie einmal einen angesehenen Rhetorik-Wettbewerb gewonnen haben.

Prägender aber dürfte sein, dass sie in der Partei ihres Vaters geschult wurde. Marine ist die jüngste von drei Töchtern von Jean-Marie Le Pen. Er hatte den Front National 1972 gegründet. "Das ist ein Familienclan", sagt SWP-Expertin Kempin. "Es sind Leute, die schon von Kindesbeinen an drauf vorbereitet werden, politische Führung zu übernehmen." Marion Maréchal-Le Pen, die ebenfalls im FN aktive Nichte Marine Le Pens, sei schon im Alter von drei Jahren von ihrem Grossvater auf Wahlkampfveranstaltungen mitgenommen worden.

Le Pen führt Front National aus "rechter Schmuddelecke"

Marine Le Pen schrieb in ihrer Autobiographie, sie hätte sich schon früh gegen Feindseligkeiten ihrer Umgebung wehren müssen. Der FN sei da ihre zweite Heimat geworden. 2003 wurde sie Stellvertretende Vorsitzende der Partei ihres Vaters, 2011 übernahm sie die Führung von ihm. Für den Front National war es ein Glückfall. "Marine Le Pen hat die Partei aus der rechten Schmuddelecke herausgeführt", sagt Kempin. Ihr Vater fiel immer wieder durch antisemitische und rassistische Hetze auf. Die Gaskammern der Nazis bezeichnete er einmal als "Detail der Geschichte". Marine leistet sich solche Entgleisungen nicht. "Sie hat den FN gesellschaftsfähig gemacht", sagt Kempin. "Die Leute in Frankreich schämen sich nicht mehr dafür, diese Partei zu wählen."

Unter Marine Le Pen festig der Front National seine Stellung auf der politischen Bühne Frankreichs zunehmend. Bei den Regionalwahlen am Sonntag erhielt die Partei rund ein Viertel der Wählerstimmen. Damit wurde sie zweitstärkste Kraft hinter der konservativen UMP. "Sie ist eine sehr ehrgeizige, sehr konzentrierte Person", sagt Kempin. "Sie verfolgt die Strategie, die konservative Partei weiter aufzuspalten und den rechten Parteiflügel in den FN hineinzuziehen." Schon jetzt ist es ihr gelungen, das französische Parteiensystem aufzuspalten und den FN als dritte Kraft zu positionieren. Das hat vor ihr noch niemand geschafft.

Katastrophale Folgen für Deutschland

Und Marine Le Pen hat ein grosses Ziel: Das Präsidentenamt 2017. Kann sie das schaffen? Ronja Kempin bezweifelt das. Im französischen Wahlsystem läuft es in der zweiten Runde auf eine sehr personalisierte Stichwahl zwischen zwei Kandidaten hinaus. "Ich denke, die Franzosen würden dann doch davor zurückschrecken, eine so radikale Person an die Spitze des Landes zu wählen."

Zum Problem könnte Le Pen trotzdem werden, wenn es dem FN gelingt, eine Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung zu erlangen. "Das ist die grössere Gefahr für Frankreich: Dass das politische System lahmgelegt wäre."

Eine mächtigere FN sieht sie auch als Gefahr für Europa und den europäischen Integrationsprozess. Le Pen fordert immerhin den Austritt aus dem Euro. "Das würde für Deutschland als engsten politischen Partner katastrophale Folgen haben."

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