Die CDU taumelt ausgerechnet im Wahljahr in eine schwere Krise. Darum wächst bei der Union die Sehnsucht nach dem Retter aus Bayern. Die Kanzlerkandidatur schien für Laschet schon entschieden, nun ist sie wieder offen - aus guten Gründen.

Dr. Wolfram Weimer
Eine Kolumne
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Vor sechs Wochen schien die Kanzlerkandidatur der Union schon entschieden. Armin Laschet hatte Friedrich Merz auf dem Parteitag geschlagen, die Union lag in den Umfragen bei satten 37 Prozent.

Er verkörperte als Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens die CDU-typische Selbstverständlichkeit der Macht und vor den Landtagswahlen herrschte in der CDU schweigsame Loyalität. Nicht einmal eigenwillige CDU-Hinterbänkler äusserten Zweifel daran, dass Laschet der natürliche Kanzlerkandidat der Union werden würde.

CDU bangt nach Landtagswahl-Absturz um Wählerstimmen

Heute ist die Lage völlig auf den Kopf gestellt. Die Union taumelt in den Umfragen der 30-Prozent-Marke entgegen, die Landtagswahlen im Südwesten waren ein Desaster (die Kommunalwahlen in Hessen auch), CDU-Lagerkonflikte brechen auf, CDU-Bundesminister machen eine miserable Figur in der Corona-Politik und die Maskenaffäre erschüttert obendrein das Grundvertrauen in die Partei.

Mit grosser Mühe versucht die Parteispitze, Laschet aus dem Schlamassel fernzuhalten, doch in Wahrheit steckt er mittendrin. Die Kanzlerkandidatur, die eben noch ein Selbstläufer schien, ist akut gefährdet. Von Stunde zu Stunde mehrt sich in der CDU die Runde derer, die nun Markus Söder als Kanzlerkandidaten 2021 haben wollen.

Diese Gründe sprechen für Söder als Kanzlerkandidat

Erstens hat Söder die mit Abstand besten Umfragewerte. Selbst in der vergangenen Desaster-Woche der Union konnte Söder bei der Kanzlerpräferenz seinen Vorsprung festigen: Wenn die Deutschen ihren Kanzler direkt wählen könnten, würden sich 37 Prozent für Söder entscheiden (plus 1 Prozentpunkt).

Grünen-Chef Robert Habeck käme gegen Söder abgeschlagen nur auf 18 Prozent (minus 1), SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz gar bloss auf 15 Prozent (unverändert). Würden die Unionsparteien hingegen den neuen CDU-Vorsitzenden Armin Laschet als Kanzlerkandidaten aufstellen, würde er die CDU auf das Niveau der Gegenkandidaten senken: Laschet käme auf 22 Prozent (unverändert), Habeck auf 21 Prozent (minus 1), Scholz auf 20 Prozent (plus 2).

Duo Laschet-Spahn bringt zu viele Probleme mit

Zweitens verkörpert Söder einen Neubeginn. Die Union braucht dringend einen gefühlten Neubeginn, und sie braucht ihn mehr, als es Laschet bieten kann.

Die Union muss sich dreifach emanzipieren - von einer verkrusteten, zeitlupenhaften Merkelpolitik für Deutschland, von einer skandalerschütterten CDU-Seilschaft und von einer handwerklich fehlerhaften Corona-Politik.

Das Duo Laschet-Spahn aber steckt so tief in den aktuellen Problemen fest, dass es nicht mehr in die Rolle der frischen Aufbrecher wechseln kann. Alleine die Vokabeln "Van Laack" und "Spendendinner" reichen, um den Wahlkampf der beiden zu belasten. Söder hat diesen Ballast nicht.

Wohl aber kann er in Bayern auf eine gute Regierungsbilanz schauen und mit dem Pfund des erfolgreichen Machers und Wohlstandsgaranten wuchern. Da durch die Pandemie die Konjunktur einbricht, Millionen in Kurzarbeit stecken und Arbeitsplätze bedroht sind, wird die Sehnsucht nach einem Aufschwung-Kandidaten wie Söder gross.

CDU ist in sich gespalten

Drittens braucht die Union jemanden, der die zerstrittenen Flügel der Partei wieder zusammenführt. Vor allem im Wahlkampf. Die beiden Parteitage, in denen Friedrich Merz hauchdünn unterlegen ist, haben die hälftige Spaltung der CDU krass offenbart.

Die Konservativen, Wirtschaftsliberalen, der Mittelstand und die Junge Union fühlen sich am Ende der Merkel-Ära regelrecht ausgegrenzt. Zugleich geht ein Ost-West-Riss durch die CDU. Beide Gräben kann Laschet nur schwer überwinden, weil er zu sehr im Westdeutschen und im Merkel-Lager verortet wird.

Söder hingegen ist in beiden Flügeln anerkannt. "Er könnte das U der CDU/CSU wieder mit Leben füllen", sagt ein ostdeutscher Spitzenpolitiker. Gleich nach dem CDU-Parteitag hat Söder öffentlich ermahnt, dass man das Merz-Lager einbinden muss.

Explizit wünschte er sich, dass Friedrich Merz "im Team bleibt". Als jemand, der zweimal so knapp eine Vorsitzendenwahl verloren habe, gehöre Merz dringend dazu. Seither gilt Söder in der Merz-Hälfte der Partei als heimlicher Favorit auf die Kanzlerkandidatur.

Laschet begeht taktische Fehler

Laschet weiss, dass die akute Krise seine Chancen auf die Kanzlerkandidatur schmälert. Darum tauchte er am Abend der Landtagswahlen medial völlig ab, darum präsentiert er am Montag einen neuen, hastig formulierten Compliance-Kodex für CDU-Abgeordnete der Zukunft. Beides kritisieren CDU-Profis als taktische Fehler.

Sich in der Krise nicht vor die Partei und die Wahlkämpfer zu stellen, kommt innerhalb der CDU schlecht an. "Wegducken zeugt nicht von Führungsstärke", hört man aus dem Landesverband Baden-Württemberg. Und der neue Kodex wird sogar vom CDU-Altvater Wolfgang Schäuble als Ungeschicklichkeit kritisiert, weil sich so der Maskenskandal diskursiv nur verlängert.

In den ostdeutschen Landesverbänden, im Südwesten, in Hamburg und in der Wirtschaftsunion mehren sich nun die Stimmen, dass man Laschet bis Ostern nahelegen sollte, zugunsten von Söder auf die Kandidatur zu verzichten. Denn Söder wird von sich aus keine Ambition aktiv kommunizieren.

Söder wartet auf den Ruf der CDU

In München hört man: "Er muss aus der CDU klar und deutlich gerufen werden, nur dann wäre er bereit." Darum wartet man bei der CSU die kommenden Wochen ab, ob sich eine Pro-Söder-Stimmung in der CDU formiert und artikuliert.

Am Ende könnte die Einschätzung von Friedrich Merz doch noch zutreffen: "Historisch betrachtet war es bisher so, dass die CSU den gemeinsamen Kanzlerkandidaten nur dann gestellt hat, wenn die CDU mit ihrer eigenen Führung richtig unzufrieden war. Das war 1980 so, das war 2002 so", sagte Merz vor Weihnachten. Er konnte sich das für 2021 nicht recht vorstellen. Er konnte aber auch nicht ahnen, dass die CDU binnen weniger Wochen in ihre grösste Krise seit 20 Jahren taumelt und nun einen Retter sucht - und sei es einer aus Bayern.

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Verwendete Quellen:

  • Ntv.de: "Für die Union geht es weiter nach unten"
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