Fehlender Baugrund gilt als eine der Hauptursachen für Wohnungsnot und scheinbar unaufhaltsam steigende Mieten. Deshalb wird auch diskutiert, wie Immobilienspekulation zu verhindern oder wenigstens zu vermindern wäre. Droht bauunwilligen Grundbesitzern die Enteignung?
Halten Grundbesitzer Baugrund zurück, weil sie auf weiter steigende Preise hoffen? Der Volkswirtschaftler Dr. Ralph Henger, Immobilienexperte beim Kölner Institut der Wirtschaft (IW), hält die Diskussion über Grundstücksspekulation für übertrieben: "Das Problem ist nicht so gross, wie es gemacht wird." Eher selten werde mit als Bauland ausgewiesenen Flächen spekuliert.
Der Experte bestreitet aber nicht, dass Besitzer von Baugrund mitunter mit Bauplänen zögern: "Mancherorts bringt derzeit jedes Jahr Warten eine Rendite von zehn bis fünfzehn Prozent" - so schnell klettern in Ballungszentren die Grundstückspreise.
Das führt laut Henger in "superknappen Märkten" wie Berlin und München zu "Vorhaltungstendenzen": Warum verkaufen, fragen sich dann Baulandbesitzer, wenn das Grundstücks in wenigen Jahren doppelt so viel abwirft?
Bringt eine Änderung der Grundsteuer die Lösung?
Die Lösung sieht Henger in einer neuen Art der Grundstücksbesteuerung. Weil das Bundesverfassungsgericht im vergangenen April die derzeitige Praxis mit sehr niedrigen Einheitswerten für verfassungswidrig erklärt hat, muss sich die Grosse Koalition ohnehin bis 2019 auf eine neue Regelung einigen.
Eine günstige Gelegenheit, so die Position des IW, die Grundsteuer in eine Bodenwertsteuer umzuwandeln. Sie würde nicht mehr Gebäude besteuern, die auf einem Grundstück stehen, sondern den Wert des Grundstücks selbst - ob bebaut oder unbebaut.
"Ein nicht genutztes Grundstück", so Henger, "würde dann genauso viele Steuern kosten wie ein bebautes". Spekulanten käme dann ihr Grundbesitz teuer, ein Anreiz zu Verkauf oder Bebauung wäre geschaffen.
Diese Steuer wäre aus Sicht des Experten auch viel einfacher als die jetzige Grundsteuer, da die unverhältnismässig aufwändige und zeitraubende Gebäudebewertung wegfällt.
Eine "listige Idee" sei das, findet Prof. Christian Pestalozza, Berliner Staatsrechtler und Experte für Öffentliches Recht an der Universität Berlin. Er ist allerdings "sehr skeptisch", was die Durchführbarkeit eines solchen Gesetzes anbelangt: "Das wäre eine Strafsteuer fürs Nicht-Bauen. Aber was machen wir mit Grundbesitzern, die einfach kein Geld haben zum Bauen oder Sanieren?"
Eine Bodenwertsteuer müsste solche Umstände berücksichtigen, entsprechende Detailregelungen könnten zu langwierigen Streitigkeiten vor den Gerichten führen.
Während es bis zur Reform der Grundsteuer noch dauern wird, ist man im Land Berlin schon weiter: Dort will man in Zukunft vermehrt nicht mehr nur für den Strassenbau Grundstücke enteignen, sondern auch, wenn Eigentümer Häuser leer stehen oder verfallen lassen.
Solche Massnahmen stossen in der Wirtschaft auf wenig Gegenliebe. Enteignung lehne man "massiv ab", sagt Ralph Henger, das Beispiel Berlin empfinde das IW als "abschreckend". Enteignungsdrohungen würden nicht zu mehr Bautätigkeit führen, im Gegenteil würden Investitionen verhindert.
Die Verfassung macht Enteignungen möglich
Der Verfassungsrechtler Christian Pestalozza geht dieses Problem grundsätzlicher an: Schon die Verfasser des Grundgesetzes hätten Vorsorge getroffen, um Spekulation mit knappen Gütern zu verhindern. Artikel 14 legt in Absatz 2 fest, dass der Gebrauch des Eigentums "dem Wohle der Allgemeinheit dienen" solle.
Absatz 3 geht noch weiter: "Eine Enteignung … ist zulässig", heisst es da. Und Artikel 15 bestimmt ausdrücklich, dass Grund und Boden in Gemeineigentum überführt werden können
"Das ermächtigt den Gesetzgeber, einzugreifen", sagt Pestalozza. Mithilfe von Enteignungen könne die Spekulation eingedämmt werden - gerade bei Immobilien sei zwingend erforderlich, dass die Besitzer ihr Eigentum im Sinne des Allgemeinwohls verwenden, ihr Bauland also auch zum Bauen nutzen.
Ihnen müsse deutlich signalisiert werden: "Die Allgemeinheit braucht dein Eigentum." Pestalozza weist auf die Verfassung von Bremen hin, die als einzige Landesverfassung Spekulation ausdrücklich verbietet. Der Grundbesitz, heisst es da in Artikel 45, sei "der Spekulation zu entziehen. Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen."
Enteignung von Bodenbesitz, das mache dieser Satz besonders deutlich, könne im Einzelfall als Verfassungsvorschrift betrachtet werden: "Der Staat hat durchzusetzen, dass das Eigentum zum Wohl der Allgemeinheit genutzt wird."
Doch auch Pestalozza sieht in Enteignungen kein Allheilmittel. Das Grundgesetz schreibt nämlich die Entschädigung der Eigentümer vor. Der Einwand des Juristen: "Das könnte ja keiner bezahlen." Enteignungen etwa von Ackerland für den Autobahnbau sind meist möglich, weil der erforderliche Grund in unbebautem Gebiet mit niedrigen Bodenpreisen liegt.
Bauland dagegen ist auch für den Staat teuer - er müsste enorme Summen locker machen. Pestalozzas Resümee: "Auf Enteignung und Sozialisierung kann man im Einzelfall durchaus zurückgreifen - für eine Systemreform ist das aber viel zu teuer."
Reformen im Mietrecht versprechen mehr Erfolg
Pestalozza sieht daher auf anderen Gebieten grösseren Handlungsbedarf - etwa im Mietrecht: "Die sogenannte Mietpreisbremse ist ein Witz", meint er. Die Regierung könne, wenn der politische Wille vorhanden sei, "ernsthaftere Hürden zum Schutz der Mieter aufstellen", etwa eine stärkere Einschränkung von Mieterhöhungen.
Auch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen könnte viel enger begrenzt werden, so der Berliner Experte.
Um Spekulation zu unterbinden, müsse der Staat nicht gleich an Enteignung denken. Sinnvoller und preiswerter sei es eher, hohe Gewinne beim Eigentümerwechsel abzuschöpfen.
Wer Grund und Boden oder Wohnungen teuer verkauft, dürfte auch vom Staat mit höheren Steuern zur Kasse gebeten werden. Die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten zu solchen Massnahmen seien, so Pestalozza, "ausserordentlich gross".
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Prof. Dr. jur. Christian Pestalozza
- Gespräch mit Dr. Ralph Henger
- Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
- Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.