"Masterplan", "Transitzone", "Asylgehalt" - in der Migrationsdebatte haben Begriffe Hochkonjunktur, denen eine Gefahr innewohnt: Sie wollen manipulieren, drängen eine ganz bestimmte Sicht der Dinge auf. Der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje hat die prominentesten Wortschöpfungen unter die Lupe genommen.

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Die Drohung der bayerischen Sozialdemokraten von vergangener Woche macht deutlich, welcher Kampf um Sprache in der Asyldebatte geführt wird: Die Landtags-SPD will gegen die CSU-geführte Staatsregierung klagen, sollte die nicht bis zum 15 Juli eine Anfrage zur Wortwahl von Ministerpräsident Markus Söder beantworten.

Söder hatte wiederholt öffentlich von "Asylgehalt", "Asyltourismus" und "Anti-Abschiebe-Industrie" gesprochen - um nur eine Auswahl umstrittener Begriffe zu nennen. Die SPD verlangt eine konkrete Definition der Begriffe durch die Staatsregierung und beruft sich auf das Anrecht der Opposition auf Auskünfte.

Experten sprechen von "Framing"

Die Partei rückt damit in den Fokus, was Experten "Framing" nennen: Politiker aller Parteien versuchen permanent, durch ihre Sprachwahl eine bestimmte Auffassung eines Themas zu verbreiten. Der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje hat sich mit diesem Phänomen beschäftigt und festgestellt: Besonders erfolgreich war damit in den vergangenen Jahren die AfD.

"Die AfD hat die Politik in Deutschland schon mitbestimmt, bevor sie überhaupt im Parlament sass", sagt Hillje. "Sie hat Begriffe in den Diskurs eingeschleust, die stets die AfD-Deutung des Sachverhalts mitgeliefert haben."

Andere haben diese Begriffe übernommen. "Der Begriff 'Asyltourismus' ist von der NPD über die AfD zur CSU gewandert und jetzt sogar bei der CDU angekommen. Julia Klöckner hat ihn neulich im 'Tagesthemen'-Interview benutzt."

In der Migrationsdebatte haben einige Begriffe eine erstaunliche Karriere hingelegt. Andere sind neu hinzugekommen. Gemeinsam haben sie die Intention, zu manipulieren. Wie das? Fünf prominente Beispiele im Framing-Check:

Asyltourismus

So klingt das bei Markus Söder (CSU): "Wir müssen endlich unsere Grenzen wirksam sichern. Dazu gehört natürlich die Zurückweisung. Der Asyltourismus muss beendet werden."

Weshalb der Begriff "Asyltourismus" irreführend ist: "Hier wird Migration nicht als Suche nach Schutz sondern als Suche nach Erholung beschrieben", kritisiert Johannes Hillje. "Mit Tourismus geht einher, dass man das freiwillig macht und jederzeit nach Hause zurückkehren kann. Das alles trifft bei Geflüchteten nicht zu."

Den Begriff bewertet Hillje nicht nur als verzerrend, sondern auch als "entmenschlichend, weil es das Leid ausblendet, das oft mit Flucht einhergeht".

Treffender wäre: Flucht.

Masterplan

So klingt das bei Horst Seehofer (CSU): "Die Asylpolitik in Deutschland muss grundlegend überarbeitet werden. Wir haben immer noch kein richtiges Regelwerk für die Zukunft. Dazu schlage ich in meinem Masterplan 63 Massnahmen vor."

Weshalb der Begriff "Masterplan" irreführend ist: "Das Wort 'Masterplan' suggeriert umfassende Handlungsmacht, wo aber nur eingeschränkte Handlungsmöglichkeit gegeben ist", sagt Johannes Hillje.

Der Begriff stammt aus der Stadtentwicklung, wo man mit ihm die Gesamtplanung für ein bestimmtes Gebiet oder ein Projekt beschreibt. Die Stadt Bochum hat zum Beispiel einen Masterplan für das Universitätsviertel aufgelegt, in Hamburg wurde einer für die Hafencity entwickelt.

"Die Kontroll- und Steuerungsfähigkeit, die man bei so einem lokalen Projekt hat, hat man bei einem globalen Thema wie der Migration nicht", sagt Hillje. "Man kann ein weltweites Problem nicht national regeln - aber genau das wird vorgegaukelt. Das kann Enttäuschungen bei den Bürgern hervorrufen.“

Treffender wäre: Plan für Migration und Flucht.

Transitzone

So klingt das bei Horst Seehofer (CSU): "Transitzonen heisst, dass aus der Transitzone die Asylbewerber direkt in die Länder geschickt werden, wo sie herkommen."

Weshalb der Begriff "Transitzone" irreführend ist: Der Duden definiert Transit als Durchreise von Personen. "Aber durch ein Transitzentrum können die Menschen nicht einfach durchreisen", sagt Johannes Hillje. Vielmehr sieht der Asyl-Kompromiss von Union und SPD vom Donnerstag vor, dass in solchen Einrichtungen an der deutsch-österreichischen Grenze geprüft werden soll, ob jemand schon in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt hat. Wenn ja, wird er abgewiesen und dorthin zurückgeschickt.

Treffender wäre: Abweisezentrum.

Ankerzentrum

So klingt das bei Angela Merkel (CDU): "Die geplanten Ankerzentren sind sinnvoll und sehr praxisorientiert. Ich finde, wir sollten alle dazu stehen."

Weshalb der Begriff Ankerzentrum irreführend ist: "Ankerzentrum" ist ein Akronym aus den Worten Ankunft, Entscheidung und Rückführung. Was man mit dem Begriff Anker assoziiert, steht aber im diametralen Gegensatz zur Aufgabe der geplanter "Ankerzentren", die die Asylverfahren von Menschen beschleunigen sollen, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden.

"Anker suggeriert Stabilität und Halt, wir sprechen vom Stabilitätsanker und davon, dass man im sicheren Hafen fest macht", sagt Johannes Hillje. "Dabei ist Stabilität gerade nicht, was die Menschen dort bekommen, eher Perspektivlosigkeit."

Treffender wäre: Entscheidungszentrum.

Asylgehalt

So klingt das bei Markus Söder (CSU): "Wenn Menschen von Anfang an wissen, dass sie keine Aussicht auf Asyl haben, muss man ihnen auch keine Anreize in Form eines Asylgehalts zahlen."

Weshalb der Begriff "Asylgehalt" irreführend ist: Johannes Hillje sagt: "Mit Gehalt bringen wir eine Arbeitsleistung in Verbindung. Es wird also so getan, als gäbe es eine Bringschuld in Form einer Arbeitsleistung seitens der Migranten, die es in der ersten Zeit nicht gibt. Wir sprechen ja auch nicht vom Sozialgehalt sondern von der Sozialleistung, das ist eine Unterstützung für Schwächere in der Gesellschaft."

Treffender wäre: Asylleistung.

Johannes Hillje arbeitet als Politik- und Kommunikationsberater für Parteien, Verbände und Firmen in Brüssel. 2014 hat er den Wahlkampf der europäischen Grünen geleitet. Er ist Autor des Buches "Propaganda 4.0 - Wie rechte Populisten Politik machen".
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