Auch im liberalen Europa gibt es problematische Tendenzen bei der Medienfreiheit. Die EU will diesen mit dem Medienfreiheitsgesetz entgegenwirken. Nicht alle sind darüber begeistert.
Ausgespähte Journalisten in Frankreich. Staatspropaganda über öffentlich-rechtliche Sender in Ungarn und Polen. Verleger, die auch in Deutschland ins Tagesgeschäft der Journalisten eingreifen und Veröffentlichungen verhindern. Es stand schon mal besser um die Medienfreiheit in Europa.
Die EU will dieser Entwicklung mit dem geplanten Medienfreiheitsgesetz den Kampf ansagen. Es soll den staatlichen Einfluss auf öffentlich-rechtliche Medien einschränken, Journalisten vor der direkten Einflussnahme von Verlegern und Verlegerinnen schützen und dem Ausspionieren von Journalisten durch Geheimdienste ein Ende setzen.
Sabine Verheyen, EU-Abgeordnete der CDU, hat die Vorlage der EU-Kommission als Berichterstatterin im EU-Parlament bearbeitet. Sie setzt einen klaren Fokus, auf wen das Gesetz abzielt: "Die grösste Bedrohung der Medienfreiheit geht von staatlichem Einfluss aus", schreibt sie auf Anfrage unserer Redaktion.
Wie gross der Einfluss ist, kommt darauf an, wohin man schaut. In Ungarn hat Viktor Orban 90 Prozent der Medien unter die Kontrolle seiner Partei Fidesz gebracht. In Griechenland und Italien kann die Regierung direkten Einfluss auf die Linie der Redaktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nehmen. In Polen hatte die regierende PiS die öffentlich-rechtlichen und einige private Medien zu ihrem Propagandainstrument umgebaut. Bei den Parlamentswahlen erlitt sie allerdings trotzdem Verluste und wird wohl aus der Regierung verdrängt werden.
Wie Regierungen auf Medien Einfluss nehmen
Die Unterwerfung der Medien läuft meistens so ab: Dort, wo es möglich ist, setzen die Regierungen ihre Gefolgsleute an die Spitze des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und krempeln den Laden von innen um. Journalistinnen und Journalisten, die die regierungstreue Linie nicht mitgehen, werden entlassen oder kündigen, weil sie zensiert werden.
Private Medien hingegen werden von Staatskonzernen oder der Regierung wohlgesonnenen Milliardären aufgekauft. Danach ist der Vorgang derselbe. Zuerst wird die Chefredaktion ausgetauscht, dann wird der Rest auf Linie gebracht.
Die Vizepräsidentin der EU-Kommission Vera Jourova stellt gegenüber der Journalistengenossenschaft Investigate Europe klar: "Der Staat darf sich nicht in redaktionelle Entscheidungen einmischen". Das Medienfreiheitsgesetz biete Journalisten erstmals die Grundlage für eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Verstösse der Länder könnten mit "massiven Geldstrafen" geahndet werden. Am stärksten sei es beim Schutz der Journalisten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Öffentlich-Rechtliche in der EU: Zwischen Staatsfunk und Freiheit
Hier macht das Gesetz klare Vorgaben mit dem Ziel, den Einfluss der Regierungen zu brechen. In Italien, Spanien oder Griechenland haben die Regierungen zum Beispiel einen grossen Einfluss auf die Besetzung der Spitzenposten im Rundfunk. Das Risiko für den Verlust der Unabhängigkeit bei öffentlich-rechtlichen Medien in Italien stuft das Zentrum für Medienpluralismus und Medienfreiheit auf 71 Prozent ein. Auch Spanien (67 Prozent) und Griechenland (58 Prozent) seien demnach gefährdet. In Ungarn (96 Prozent) kann von Unabhängigkeit dagegen keine Rede mehr sein.
In Deutschland liegt dieses Risiko nur bei zwei Prozent. Hier stimmen Mitglieder von Parteien gemeinsam mit vielen anderen Vertretern der Gesellschaft über die Ernennung eines neuen Chef-Intendanten ab. Ausserdem überwachen die Medienanstalten als Regulierungsbehörde die Staatsferne des Rundfunks, sodass der Einfluss der Regierung sehr begrenzt ist.
Das Gesetz sieht solche Verhältnisse auch in anderen EU-Ländern vor. Führungspositionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk dürfen dann nur noch in einem "transparenten, offenen und nicht diskriminierenden Verfahren bestimmt" und nur in rechtlich klar definierten "Ausnahmefällen vor Ablauf ihrer Amtszeit" entlassen werden.
Schluss mit staatlichen Werbegeldern zur Einflussnahme
Aber auch private Medienunternehmen können durch staatliche Einflussnahme korrumpiert werden – zum Beispiel durch Werbegelder. In Ungarn zum Beispiel schneidet Viktor Orban die wenigen verbliebenen freien Medien vom Werbemarkt ab, indem er seinen Einfluss auf die Industrie nutzt. In Österreich sind Fälle bekannt geworden, in denen die ÖVP unter Sebastian Kurz Werbegelder im Austausch für die gewünschte Berichterstattung zahlte.
Das Gesetz setzt hier an mehreren Stellen an. Erstens verpflichtet es Medien, ihre Besitzstrukturen transparent offenzulegen. Zweitens müssen Regierungen ihre Werbegelder in Zukunft nach bestimmten Kriterien ausgeben und können nicht mehr so einfach wie zuvor regierungsfreundliche Medien bevorzugen.
Daniel Freund von den europäischen Grünen hat Zweifel, ob das Gesetz in Ungarn noch die Medienfreiheit retten kann. Trotzdem hält er das Gesetz für einen Fortschritt: "Zumindest in den Staaten, in denen es noch nicht gekippt ist, kann das Medienfreiheitsgesetz dabei helfen, das Schlimmste noch zu verhindern", sagt Freund im Gespräch mit unserer Redaktion.
Deutsche Verleger stehen Gesetz skeptisch gegenüber
Freund kritisiert, dass es ausgerechnet aus Deutschland Widerstand gegen das Gesetz gibt. Die deutschen Verleger befürchten, durch das Gesetz Einfluss auf die Redaktionen einzubüssen. Sigrun Albert, Geschäftsführerin des Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) argumentiert, dass Deutschland bereits über eine funktionierende Regulierung verfüge und man Rechtsstaatsprobleme in EU-Staaten nicht über Medienregulierung lösen könne.
Doch auch in Deutschland könnte das Gesetz Anwendung finden. Denn es schreibt explizit vor, dass Redakteure unabhängig vom Verleger "redaktionelle Entscheidungen frei treffen können", wie es im Entwurf des EU-Parlaments heisst. Nicht immer wurde dieser Grundsatz in der Vergangenheit eingehalten. Zum Beispiel verhinderte der Verleger Dirk Ippen 2021 die Berichterstattung von Investigativjournalisten zum Machtmissbrauch bei Axel Springer. Ein konkreter Eingriff ins Tagesgeschäft, der in Zukunft nicht mehr möglich sein soll.
Die grundsätzliche politische Ausrichtung eines Mediums darf dagegen weiter vom Verleger festgelegt werden: "Wir wollen ja auch nicht staatlich festlegen, was die Linie von Medien ist, also ist es durchaus ein Dilemma. Aber mit diesem Gesetz stärken wir die Rechte von Journalisten, möglichst unabhängig ihre Arbeit zu machen", sagt Freund. Um die Staatsferne zu gewährleisten, soll nicht die EU-Kommission, sondern ein Rat aus Vertretern der 27 nationalen Aufsichtsbehörden die Umsetzung unabhängig überprüfen.
Finale Verhandlungen: Streitpunkt Spähsoftware
Noch ist aber nicht sicher, ob und in welcher Form das Gesetz in Kraft treten wird. Nachdem das Parlament seine Position Anfang des Monats definiert hat, stehen jetzt komplizierte Verhandlungen mit dem Europäischen Rat an. Ungarns Viktor Orban ist ein erklärter Gegner des Gesetzes. Er behauptet, dass Brüssel mit dem Media Freedom Act "die Medien kontrollieren" wolle.
Aber auch Frankreich will das Gesetz zumindest nicht in der jetzigen Form durchwinken. Ein zentraler Streitpunkt ist, inwieweit Regierungen und Geheimdienste Journalisten ausspionieren dürfen. In Frankreich, Griechenland und Spanien wurden Fälle bekannt, bei denen die Handys und Laptops von Journalisten von Geheimdiensten ausgespäht wurden. Ein Verstoss gegen den Quellenschutz, der vor allem für Journalisten im Geheimdienstumfeld wichtig ist, damit mögliche Whistleblower überhaupt mit ihnen sprechen.
Eigentlich soll das Gesetz das Ausspähen mit Spionagesoftware künftig verbieten, doch der Rat und insbesondere Frankreich wollen eine Ausnahme einbauen. Und zwar, wenn eine Gefahr für "die nationale Sicherheit" besteht, was Regierungen und Geheimdienste zu ihren Gunsten interpretieren könnten.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Daniel Freund (Bündnis 90/Die Grünen)
- Schriftliche Anfrage bei Sabine Verheyen (CDU)
- Europäisches Parlament: Europäisches Medienfreiheitsgesetz
- Centre for Media Pluralism and Media Freedom: Media Pluralism Monitor 2023
- Investigate Europe: Heisser Herbst für die Medienfreiheit in Europa
- Deutschlandfunk: Der lange Weg zum Medienfreiheitsgesetz
- table.media: Medienfreiheitsgesetz: Fortschritte bei erstem Trilog (kostenpflichtiger Beitrag)
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