Meinungsfreiheit versus soziale Medien: Wie können Twitter und andere Plattformen Hass und Lügen im Netz bekämpfen und zugleich das Recht auf freie Meinungsäusserung wahren?
Donald Trump ist ein Meinungsgigant. Als US-Präsident (@POTUS) hat er gut 30 Millionen Follower bei Twitter, und "privat" folgen ihm als "@realDONALDTRUMP" fast 82 Millionen Menschen. Was er dort verbreitet, erfährt die Welt. Der mächtigste Mann der Welt herrscht per Tweet.
Auch Twitter ist ein Meinungsgigant. Die Plattform führt uns wie eine Art weltweite, virtuelle Speakers' Corner zum Meinungsaustausch zusammen. Weil Menschen gerne hetzen und hassen, ist Twitter auch dafür ein Forum. Das ist einerseits entsetzlich, andererseits realisiert sich so das Risiko der Meinungsfreiheit, als eines der höchsten Güter liberaler Verfassungen. Denn nicht alles, was widerlich ist, ist rechtswidrig.
Twitter ist, anders als eine Zeitung, kein Inhalteanbieter. Der Londoner Hyde Park, in dem sich die originale Speakers' Corner befindet, ist ein freier Ort vieler schräger Meinungen, hat aber keine eigene politische Agenda. Bei Twitter muss es genauso sein. Weil
Wer die Macht und die Mittel hat, den Herrscher über sein "virtuelles Hausrecht" zu korrigieren, der kann ihn beherrschen. Das darf er aber nicht. Die Meinungsfreiheit gilt auch für Despoten. Demokratie und Rechtsstaat kennen für Eingriffe in Freiheiten weder selbsternannte Scharfrichter noch Schiedsrichter, sondern nur gesetzliche Richter.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz als Lösung?
Aber wie kann man Hass und Lüge im Netz bekämpfen und zugleich die Verfassung wahren, die der Meinungsfreiheit dann Grenzen setzt, wenn Meinungen gegen andere, in der konkreten Abwägung gewichtigere Rechte Dritter verstossen?
Der deutsche Gesetzgeber wählt dafür insbesondere den Weg über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Es steckt einen Rahmen für erlaubte und verbotene Meinungen und nimmt die Anbieter sozialer Netzwerke in die Pflicht, sich mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte auseinanderzusetzen und das Recht durchzusetzen.
Innerhalb des Rahmens weist es die Letztverantwortung über die Grenzen der Meinungsfreiheit rechtsstaatlich sauber den Gerichten zu. Das Gesetz ist umstritten. Die Anbieter halten ihr "digitales Hausrecht" für ausreichend und begreifen das NetzDG als Eingriff in ihr Geschäftsmodell. Es führe im Zweifel dazu, dass Inhalte vorschnell gelöscht würden ("Overblocking").
EU sieht das deutsche Gesetz kritisch
Die EU beäugt dieses Gesetz als deutschen Sonderweg kritisch und zieht die nationale Kompetenz für das europaweite Problem in Zweifel.
Das NetzDG wird aktuell novelliert. Vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages findet am 17. Juni 2020 eine Anhörung von Sachverständigen zum aktuellen Entwurf statt.
Hinweis: Der Autor wird am 17.6.2020 als Sachverständiger vor dem Rechtsausschuss zur Änderung des NetzDG gehört.
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