Während Regierung und Opposition in London weiter über einen Ausweg aus der Brexit-Sackgasse sprechen, versuchen Parlamentarier den Sturz in den No-Deal per Gesetz zu stoppen. Bundeskanzlerin Merkel besucht Irland, das unter einem Brexit ohne Vertrag arg leiden würde.
Rund eine Woche vor dem geplanten Brexit geht das Ringen um den EU-Austritt Grossbritanniens unvermindert weiter. Das Oberhaus startete am Donnerstag in London mit Beratungen über ein Gesetz, das die Regierung zu einem neuen Brexit-Aufschub zwingen und damit einen ungeregelten EU-Austritt am 12. April ausschliessen soll. Der Gesetzesvorschlag hatte am Mittwoch im Eilverfahren alle drei Lesungen im Unterhaus durchlaufen und war mit nur einer Stimme Mehrheit gebilligt worden.
Im Oberhaus stockte das Verfahren dann wegen vieler Änderungsanträge und Filibustering - das sind überlange Redebeiträge von Parlamentariern. Mit einer Entscheidung wurde daher am Abend nicht mehr gerechnet. Ob das Gesetz damit noch rechtzeitig vor dem EU-Gipfel zum Brexit am Mittwoch in Kraft treten kann, war ungewiss.
Deutschland und Irland hoffen indes immer noch auf einen geregelten EU-Austritt Grossbritanniens. Das sagten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der irische Regierungschef Leo Varadkar nach einem Treffen in der irischen Hauptstadt Dublin. Varadkar dankte Merkel für die Zusammenarbeit bei den Austrittsgesprächen mit London. Die Kanzlerin sei eine "starke Verbündete" Irlands.
Angela Merkel zum Brexit: "Bis zur letzten Stunde alles tun"
"Wir wollen alles tun, bis zur letzten Stunde alles tun, um einen ungeregelten Austritt Grossbritanniens zu verhindern", versicherte
Die Regierung in London führte am Donnerstag weitere Gespräche mit der Opposition über einen Ausweg aus der Brexit-Sackgasse auf technischer Ebene. Die Gespräche sollen am Freitag fortgesetzt werden, wie ein Regierungssprecher am Abend mitteilte. Ein Treffen zwischen Premierministerin
May hatte am Dienstag bereits angekündigt, eine Verlängerung der Austrittsfrist beantragen zu wollen, weil das Austrittsabkommen bereits drei Mal vom Unterhaus abgelehnt wurde. Auch alle Alternativvorschläge fanden bisher keine Mehrheit. May will nun eine Verschiebung bis zum 22. Mai erreichen. Eine Teilnahme an der Europawahl (23. bis 26. Mai) will sie unbedingt vermeiden.
Sondergipfel am 10. April
Offen ist, ob sich die übrigen EU-Staats- und Regierungschefs auf Mays Vorschlag einlassen. Sie wollen am 10. April bei einem Sondergipfel darüber beraten, wie es beim Brexit weitergeht. Eine Verlängerung der Brexit-Frist müssen die verbleibenden 27 Mitgliedstaaten einstimmig billigen.
Die Parlamentarier hinter dem Gesetzesvorschlag zum Aufschub wollen sicherstellen, dass die Länge der Brexit-Verschiebung in jedem Fall vom Unterhaus abgesegnet werden muss. Damit könnten sie gegen den Willen der Premierministerin eine Verschiebung über den 22. Mai hinaus - inklusive einer Teilnahme an der Europawahl - durchsetzen.
Das Oberhaus gilt als überwiegend proeuropäisch, daher wird mit einer Mehrheit gerechnet. Der Gesetzgebungsprozess gestaltete sich durch Änderungsanträge und das sogenannte Filibustering aber am Donnerstag extrem zäh. Zu einer Entscheidung wird es wohl erst am Montag kommen.
Angesichts eines drohenden Brexits ohne Abkommen rief die britische Polizei alle Politiker und Aktivisten dazu auf, durch ihr Verhalten die angespannte Stimmung im Land nicht noch anzuheizen. Die Menschen dürften nicht - etwa in Reden - aufgewiegelt werden, sagte der Vorsitzende des Rats der Polizeichefs NPCC, Martin Hewitt, in London. Etwa 10 000 speziell ausgebildete Polizisten stünden binnen 24 Stunden bei grösseren Störungen im Falle eines No-Deal-Brexits parat.
Angespannte Stimmung im Land
"Wir befinden uns in einer unglaublich aufgeheizten Stimmung", sagte Hewitt. Es handele sich aber nur um Vorsichtsmassnahmen, betonte er. Der NPCC koordiniert vor allem die Polizeiarbeit in Grossbritannien.
Bei No-Deal-Brexit droht nach einer Studie vor allem der Hafenstadt Dover am Ärmelkanal Chaos. Wegen dann nötiger Zollkontrollen würden Lastwagen in Mega-Staus steckenbleiben. Viele Menschen könnten wochenlang ihre Arbeitsstätten wohl nicht erreichen. Die Strecke Dover-Calais ist die wichtigste Verbindung zwischen Grossbritannien und dem Festland. Schiffe transportieren 2,5 Millionen Lastwagen pro Jahr über die Meeresenge.
Patienten in der EU müssen sich im Falle eines chaotischen Brexits nächste Woche darauf einstellen, dass einige Medizinprodukte wie Pflaster oder Spritzen vorübergehend knapp werden. Nach Gesundheitsminister Jens Spahn warnte am Donnerstag auch die EU-Kommission davor. Bei der Versorgung mit Arzneien müssten sich Patienten aber keine Sorgen machen, sagte Kommissionsvizepräsident Jyrki Katainen in Brüssel.
Bei einem ungeregelten Brexit verlören in der EU lebende Briten ihr bisheriges Aufenthaltsrecht. Deutschland will den Briten und ihren Familien daher Zeit für die Beantragung von Aufenthaltstiteln geben.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnte vor einer dauerhaften Beschädigung der EU durch den Austritt Grossbritanniens. "Wir müssen jetzt sehen, wie immer die Briten sich entscheiden mögen, dass daraus keine neue Dauerkrise für die Europäische Union wird", sagte Steinmeier bei seinem Bulgarien-Besuch in Sofia. Es komme darauf an, "dass wir uns nicht auf Dauer blockieren in den europäischen Vorhaben, die jetzt vor uns stehen".
(dpa/fra)
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