Angela Merkel war 18 Jahre lang Vorsitzende der CDU. Heute beim Parteitag in Hamburg entscheidet sich, wer sie in diesem Amt beerben wird: Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn oder Friedrich Merz? Welche Erfahrungen können sie vorweisen? Und welche Politik ist von den Kandidaten zu erwarten? Wir unterziehen die drei Bewerber einem Check.
Kaum hatte
Erst
In der CDU geht man davon aus, dass sich das Rennen zwischen Generalsekretärin
Laufbahn und politische Erfahrung
Naturgemäss bringen Friedrich Merz (62) und Annegret Kramp-Karrenbauer (56) gegenüber Jens Spahn (38) ein Plus an Erfahrung mit.
Merz hat unter anderem 15 Jahre Erfahrung als Mitglied des Bundestages, fünf Jahre als Mitglied im Europäischen Parlament und er war Obmann im Finanzausschuss.
"Friedrich Merz bringt viel politisches Know-how mit und war besonders um die Jahrtausendwende ein sehr prominenter Politiker in der CDU", sagt auch Politikwissenschaftler Prof. Dr. Emanuel Richter von der RWTH Aachen. Damals habe sich Merz als Fraktionsvorsitzender (2000-2002) einen Namen gemacht, sei aber im Anschluss unter Angela Merkel in die Rolle des Stellvertreters gerutscht.
Friedrich Merz: Anwalt und Lobbyist
"Diese Niederlage hat Merz nicht verkraftet und ist im Unfrieden in die Wirtschaft gewechselt", erinnert Richter. Erfahrung sammelte der Jurist seitdem vor allem abseits des politischen Parketts: "Er ist als Anwalt, Manager und Lobbyist tätig."
Geradliniger verlief bis dato die politische Karriere von Annegret Kramp-Karrenbauer. "Ihre Politik, vor allem als Ministerpräsidentin im Saarland, war stets sehr beliebt", urteilt Richter. Im kleinsten Flächenbundesland führte sie von 2011 bis 2018 die Regierung. Seit Februar diesen Jahres ist sie Generalsekretärin der CDU.
Jens Spahn hat mit seinen 38 Jahre auch schon einige Posten gesammelt. Bevor er als Gesundheitsminister in Merkels aktuelles Kabinett berufen wurde, war er zum Beispiel Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium.
Inhaltliche Positionen
Noch mehr als die Liste der bisherigen politischen Ämter dürfte die Delegierten auf dem Parteitag in Hamburg aber die inhaltliche Positionierung der Kandidaten interessieren.
"Merz steht für den konservativen, aber wirtschaftsliberalen Flügel", sagt Politikwissenschaftler Richter. Merz' Schwerpunkte hätten stets in der Finanz-, Sicherheits- und Familienpolitik gelegen.
Richter erinnert an Positionen, die Merz populär gemacht haben: "Er forderte die Vereinfachung des Steuersystems und machte den Vorschlag der Steuererklärung auf dem Bierdeckel." Ebenso habe er den Begriff der "deutschen Leitkultur" gross gemacht und verstärkt Anpassungsleistungen von Migranten gefordert.
Zudem setzte sich Merz verstärkt für Deregulierungen und Privatisierungen ein, ebenso für eine Erhöhung des Renteneintrittsalters und für Kürzungen der Sozialleistungen. In der Debatte um die Energiewende votierte er für eine Laufzeitverlängerung deutscher Kraftwerke.
Bei Fragen zu Umwelt und Familie gibt sich Merz heute modern und erklärt, durch seine Töchter inzwischen anders auf Kitas und Ganztagsschulen zu schauen als noch in den 1990er-Jahren. Ausserdem müsse die Umweltpolitik für die CDU eine grössere Rolle spielen, sagte er schon bei der Bekanntgabe seiner Bewerbung - und auch für die Grünen findet er heute anerkennende Töne.
Auch beim Thema Abschiebungen von straffälligen Asylbewerbern vertritt Merz eine sanftere Position als seine wohl grösste Konkurrentin Kramp-Karrenbauer. Gelungen ist es ihm trotz allem aber nicht, das Image des konservativen und neoliberalen Hardliners abzulegen – denn genau das wünschen sich seine Anhänger von ihm.
Nehmen sich Spahn und Merz gegenseitig die Stimmen weg?
"Jens Spahn wird ebenfalls zum konservativen Flügel der CDU gezählt", sagt Richter. Spekuliert wird deshalb, ob Merz und Spahn sich nicht gegenseitig die Stimmen wegnehmen könnten.
Seinen Konservativismus könne Spahn im Bereich der Gesundheitspolitik jedoch bislang nicht richtig ausspielen: "Sicherlich hat Merkel ihm aus taktischen Gründen diesen Amtsbereich zugewiesen", vermutet Politologe Richter.
Spahn hat sich aber auch schon in die Nesseln gesetzt. Seine Aussage etwa, Hartz IV bedeute keine Armut, sorgte für scharfe Kritik. "Zu Beginn trat er etwas forsch auf, mittlerweile aber gemässigter", beobachtet Richter.
Spahn engagiert sich für Generationengerechtigkeit und zielt damit vor allem auf jüngere CDU-Mitglieder. In Bezug auf die EU steht er für eine verstärkte Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich der Verteidigung, Migration, Sicherheit, Digitalisierung und argumentiert gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden in der Eurozone.
AKK: Emotionalerer Stil als Merkel
Kramp-Karrenbauer ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und sprach sich gegen die Homo-Ehe und Werbung für Abtreibungen aus. Aber: "In sozialpolitischen Fragen ist sie definitiv linker als die anderen beiden Kandidaten", analysiert Richter.
In Koalitionsfragen habe sie sich offen präsentiert, so etwa in Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition im Saarland. "In der Flüchtlingspolitik ist sie auf Merkels Linie, sprach sich beispielsweise gegen eine einseitige Schliessung der deutschen Grenzen aus", sagt Richter.
Weiter glaubt er: "Viel mehr als mit den politischen Inhalten dürfte Kramp-Karrenbauer durch ihren Politikstil aufgefallen sein." Dieser sei zurückhaltend, aber lebendiger und emotionaler als der von Angela Merkel.
Vernetzung in der Partei
Experten sehen Kramp-Karrenbauer als Favoritin im Kampf um Merkels Erbe. "Sie ist am besten in der Führungsriege der CDU vernetzt", sagt Politikwissenschaftler Prof. Dr. Nils Bandelow von der TU Braunschweig. Er glaubt, Merkel werde versuchen hinter den Kulissen die Strippen so zu ziehen, dass Kramp-Karrenbauer gewählt wird.
Sein schlechtes Verhältnis zu Merkel könnte Friedrich Merz zum Verhängnis werden: "Nach seinem Wechsel in die Wirtschaft war das Verhältnis zerrüttet, er hat sie für das Ende seiner politischen Karriere verantwortlich gemacht", so Politologe Richter.
"Der Spagat mit Merz und Merkel an der Spitze kann kaum gelingen", schätzt er. Kaum jemand könne sich vorstellen, dass nach der Trennung von Parteivorsitz und Kanzleramt – was an sich schon eine Innovation ist – zwei Politiker mit so konträren Positionen gemeinsam agieren können.
Richter warnt daher: "Gerade mit Blick auf die anstehenden Wahlen im Osten [2019 finden in Brandenburg, Sachsen und Thüringen Landtagswahlen statt; Anm.d.Red.] muss die CDU geschlossen auftreten."
Während auch Jens Spahn vor allem als Merkel-Kritiker in Erscheinung getreten ist, gilt Kramp-Karrenbauer als Vertraute. "Mit ihr an der Spitze könnte Merkel noch die gesamte Amtszeit regieren", glaubt Richter. Das dürfte für alle CDU-Bundestagsmandatsträger unter den Delegierten ein entscheidendes Argument sein in der Frage, wem sie ihre Stimme geben.
Merz und Spahn gelten nicht als Versöhner
Und wie sieht es mit dem Rest der Partei aus? Merz brächte als Transatlantiker, Gründungsmitglied der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" und Wirtschaftsmanager internationale Vernetzung mit und "stünde jedenfalls für mehr Konservativismus und hat Zustimmung bei denjenigen, die sich über die Sozialdemokratisierung unter Merkel beschweren", meint Richter.
Aber: Merz könnte wohl kaum die Parteiflügel versöhnen und gelte manchen als "von der Wirtschaft vereinnahmt". "Merz hat als Person seine Geschichte, für ihn könnte es deshalb schwierig werden, Koalitionen hinzubekommen", meint auch Bandelow. Auch Jens Spahn gilt nicht als Versöhner.
Dann also doch Kramp-Karrenbauer, die als erfolgreiche Landesfürstin auch in schwierigen Zeiten gilt? Internationale Erfahrung hat sie bislang allerdings nicht gesammelt, auch müsste sie die Konservativen stärker ansprechen als bisher.
Dessen ungeachtet ist sich Bandelow sicher: "Das Profil der Kandidaten sagt wenig darüber aus, welche Politik sie im Anschluss machen werden." Denn: Die Erfahrung habe gezeigt, dass politische Spitzenkandidaten nach ihrer Wahl oft anders agierten, als sie vorher angekündigt hatten - weil sie Unterstützung von der anderen Seite brauchten.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.