Dieses Jahr sind bereits über 50'000 Flüchtlinge in Süditalien angekommen. Dort müssten sie registriert werden, und dort – in Italien – müssten sie auch bleiben. Doch 1000 Kilometer weiter nördlich ein neuer Rekord: 874 illegale Grenzübertritte in sieben Tagen. Eine Reportage aus Chiasso.

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Auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofes von Mailand sind vereinzelte Gruppen von Migranten. Unsicher blicken sie um sich. Sie machen nicht den Eindruck, in Mailand bleiben zu wollen. Auch in der Gleishalle geschäftiges Treiben. Diese Frauen haben schon das Zugticket in die Schweiz. Sie versuchen, den Polizeikontrollen zu entkommen.

Bei der Einfahrt des Regionalexpresses nach Bellinzona beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel. Die italienische Polizei betritt das Perron. Die Migranten mischen sich unter die Passagiere Richtung Schweiz.

Die italienische Polizei nimmt ein paar Frauen mit. Ohne gültige Reisedokumente dürfen sie den Zug nicht einmal besteigen. Vor der Kamera des Schweizer Fernsehens zeigen sich die Italiener aktiv.

Hotspots funktionieren nicht

Alberto Sinigallia von der Flüchtlingeshilfe «L'Arca» kennt diese Szenen. Er leitet eine Auffangstelle für Migranten in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof. Die Stadt Mailand versorgt hier Flüchtlinge und ihre Familien, die sich auf eigene Faust durch Italien schlagen, die weiter wollen Richtung Norden.

«Mit den Hotspots, den Registrierzentren in Süditalien, dürfte es diese Auffangstelle hier eigentlich gar nicht mehr geben. Und doch haben wir pro Woche noch bis zu 1000 Ankünfte. 60 Prozent ziehen weiter», sagt Sinigallia.

Die meisten, die täglich hier ankommen, sind Eritreer. Viele entkommen der polizeilichen Registrierung: Vor allem, wenn nach vielen Rettungsaktionen in den Häfen Süditaliens wieder Chaos herrscht. «Dann versuchen sie, im Zug weiter ins Ausland zu kommen. Das wird aber immer schwieriger. Hier in Mailand stehen deshalb jetzt wieder die Schlepper und bieten die Weiterreise per Auto an. Uns wird auch von Bergpfaden erzählt, zu Fuss über die Grenze wie zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges.»

Eine junge Eritreerin erzählt von ihrem Versuch, mit dem Zug in die Schweiz zu kommen: «Wir waren eine ganze Gruppe und hatten Tickets bis nach Zürich. An der Grenze wollten Beamte unsere Ausweise sehen. Wir hatten natürlich keine. Als wir dann sagten, wir wollten weiter nach Deutschland, schickten sie uns sofort mit dem nächsten Zug zurück nach Mailand.»

In Chiasso können Migranten Asylantrag stellen

Ortswechsel: Im Zug Richtung Schweizer Grenze sind Touristen, Pendler, Grenzgänger – aber keine Migranten. Nach 40 Minuten, Ankunft in Chiasso, Grenzwächter besteigen den Zug. Sie durchkämmen jeden Wagen und werden im Eurocity nach Zürich fündig. Für ein paar Eritreer ist die Reise vorerst zu Ende. Stellen sie in der Schweiz Asyl, wird ihr Antrag geprüft. Geben sie an, auf der Durchreise zu sein, werden sie nach Italien zurückgeschickt.

Zurück in Mailand nicht weit vom Bahnhof werden schon neue Reisepläne geschmiedet – wenn nicht mit dem Zug, dann anders – nur weg aus Italien Richtung Schweiz.

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