Entführungen, Explosionen, Folter: In den letzten Tagen haben spektakuläre Straftaten die Polizei auf Trab gehalten. Dahinter soll die "Mocro-Mafia" aus den Niederlanden stecken, die den Drogenkrieg nach Deutschland trägt. Ein Experte erklärt, wer hinter der Gruppierung steckt und was sie so gefährlich macht.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es sind Szenen, die man sonst nur aus Filmen kennt: Ein Mann und eine Frau werden in einem Haus gefoltert – gefesselt, blutüberströmt, nackt. Was ihre Peiniger wissen wollen: Wo sich 300 Kilogramm Marihuana im Wert von rund 1,5 Millionen Euro befinden, die aus einem Lager im rheinischen Hürth abhandengekommen sind.

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So hat es sich nach Erkenntnissen der Polizei in einem Haus in Köln-Rodenkirchen abgespielt, in das zwei Menschen aus Bochum entführt worden waren. Die Polizei ist inzwischen auch sicher zu wissen, auf wessen Konto die Tat geht: auf das der "Mocro-Mafia". Der schreibt sie auch eine Serie von Sprengstoffanschlägen Anfang Juli zu, unter anderem in Düsseldorf und Duisburg.

Begriff "Mocro-Mafia" ist umstritten

Wer steckt hinter der "Mocro-Mafia"? Aus Sicht von Oliver Huth, Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen beim Bund deutscher Kriminalbeamter, ist der Begriff ein Stück weit irreführend. "Mocro" ist niederländischer Slang für Menschen marokkanischer Herkunft. Wenn von "Mocro-Mafia" die Rede ist, sind damit vor allem Tätergruppen nordafrikanischer Herkunft gemeint, die vor allem in den Niederlanden und auch in Belgien aktiv sind.

Huth sagt jedoch: "In den Niederlanden sind zwar tatsächlich viele nordafrikanische Straftäter in den mafiösen Strukturen unterwegs, aber die Mafia-Gruppen sind sehr heterogen." Anders als die italienische Mafia sei sie nicht ethnisch abgeschottet. "Die ethnische Frage spielt gar nicht so eine dominante Rolle, es geht vielmehr um die Kompetenzen, die jemand mitbringt."

Straftaten der "Mocro-Mafia": Geldwäsche bis Auftragsmord

Und diese Kompetenzen beziehen sich auf das gesamte Portfolio der "Mocro-Mafia": von Drogenhandel und Geldwäsche bis hin zu Raub, Entführungen und Auftragsmorden. "Die Tätergruppen betreiben viel Rauschgifthandel, insbesondere mit Kokain. Dieses Kokain wird aus Südamerika importiert und in den Niederlanden verkauft, die Täter sitzen dabei in den niederländischen Häfen", sagt Huth.

Bereits in den 1990er-Jahren hatte die "Mocro-Mafia" den Cannabis-Handel in den Niederlanden unter ihre Kontrolle gebracht. Seitdem ist ihre Macht immer weiter gewachsen.

Die "Mocro-Mafia" – die sich wiederum in mehrere Banden aufteilt – hat sich laut Experte Huth die brutale Methode etabliert, Konkurrenten durch Hinrichtungen aus dem Markt zu drücken. Das Vorgehen der Gruppierungen sei "absolut gruselig".

Schlagzeilen machten in der Vergangenheit bereits ein abgetrennter Kopf, der vor einer Shisha-Bar platziert wurde, Sprengsätze unter Autos sowie ein zum Folterinstrument umgebauter Zahnarztstuhl. "Angehörige der 'Mocro-Mafia' versuchen auch immer wieder, Einfluss auf Strafprozesse zu nehmen, indem sie etwa Anwälte oder Kronzeugen umbringen lassen", sagt Huth.

Der Marengo-Prozess

Gemeint ist damit vor allem der sogenannte Marengo-Prozess. Dabei wurde unter anderem die Strafe für Ridouan Taghi, Kopf einer berüchtigten Drogenbande, verhandelt. Im Laufe des sechsjährigen Prozesses, an deren Ende Taghi im Februar 2024 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, soll er etliche Auftragsmorde befohlen haben.

So wurden beispielsweise der Bruder und der Anwalt des Kronzeugen getötet. Im Jahr 2021 räumte die "Mocro-Mafia" den niederländischen Journalisten Peter de Vries aus dem Weg, der Vertrauensperson des Kronzeugen gewesen war. De Vries, jahrelang investigativer Journalist mit Fokus auf Verbrechen, wurde in Amsterdam auf offener Strasse erschossen.

Die "Mocro-Mafia" soll auch bereits das niederländische Königshaus im Visier gehabt und die Entführung von Kronprinzessin Amalia geplant haben. Für Huth sind all das Zeichen dafür, dass die Straftäter es geschafft haben, die Demokratie zu unterwandern und Rechtsstaatsprinzip sowie Meinungsfreiheit auszuhöhlen. "Die Mocro-Mafia ist richtig gefährlich", sagt der Experte. Und der lange Arm der Verbrecher reicht bis nach Deutschland.

Verbindungen der "Mocro-Mafia" nach Deutschland

"Es gibt Verbindungen zu Tätergruppen in Deutschland", sagt Huth. Den Einfluss der "Mocro-Mafia" vor allem im angrenzenden Nordrhein-Westfalen habe man schon länger beobachten können, wenn Rauschgift aus Südamerika sichergestellt wurde. Insgesamt sei von mehreren hundert Mitgliedern auszugehen. Die Täter arbeiteten jedoch im Verborgenen und es gebe keine Erkennungszeichen.

"Was wir jetzt beobachten, ist, dass die 'Mocro-Mafia' Geschäftspartner, mit denen sie Probleme haben, hierzulande stellen. Das ist bedeutsam, denn dafür muss die Tätergruppe aus ihrer Komfortzone heraus", sagt Huth.

Trotz Grenzkontrollen in der Europäischen Union, insbesondere während der Europameisterschaft, sei die "Mocro-Mafia" in der Lage gewesen, Sprengmittel nach Deutschland zu bringen.

"Es ist den Tätern gelungen, ein Haus im Ausland zum Foltern anzumieten und Opfer zu observieren. Das macht man nicht mal eben so, deshalb ist es so bedeutsam. Wer hier in dieser Form tätig werden kann, hat hier ein Netzwerk, das das unterstützt", warnt der Beamte.

Das grenzüberschreitende Operieren sei für die Polizei eine Herausforderung. "Bei uns werden Vergeltungsschläge verübt, aber wir haben keine deutschen Ermittler in den Niederlanden vor Ort", sagt Huth. Auch die Nachtatphase spiele sich auch oft in den Niederlanden ab – die Täter flüchten über die Grenze.

Drogenkrieg droht zu eskalieren

"Wir sind also davon abhängig, was die niederländischen Kollegen bereit sind, an Ressourcen zu investieren. Bei herausragenden Delikten werden sie aktiv, aber nicht für ein Kilogramm Kokain", sagt Huth. In den Niederlanden gilt nämlich ein anderes Rechtsprinzip: Die Provinzen entscheiden über das Budget der Polizei und die Kriminalitätsschwerpunkte. Ausserdem muss die Polizei nicht jegliche Straftaten verfolgen, sondern die niederländischen Kollegen entscheiden selbst, ob sie einem Verbrechen nachgehen oder nicht.

Die Bevölkerung laufe Gefahr, bei den dramatischen Straftaten in Mitleidenschaft gezogen zu werden. "In den Niederlanden gibt es jährlich hunderte Anschläge mit Sprengstoff durch die Mafia, bei denen auch schon Unbeteiligte ums Leben gekommen sind", warnt Huth. Auch in Deutschland werden der "Mocro-Mafia" neben Drogengeschäften eine Verwicklung in zahlreiche Sprengungen von Geldautomaten zugeschrieben.

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"Es handelt sich um eine Tätergruppe, die vor nichts zurückschreckt, auch vor Mordaufträgen nicht. Ein Menschenleben hat für sie keinen Wert", warnt Huth. Der Staat müsse "richtig was aufbieten", um sich dem entgegenzustellen. Es gebe bereits jetzt zu wenig Personal, um der "Mocro-Mafia" Herr zu werden.

Dass sich der Drogenkrieg beruhigt, ist derweil nicht zu erwarten. Im Gegenteil: "Es fehlen zum jetzigen Zeitpunkt immer noch 300 Kilogramm Marihuana, welches die "Mocro-Mafia" zurückhaben will. Solange das nicht aufgetaucht ist, haben wir ein Problem", sagt Huth.

Über den Gesprächspartner

  • Oliver Huth ist Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen beim Bund deutscher Kriminalbeamter.

Verwendete Quellen

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