Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger des Kantons Zürich werden bald entscheiden, ob die Ehe in der Verfassung als Gemeinschaft zwischen Mann und Frau definiert werden soll. Der Vorstoss gilt als Reaktion auf zunehmend liberale Einstellungen gegenüber der Ehe zwischen Homosexuellen. Könnte diese Initiative das Rad der Zeit zurückdrehen?
"Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau": Diesen Satz will die kleine, ultra-konservative christliche Partei, die Eidgenössische Demokratische Union (EDU), welche die Initiative zum "Schutz der Ehe" lanciert hat, in der Verfassung des Kantons Zürichs verankern.
Die Partei argumentiert, dass die "Ehe in ihrer gegenwärtigen Form in grosser Gefahr" sei, denn es seien "Bestrebungen im Gang, die Ehe zu schwächen oder gar abzuschaffen". Die Partei verweist vor allem auf die Ehe zwischen Homosexuellen und auf Polygamie.
Gesellschaftlicher Trend
Obschon die Unterschriften für die Initiative zusammenkamen – im Kanton Zürich braucht es für eine Volksinitiative 6.000 Unterschriften –, geniesst die Vorlage, über die am 27. November abgestimmt wird, keine breite politische Unterstützung.
Parlament und Regierung des Kantons sprachen sich gegen die Initiative aus. Die Kantonsregierung argumentiert, dass das Recht auf Ehe in der Bundesverfassung garantiert und die zivilrechtlichen Aspekte der Ehe auf Bundesebene geregelt seien, deshalb sei eine kantonale Regelung unnötig.
Zudem weist die Regierung darauf hin, Diskussionen über die Definition der Ehe hätten in der jüngeren Vergangenheit gezeigt, dass die Gesellschaft in dieser Frage liberaler werde. Im Februar 2016 war eine nationale Abstimmung über Steuererleichterungen für Ehepaare unter anderem an der Kontroverse gescheitert, dass bei einer Annahme in der Bundesverfassung verankert worden wäre, die Ehe sei eine "auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau".
Auch das Komitee "Gemeinsam weiter Zürich", dem unter anderem lokale Politiker und Politikerinnen sowie Schwulenorganisationen wie Pink Cross angehören, setzt sich gegen die Initiative der EDU ein und bezeichnet deren Definition der Ehe als "diskriminierend".
Parlament debattiert über "Ehe für alle"
Das Schweizer Parlament wird seinerseits über die parlamentarische Initiative der Grünliberalen Partei, "Ehe für alle", debattieren. In einer Mitte Oktober 2016 veröffentlichten Umfrage hatten sich gut 70% der Befragten dafür ausgesprochen, dass in der Schweiz auch homosexuelle Paare sollten heiraten dürfen.
Im Schweizer System der direkten Demokratie ist es keine Seltenheit, dass Parteien oder andere Gruppierungen versuchen, gesellschaftlichen oder anderen Wandel mit politischen Vorstössen zu stoppen.
So setzt die Schweiz im Rahmen der Energiestrategie 2050 auf eine neue Energiepolitik, mit der unter anderem der Ausstieg aus der Nuklearenergie und eine Förderung von erneuerbaren Energiequellen angestrebt werden. Die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) hat bereits angekündigt, sie werde das Referendum gegen das "ruinöse Energiegesetz" ergreifen, das massiv in alle Lebensbereiche eingreife und viel zu teuer sei.
Gewisse Themen tauchten auf der politischen Agenda immer wieder auf, sagt der Politologe Georg Lutz. Manche Themen schafften es nie. Andererseits gehe es manchmal einfach lange, bevor ein Ziel erreicht werde. Ein klassische Beispiel dafür ist das Frauenstimmrecht: Erst nach einem jahrzehntelangen Kampf wurde dieses schliesslich – von den Schweizer Männern – auf nationaler Ebene 1971 angenommen. Auch der Beitritt der Schweiz zu den Vereinten Nationen dauerte seine Zeit: 1986 hatte das Volk den Beitritt noch deutlich abgelehnt, erst 2002, bei der zweiten Abstimmung zu der Frage, sagte es schliesslich Ja.
"Es ist meiner Ansicht nach ein faszinierender weltweiter Trend, wie rasch die Ehe zwischen Homosexuellen in vielen westlichen Ländern akzeptiert worden ist. Die Akzeptanz in der Gesellschaft nimmt zwar schon eine Weile zu, aber in den letzten 10 bis 20 Jahren gab es eine wirklich rasche Entwicklung", erklärte Lutz gegenüber swissinfo.ch. "Ich denke, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bevor die Gesetzgeber sich auch hier auf nationaler Ebene mit der Frage befassen werden."
Warum jetzt?
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wieso die Zürcher EDU denn nun noch diese Initiative lanciert hat. Angesicht der Bestrebungen, die Definition der Ehe auszuweiten, habe sich die Eidgenössische Demokratische Union entschieden, in der Zürcher Kantonsverfassung klar festzuschreiben, dass die "Ehe eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau" sei, erklärte der EDU-Abgeordnete Hans Peter Häring gegenüber swissinfo.ch in einer E-Mail. "Als christliche Partei ist uns wichtig, dass die christlichen Werte nicht aus unserem politischen Leben verdrängt werden."
Was die Chancen für die Initiative angeht, hofft die EDU auf Unterstützung der Schweizerischen Volkspartei und von Teilen der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP, Mitte-Rechts) "vor allem aber auf Unterstützung aus konservativen Kreisen, von Christen, aber auch von Juden und Muslimen", sagte Häring, der als Abgeordneter im Zürcher Kantonsparlament sitzt.
"Obschon wir keine Unterstützung vom [kantonalen] Parlament erhielten, hoffen wir auf eine vernünftige öffentliche Stimmung, die erkennt, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden muss", sagte er.
© swissinfo.ch
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