Der saudische Menschenrechtsaktivist Omar Abdulaziz hat gegenüber CNN Chat-Protokolle aus dem Messenger-Dienst WhatsApp vorgelegt, in denen Jamal Khashoggi über Massnahmen spricht, mit denen "die Bestie" Mohammed bin Salman aufgehalten werden solle. Die Inhalte sind hochbrisant und konspirativ - und waren möglicherweise Khashoggis Todesurteil. Denn etwas ging schief.
Der Mord an dem saudischen Journalisten und Regimekritiker Jamal Khashoggi ist ein Politikum von enormer Brisanz.
Es verdichten sich die Anzeichen, dass Kronprinz
Einem jüngsten Bericht des "Wall Street Journals" zufolge habe MbS in den Stunden vor der Tat mehrere Nachrichten an den mutmasslichen Kopf des Killerkommandos verschickt.
Der US-Geheimdienst sei auf Basis der Dokumente mit "mittlerer bis hoher" Sicherheit zu der Einschätzung gelangt, dass der Kronprinz Khashoggis Tod "wahrscheinlich angeordnet" habe.
Der Vorwurf basiert allerdings weiter auf Indizien, konkrete Beweise fehlen. Und so hatte US-Aussenminister Mike Pompeo den saudischen Kronprinzen am Rande des G20-Gipfels in Buenos Aires im Interview mit CNN in Schutz genommen.
Er habe alle CIA-Dokumente gelesen, so Pompeo, aber es gebe keinen Beleg, der Mohammed bin Salman "mit dem Mord an Jamal Khashoggi verbindet".
Khashoggi: "Tyrannei folgt keiner Logik"
Diesen Beleg können auch die nun bei CNN veröffentlichen Chat-Protokolle des saudischen Aktivisten und Khashoggi-Vertrauten Omar Abdulaziz nicht liefern. Von enormer Brisanz sind diese WhatsApp-Nachrichten aber dennoch.
In der Konversation wird deutlich, was für eine Gefahr die beiden Oppositionellen nicht nur in der Allmacht des saudischen Kronprinzen sehen, sondern vor allem in den charakterlichen Eigenheiten bin Salmans.
So bezeichnet Khashoggi MbS in einer Nachricht als "Bestie", als "Pac Man", der Gefallen daran fände, seine Opfer zu verschlingen.
Die politische Verhaftung Andersdenkender würde MbS eigentlich nicht nützen, doch "Tyrannei folgt keiner Logik". Er "liebt Gewalt und Unterdrückung und muss das auch zeigen", urteilt Khashoggi.
Er wäre nicht überrascht, würde sich bin Salman bald auch gegen jene wenden, die ihn eigentlich unterstützten. Verfolgung und Repression könnten sich in Saudi-Arabien somit noch deutlich verschärfen, meint Khashoggi.
Omar Abdulaziz, der seit 2014 in Kanada Asyl geniesst und sich zu diesem Zeitpunkt in Montreal aufhält, findet diese Einschätzung des Journalisten "beeindruckend" und fragt, ob es nicht möglich sei, dass MbS wieder moderater werde und politisch Inhaftierte begnadigen würde, wenn er erst einmal König wäre.
Khashoggis Antwort auf WhatsApp ist eindeutig: Dieses Denken impliziere Logik. Und da habe er beim Geisteszustand bin Salmans mittlerweile den Glauben verloren.
Worten folgen Taten: Cyber-Armee und "Bienen"
In den Chat-Protokollen zeigt sich, dass Khashoggi und Abdulaziz nicht nur über die Zustände in Saudi-Arabien diskutieren, sondern ihren Worten auch Taten folgen lassen wollen.
Beide planten den Aufbau einer digitalen Jugendbewegung im Land, um dem 33-jährigen Kronprinzen eine wirkungsvolle Opposition gegenüberzustellen.
"Jamal war der Überzeugung, dass MbS das Thema ist, das Problem. Und er sagte, dass dieses Kind gestoppt werden müsse", erzählt Abdulaziz bei CNN.
Zwischen Oktober 2017 und August 2018 planten beide laut der WhatsApp-Protokolle den Aufbau einer "Cyber-Armee" aus jungen Saudis, die Falschinformationen und Propaganda des Königshauses in den Sozialen Medien enttarnen sollte.
Die subversive Digital-Strategie wurde als "Cyber Bees" bezeichnet [Cyber-Bienen, Anm. d. Red.] und basierte auf einer früheren Idee der beiden Aktivisten, eine Plattform zur Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien aufzubauen.
"Wir haben ja keine parlamentarische Vertretung, wir haben nur Twitter", erklärt Abdulaziz im Interview mit CNN.
Im Zuge der Aktion wurden auch ausländische SIM-Karten verteilt, um so die Kommunikation der staatlichen Überwachung zu entziehen. Und auch Gelder zur Finanzierung der digitalen Offensive sind laut der Chat-Protokolle geflossen.
Khashoggis mögliches Todesurteil
Doch dann lief etwas schief. Eines Tages warnte Abdulaziz im WhatsApp-Chat Khashoggi, dass die saudische Führung wohl von den Plänen der beiden erfahren habe.
"Wie konnten sie das herausfinden?", fragte Khashoggi entsetzt.
Er habe erste Gruppen aufgebaut, berichtete Abdulaziz, und dabei müsse sich wohl ein Leck aufgetan haben.
Nach dieser Nachricht vergingen drei Minuten, ehe Khashoggi auf WhatsApp antwortete: "Gott stehe uns bei!"
Wissenschaftler des "Citizen Lab" der Universität von Toronto haben mittlerweile das Smartphone von Omar Abdulazis analysiert und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es mithilfe einer militärischen Spionage-Software gehackt worden war.
Laut Bill Marczak von der Universität Toronto wurde die Software von der israelischen Firma NSO Group entwickelt. Laut Marczak seien noch mindestens zwei weitere saudische Dissidenten mit der Software ausspioniert worden.
Der Einsatz der Software wurde mittlerweile auch von Experten im Auftrag von Amnesty International bestätigt. Die Menschenrechtsorganisation prüfe derzeit rechtliche Schritte gegen den Hersteller NSO Group, erklärt Amnesty-Sprecherin Danna Ingleton gegenüber CNN.
Und auch die Anwälte von Omar Abdulazis haben in Tel Aviv Klage eingereicht. Sie werfen NSO Group vor, die militärische Spionage wissentlich auch an autoritäre Regime verkauft und damit gegen internationales Recht verstossen zu haben.
Das Unternehmen solle "zur Rechenschaft gezogen werden, um das Leben von politischen Dissidenten, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten zu schützen", meint Abdullahiz bei CNN.
NSO Group erklärte in einer Stellungnahme, ihre Software sei von der israelischen Regierung überprüft und zugelassen worden. Solle es Missbrauch gegeben haben, werde man dem nachgehen.
Abdulazis: Khashoggis Rat rettete mein Leben
Doch die Geschichte ist damit noch nicht zu Ende erzählt.
Im Mai 2017, so berichtet Abdulazis bei CNN, habe er Besuch von zwei saudischen Regierungsvertretern in Montreal bekommen.
Die Gespräche hatte er heimlich mitgeschnitten, die etwa zehnstündige Aufzeichnung liegt CNN vor. Darin erklären die beiden Männer Abdulazis, sie seien auf Geheiss von Mohammed bin Salman geschickt worden.
Der Kronprinz verfolge sehr interessiert die Aktivitäten Abdulazis' auf Twitter und wolle ihm einen Job in der Regierung anbieten. In diesem Gespräch fällt auch der Name Saud al-Qahtani, dem Social-Media-Chef des saudischen Königshauses, der Abdulazis einen direkten Zugang zum Kronprinzen verschaffen könne.
Das Pikante: Saud al-Qathani wird von der Türkei als Drahtzieher des Mordes an Jamal Khashogi im Istanbuler Konsulat bezeichnet.
Unter massivem internationalen Druck hatte Riad zuletzt 21 Tat-Verdächtige verhaftet und unter Hausarrest gestellt, darunter auch Saud al-Qathani.
Die beiden saudischen Emmissäre hätten Abdulazis im Gespräch gebeten, für ein paar letzte Formalitäten und Papierkram das saudische Konsulat aufzusuchen.
Es war Khashoggi, ist sich der Aktivist nun sich, der ihm das Leben rettete: "Er sagte, ich solle nicht dort hingehen, sondern mich mit den beiden nur an öffentlichen Plätzen treffen."
Ein Ratschlag, an den sich Khashoggi selbst nicht hielt, als er am 2. Oktober 2018 das saudische Konsult in Istanbul betrat und nicht mehr lebend verlassen sollte.
"Das Hacken meines Telefons spielt eine entscheidende Rolle für das, was mit Jamal passierte", ist sich Abdulazis sicher. "Diese Schuld wird mich umbringen."
Verwendete Quellen:
- CNN: Jamal Khashoggi's private WhatsApp messages may offer new clues to killing
- Bericht "Citizen Lab" Universität Toronto
- Amnesty Intrenational: Israel: 'Rogue' NSO Group must have licence revoked over controversial surveillance software
- AFP
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