Es geht nicht um Zahlen für die Aufnahme von Flüchtlingen, es geht um ein Gesamtkonzept, sagt Kanzlerin Merkel. Sie setzt auf eine Europäisierung der Migrationspolitik. Doch wann kommt die?

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Nach dem Brand des griechischen Flüchtlingslagers Moria könnte ein neues Lager unter gemeinsamer Führung der EU und Griechenlands entstehen. Es habe in den vergangenen Tagen Überlegungen gegeben, "dass ein solches Flüchtlingslager sowohl von den griechischen Behörden und gegebenenfalls auch von den Agenturen der Europäischen Union mitgeleitet werden kann", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag nach einer Videokonferenz mit Chinas Präsident Xi Jinping.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sicherte deutsche Unterstützung zu, wenn auf der Insel Lesbos ein neues Aufnahmezentrum eingerichtet werden soll. Eine Konzentration nur auf eine Zahl an Flüchtlingen, die Deutschland aufnehmen solle, sei "der falsche Ansatz", sagte Merkel offensichtlich mit Blick auf die Forderung von SPD-Chefin Saskia Esken, umgehend eine hohe vierstellige Zahl an Flüchtlingen in Deutschland aufzunehmen.

Migrationspolitik soll europäisiert werden

Ein neues Aufnahmezentrum unter griechischer und EU-Verwaltung wäre ein Pilotprojekt, über das man nachdenken müsse. So lägen die Hoheitsrechte erst einmal bei Griechenland, sagte Merkel. Es müsse einen Vertrag geben, dass dort auch europäisch gehandelt werden könne, sagte die Kanzlerin. "Ich hielte das für einen wirklich wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer stärkeren Europäisierung der Migrationspolitik."

Von der Leyen ergänzte, es sei wichtig, dass ein "solches Pilotprojekt" eng an die Überlegungen des Migrationspakts gebunden sei, den die EU-Kommission nun schon kommende Woche Mittwoch vorstellen werde. Die EU-Staaten sind seit Jahren völlig zerstritten über die gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik. Hauptstreitpunkt ist vor allem die Verteilung Schutzsuchender auf die EU-Länder. Der neue Vorschlag der EU-Kommission soll die Blockade lösen. EU-Staaten und Europaparlament müssen darüber anschliessend noch verhandeln.

Neues Zeltlager für 5.000 Menschen

Die griechische Regierung drängt indessen die obdachlosen Migranten auf der Insel Lesbos, umgehend ein neues, provisorisches Zeltlager zu beziehen. "Ab kommenden Montag werden Asylverfahren nur für jene bearbeitet, die im Lager sind", sagte Migrationsminister Notis Mitarakis im griechischen Radio. Nach einem Bericht des Staatssenders ERT will die Regierung per Handzettel an Migranten auf Lesbos appellieren, das neue Zeltlager aufzusuchen. Bisher sollen nur 600 dort eingezogen sein.

Das neue Zeltlager könne jetzt mehr als 5.000 Migranten aufnehmen, sagte Mitarakis. In den kommenden Tagen solle es weiter ausgebaut werden, bis alle 12.000 Migranten, die jetzt obdachlos sind, untergebracht werden. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) schickte am Sonntag und Montag nach eigenen Angaben insgesamt vier Flugzeuge mit grossen Zelten nach Lesbos. Am Montag gingen zahlreiche Migranten erneut auf die Strassen von Lesbos und forderten, dass sie nach Westeuropa gebracht werden.

Entscheidung am Mittwoch erwartet

Merkel will eine Entscheidung über die Aufnahme bis zur Kabinettssitzung am Mittwoch. Sie sei dazu in Abstimmungen mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), sagte Merkel nach Angaben von Teilnehmern in einer CDU-Präsidiumssitzung. Sie plant nach diesen Angaben auch ein Treffen mit Bürgermeistern aus Deutschland, die sich für die Aufnahme von Geflüchteten einsetzen.

Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, sprach sich gegen Alleingänge von Kommunen aus. Die Flüchtlingsaufnahme liege rechtlich in der Verantwortlichkeit des Bundes, betonte er in den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Seehofer hatte am Freitag mitgeteilt, Deutschland werde von insgesamt 400 unbegleiteten Minderjährigen, die aus Griechenland in andere europäische Länder gebracht werden sollen, 100 bis 150 Jugendliche aufnehmen. Zudem wolle man in einem zweiten Schritt mit Athen über die Aufnahme von Familien mit Kindern sprechen.

SPD fordert Aufnahme weiterer Flüchtlinge

Die SPD fordert eine bundesweite Initiative für die Aufnahme von deutlich mehr Migranten aus dem abgebrannten Lager Moria als geplant. "Wir wollen, dass Deutschland durch ein Aufnahmeprogramm des Bundes einem massgeblichen Anteil dieser geflüchteten Menschen schnell, organisiert und kontrolliert Aufnahme, Schutz und Perspektive bietet", heisst es in einer Resolution des SPD-Vorstands. "Allein 400 unbegleitete Kinder auf mehrere EU-Staaten zu verteilen und davon 150 nach Deutschland zu bringen, ist völlig ungenügend."

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU), sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Die Übernahme von Migranten und Flüchtlingen von den europäischen Aussengrenzen muss aber eine Ausnahme in der aktuellen Notsituation bleiben." Auch wäre ein deutscher Alleingang politisch ein falsches Signal. "Eine Situation wie 2015 darf sich nicht wiederholen", betonte er.

47 Prozent dafür, 39 Prozent dagegen

Grünen-Chefin Annalena Baerbock fordert von der Bundesregierung und anderen EU-Ländern ein ernst gemeintes Angebot an Griechenland, Migranten aufzunehmen. Ein Grund, dass Athen die Menschen aus dem abgebrannten Lager Moria nicht aufs Festland holen wolle, seien nicht eingehaltene Zusagen der Vergangenheit, sagte Baerbock.

Die AfD sprach sich strikt gegen die Aufnahme von Migranten von der Insel Lesbos aus.

Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Yougov zufolge befürworten 47 Prozent der Menschen in Deutschland, Migranten aus Moria aufzunehmen. 39 Prozent lehnen dies ab. (mss/dpa)

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