Der Ton der Bundesregierung ist scharf geworden gegenüber Russland. Erklärungen zur Vergiftung des Oppositionellen Nawalny werden verlangt. Die Wortwahl in Moskau ist nicht freundlicher. Und die Diskussion um die Pipeline Nord Stream 2 hält an.

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Im Streit um die Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny erwartet Russland von Deutschland Belege. "Es ist an der Zeit, die Karten offen zu legen, weil es für alle klar ist: Berlin blufft, um einem schmutzigen politischen Getue dienlich zu sein", schrieb die Sprecherin des russischen Aussenministeriums, Maria Sacharowa, am Dienstag auf Facebook. Das betreffe die Ergebnisse der Untersuchungen in einem Labor der Bundeswehr und die Beweise des deutschen Aussenministeriums, schrieb Sacharowa. Russland bestreitet, in den Fall verwickelt zu sein.

Der deutsche Botschafter werde zum Gespräch erwartet, so Sacharowa. Das Gespräch soll am Mittwoch stattfinden, verlautete aus der deutschen Botschaft. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hiess es, dass es sich um einen lange geplanten Termin handele.

In Deutschland geht derweil die Diskussion um mögliche Auswirkungen für die Pipeline Nord Stream 2 weiter, die durch die Ostsee gebaut wird und Erdgas von Russland nach Deutschland transportieren soll.

Nawalny seit dem 20. August in der Charité

Nawalny, einer der schärfsten Gegner von Kremlchef Wladimir Putin, war am 20. August auf einem Inlandsflug in Russland ins Koma gefallen und später auf Drängen seiner Familie in die Berliner Charité verlegt worden. Die Bundesregierung hatte nach Untersuchungen in einem Spezial-Labor der Bundeswehr mitgeteilt, dass sie es als zweifelsfrei erwiesen ansehe, dass Nawalny mit dem militärischen Nervengift Nowitschok vergiftet worden sei. Am Montag wurde bekannt, dass der 44-Jährige nach mehr als zwei Wochen wieder aus dem Koma geholt wurde.

Am Dienstag soll zudem ein Büro in Nowosibirsk angegriffen worden sein. Dort arbeiten Nawalnys Team und auch Oppositionelle, die der Kremlkritiker bei seiner Reise durch Sibirien unterstützt hatte. Unbekannte hätten eine Flasche mit Chemikalien in das Büro geworfen und seien geflüchtet, teilte Nawalnys Team in Nowosibirsk mit. Zwei freiwillige Mitarbeiter seien ins Krankenhaus gebracht worden.

Merkel noch unentschlossen

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte in einer Sitzung der Unionsfraktion in Berlin nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur von mehreren Teilnehmern zu einem möglichen Stopp von Nord Stream 2: "Ich habe mir da noch kein abschliessendes Urteil gebildet."

Merkel sagte nach diesen Informationen, nun werde man in der Europäischen Union Schritt für Schritt über eine Antwort sprechen, - spätestens auf dem Brüsseler EU-Gipfel am 24. und 25. September. In der EU mache nicht jeder Nord Stream 2 nun zum Thema. Russland als Mitglied der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) könne auch Beiträge zur Aufklärung leisten. Bislang habe man davon aber noch nichts gesehen. Merkel betonte: "Es ist eine europäische Reaktion gefragt, es ist keine spezielle Attacke auf Deutschland gewesen."

Wirtschaftliches oder politisches Projekt?

Der Kreml liess wissen, dass er die Diskussionen über einen möglichen Baustopp für Nord Stream 2 für überflüssig hält. "Warum sollte man von irgendwelchen negativen Massnahmen gegenüber dem internationalen Projekt sprechen, an dem auch deutsche Unternehmen beteiligt sind?", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge in Moskau. Der Kreml sieht die Gasleitung von Russland nach Deutschland als ein wirtschaftliches Projekt und kein politisches, was bisher auch Linie der Bundesregierung war.

Auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus drängte auf eine europäische Antwort. "Ich finde es schon erstaunlich, dass wir ein Problem, eine Menschenrechtsverletzung, eine ganz schlimme Sache, die in Russland passiert ist, jetzt zu einem deutschen Problem machen", kritisierte er. Zugleich vermied er eine Festlegung im Streit über ein Aus oder ein Moratorium für die Ostsee-Gaspipeline.

Schwesig stellt Pipeline nicht in Frage

Nach Ansicht von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sollte Nawalnys Vergiftung nicht dazu genutzt werden, die Erdgasleitung in Frage zu stellen. Die Trasse soll in Mecklenburg-Vorpommern das deutsche Festland erreichen und sorgt dort auch für Arbeitsplätze. Es handele sich um ein Energieversorgungsprojekt, dass vor allem im deutschen und auch westeuropäischen Interesse liege, erklärte sie in Schwerin.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich setzt auf die Hilfe der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), die eigene Untersuchungen vornehmen und den Sicherheitsrat einschalten könne. "Das ist ein Vorgehen, das der Bundesregierung nach meinem Dafürhalten auch gut zu Gesichte steht." Die OPCW hatte vergangene Woche Hilfe bei der Aufklärung des Falls Nawalny angeboten.

Sowohl in der SPD wie auch in der Union gibt es völlig konträre Meinungen zum Umgang mit der Pipeline als Reaktion auf den Fall Nawalny. Sie reichen von der Forderung nach einem Aus oder einem Moratorium bis hin zu der Meinung, die Gasleitung solle weitergebaut werden.

Polen spricht von "letztem Weckruf"

Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki forderte von Deutschland mit Blick auf die Vergiftung Nawalnys und Russlands Drohung einer Intervention in Belarus eine Abkehr von Nord Stream 2. Dies sei der "letzte Weckruf" für die Bundesregierung, das Projekt zu stoppen, sagte er dem TV-Sender Bloomberg. "Ich denke, nach dem Fall Nawalny sollte das eigentlich ein Selbstläufer sein." Nord Stream 2 umgeht Transitländer wie Polen und die Ukraine. Die Regierung in Warschau fürchtet, dass Russland damit die Abhängigkeit Europas von seinen Gaslieferungen erhöhen und die bisherigen Transitländer unter Druck setzen könnte. (mss/dpa)

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