In ihren Videos auf Tiktok und Instagram geben sich die Macher hinter dem Kanal als Friedensaktivisten, die nur das Gute wollen. Tatsächlich fordern sie die Rückkehr zum Kalifat.
Es wirkt zunächst recht harmlos, was der Instagram-Kanal "Muslim Interaktiv" anbietet. In einem der Videos, das ganz oben am Profil angeheftet ist, wünscht einer der beiden Präsentatoren des Kanals allen Muslimen einen Eid Mubarak zum Zuckerfest am 10. April. Das Zuckerfest beschliesst das Ende des Fastenmonats Ramadan im muslimischen Glauben und ist für diese einer der wichtigsten Festtage des Jahres. Traditionell wünscht man sich hierbei einen Eid Mubarak, ein gesegnetes Fest.
Im Anschluss an die Wünsche wird es dann politisch. Der Ramadan sei in diesem Jahr für viele Muslime in der Welt überschattet durch Gewalt. In Syrien, Kaschmir, Palästina und anderen Ländern könnten Muslime das Fest nicht richtig geniessen. "Während die Herrscher dieses Fest instrumentalisieren, suchen unsere Geschwister nach Essen", so heisst es im Video.
Rückkehr zum Kalifat
Was damit genau gemeint ist, erschliesst sich in einem der anderen Videos des Kanals. Dort werden die drei "schlechtesten Herrscher" der muslimischen Welt gezeigt. Darunter der saudische Herrscher
In einem weiteren Video trauert der Kanalbetreiber dem Kalifat nach, das 1924 abgeschafft wurde und an dessen Stelle unter anderem die säkulare Türkei trat. Die Muslime seien dadurch ihrer "Freiheit beraubt" worden, so der Moderator. Die Katastrophen in der Welt wie der "Genozid in Palästina" würden nur deshalb stattfinden, weil die muslimische Welt in "schwache Einzelstaaten" aufgeteilt sei. Er fordert daher eine Rückkehr zu ihrem "Schutzschild", dem Kalifat.
Experten warnen vor "Muslim Interaktiv"
Hinter dem Kanal steckt ein Nutzer, der sich "Raheem Boateng" nennt. Laut Informationen der "Bild"-Zeitung handelt es sich dabei um einen 25-jährigen Studenten aus Hamburg. Auf Instagram und Tiktok folgen ihm Tausende. Der Hamburger Verfassungsschutz warnt dagegen vor "Muslim Interaktiv".
Die Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus (BAG RelEx) erklärt gegenüber unserer Redaktion: Obwohl "Muslim Interaktiv" nicht zu Gewalt aufrufe, sei die Gruppe problematisch, da sie nicht zu einem gemeinschaftlichen, demokratischen und pluralistischen Miteinander aufrufe, "sondern Spaltung provoziert und ein klares Freund-Feind-Schema heraufbeschwört".
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Dabei setze die Gruppe auf ein nahbares und authentisches Auftreten und kleide sich dementsprechend. Der Frontmann der Gruppierung, der sich "Raheem Boateng" nennt, tritt in Outfits auf, die auch Rapper tragen könnten. Er ist durchtrainiert, modern frisiert und gestylt. Das spricht vor allem junge Nutzer an.
Radikale profitieren vom Algorithmus der Plattformen
Ihre Anhängerschaft rekrutiert "Muslim Interaktiv" vor allem online in den sozialen Medien, wie BAG RelEx erklärt. Das hat Gründe: "Die Gruppe profitiert unter anderem von den Logiken der Plattformen – Algorithmen, Hashtags etc. – durch die ihre Botschaften stärker in den 'Mainstream' gespült werden." Mit emotionalisierenden Videos und Bildern greife die Gruppe Debatten auf und instrumentalisiere diese für ihre Zwecke.
"Muslim Interaktiv" gehört laut der Bundesgemeinschaft religiös begründeter Extremismus aktuell zu den relevantesten islamistischen Gruppen in Deutschland. Bei Tiktok erreicht sie fast 22.000 Follower, auf YouTube rund 15.400. Wichtig in der Betrachtung der Follower-Zahlen sei allerdings, dass sie nicht gleichbedeutend mit aktiven Unterstützerinnen und Unterstützern oder "Mitgliedern" der Gruppe sind und dementsprechend nicht überschätzt werden sollten, so BAG RelEx. Trotzdem zeigten die Zahlen, dass die Botschaft durchaus ankomme.
So gefährlich ist "Muslim Interaktiv"
In den sozialen Medien inszeniert sich die Gruppe als "Verteidiger des Islams". Dabei spricht sie tatsächliche Missstände an, wie den Krieg im Gaza-Streifen oder die Diskriminierung von muslimischen und als muslimisch gelesenen Menschen. Allerdings instrumentalisiere sie diese dabei für ihre Zwecke, so die BAG RelEx. "Dabei nimmt 'Muslim Interaktiv' eine Homogenisierung von 'den Musliminnen und Muslimen' und eine starke Abgrenzung zu anderen gesellschaftlichen Gruppen beziehungsweise 'dem Westen' vor." Dadurch entstehe ein zweiteiliges Weltbild zwischen Gut und Böse.
Damit befeuere die Gruppe Entfremdungsgefühle und Opfernarrative und kreiere ein Bedrohungsszenario, verbunden mit dem Appell, aktiv zu werden. "Als Zukunftsvision skizziert die Gruppe die Vereinigung aller Muslim*innen in einem Kalifat", so die BAG RelEx. Mit diesem Kalifat stellt die Gruppe das Existenzrecht muslimischer Länder infrage und die Trennung von Religion und Staat, wie sie in Deutschland gilt.
Zuletzt hatte der sogenannte "Islamische Staat" in Syrien und dem Irak ein Kalifat ausgerufen, in dem die Scharia herrschte und unter anderem die Todesstrafe auf teilweise absurde Vergehen verhängt wurde wie "Beleidigung des Koran" und "Hexerei". Auch deshalb werden Forderungen nach einem Kalifat kritisch gesehen.
Über den Gesprächspartner
- Die Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus e.V. (BAG RelEx) ist ein gemeinnütziger Verein, der sich der Demokratieförderung und Prävention von religiös begründetem Extremismus widmet.
Verwendete Quellen
- Schriftliche Einschätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus e.V.
- instagram.com: Minteraktiv
- bild.de: Dieser Student ist Anführer der Steinzeit-Islamisten
- ndr.de: Hamburger Verfassungsschutz warnt vor Propaganda von Islamisten
- faz.net: Fast 4000 Hinrichtungen im "Islamischen Staat"
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