Es ist einer der blutigsten Anschläge auf Juden in Jerusalem der letzten Jahre: Zwei Palästinenser richten in einer Synagoge im Stadtviertel Har Nof ein Blutbad an. Sieben Menschen sterben. Es ist bisher der vorläufige Höhepunkt im Streit um Jerusalem und dem Tempelberg. Und es können weitere Anschläge folgen, warnt Nahost-Experte Kristian Brakel im Gespräch.

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Herr Brakel, Jerusalem ist geschockt von dem blutigen Anschlag in einer Synagoge. Welche besondere Rolle kommt dieser Stadt im Konflikt mit den Palästinensern zu?

Kristian Brakel: Die Stadt Jerusalem ist ein Pulverfass. Der aktuelle Konflikt hat sich zwischen Israelis und Palästinenser am Streit um das Heiligtum entzündet – das ist für die Juden der Tempelberg, für Palästinenser der Harm Ash-Sharif. Bisher gibt es eine Aufteilung: Die Juden beten an der Klagemauer am Fusse des Berges, die Muslime oben drauf. Doch radikale jüdische Siedler versuchen immer wieder, auf diesen Berg zu kommen und Gebete durchzuführen. Dadurch wollen sie ihre Oberhoheit behaupten. Das ist zwar nur eine kleine Gruppe, aber sie wird von radikalen Elementen in der israelischen Regierung unterstützt. Die Palästinenser haben dazu in all den Jahren erlebt, wie Radikale mit Unterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung sie aus ihren Häusern vertrieben haben und wie diese Radikalen versuchen ihre Oberhoheit über die Stadt das Stück für Stück auszudehnen. Die Provokationen säen Hass und Misstrauen.

Israel wird zunehmend von religiösen Auseinandersetzungen ereilt, Gotteshäuser sind potenzielle Anschlagsziele. Steht das Land jetzt vor einem Glaubenskrieg?

Brakel: Grundsätzlich ist der Konflikt kein rein-religiöser. Es geht um ganz nachvollziehbare Probleme wie etwa Diskriminierung, Wohnraum, Vertreibung, Beschlagnahmung von Land. Die Religion sitzt oben drauf und bietet eine einfache Möglichkeit für beide Seiten sich mit ihrer Gruppe zu identifizieren. Das nutzen radikale Gruppen. Politiker auf beiden Seiten und verstärkt in Israel haben in den letzten Jahren die Identität des israelischen Staates mit einem aggressiven, religiösen Nationalismus verknüpft.

Inwiefern sind die Zusammenstösse auf politische Entscheidungen zurückzuführen?

Brakel: Der Konflikt folgt einer bestimmten Entwicklung seit der jüdischen Zuwanderung im letzten Jahrhundert, der israelischen Staatsgründung und der Besetzung palästinensischer Gebiete. Es ist klar, dass da, wo israelische Radikale von der Regierung unterstützt werden, wo eine Politik der Diskriminierung und Vertreibung von Palästinensern stattfindet, es unweigerlich zu Zusammenstössen kommen muss.

Wie hoch kann der Druck auf die Palästinenser noch werden?

Brakel: Es gibt jetzt schon eine recht starke militärische Kontrolle der Palästinenser. Ohne einen gerechten Frieden wird es aber keine nachhaltige Sicherheit geben.

Bedeutet das, es kann oder wird auf eine militärische Lösung hinauslaufen?

Brakel: Netanjahu hat bereits angekündigt, die Sicherheitskräfte zu verstärken. Es soll mehr Patrouillen geben. Zudem soll die Trageerlaubnis für Waffen ausgeweitet werden. Natürlich kann Israel noch mehr unternehmen. Doch ein militärisches Vorgehen wäre eigentlich nur in der Westbank und dem Gaza-Streifen denkbar, nicht aber in Jerusalem. Man muss bedenken, dass in Ost-Jerusalem nicht nur Palästinenser leben, sondern mittlerweile auch viele Israelis. Israel kann in der Stadt also keine gross angelegte militärische Aktion durchführen, da es die eigene Bevölkerung beträfe. Den Konflikt militärisch lösen zu wollen, ist ohnehin illusorisch.

Was ist der Worst Case für die Palästinenser in Jerusalem?

Brakel: Israel hat Jerusalem 1967 annektiert. International ist das nie anerkannt worden. Aber Israel sagt bis heute, Jerusalem sei die unteilbare Hauptstadt. Damals hat die Vertreibung der Palästinenser aus der Stadt begonnen. Die israelische repressive Politik gegen die Palästinenser setzt sich bis heute fort. UN-Statistiken zeigen, dass Tausenden von Palästinenser in den letzten Jahren in Jerusalem das Aufenthaltsrecht entzogen worden ist – aus den einen oder anderen fadenscheinigen Gründen. Wie repressiv die Politik ist, zeigt sich auch in den Ostjerusalemer Stadtvierteln. Allein was die Infrastruktur betrifft, ist der Osten erheblich benachteiligt. Die israelische Regierung hat kein Interesse daran, das Leben der Palästinenser im Ostteil der Stadt zu verbessern, weil sie wollen, dass sie gehen.

Israel erhöht also den Druck auf die Palästinenser. Wird dadurch noch mehr Hass gesät?

Brakel: Die Besatzungssituation kann eine Weile durch Extremdruck auf die Palästinenser aufrechterhalten werden. Aber früher oder später wird sich der Druck entladen, es wird weitere Anschläge geben.

Nahost-Experte Kristian Brakel von der Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. arbeitete als politischer Analyst für verschiedene Nichtregierungsorganisationen, die Vereinten Nationen und die EU im Nahen Osten und Nordafrika. Zudem war er als Berater des EU-Sonderbeauftragten für den Nahen Osten in Brüssel tätig.
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