Nach tödlichen Angriffen auf führende Mitglieder der Hamas und Hisbollah drohen der Iran und seine Verbündeten mit Vergeltungsschlägen gegen Israel. Die internationale Gemeinschaft, darunter die G7 und Russland, bemüht sich um Deeskalation. Israels Regierungschef Netanjahu lässt sich nicht einschüchtern.
Im Nahen Osten herrscht angespanntes Warten auf angekündigte Vergeltungsschläge des Irans und seiner Verbündeten gegen Israel. Angesichts gegenseitiger Drohungen wird befürchtet, es könnte in der Folge ein grösserer Krieg ausbrechen. Der Iran wolle zwar keine Eskalation in der Region, Israel müsse aber definitiv bestraft werden, sagte der iranische Aussenamtssprecher Nasser Kanaani. Der genaue Zeitpunkt der Angriffe ist unklar, könnte aber nach Medienberichten unmittelbar bevorstehen.
Auslöser der gefährlichsten Krise in der Nahost-Region seit Jahrzehnten waren zwei tödliche Angriffe vergangene Woche auf führende Mitglieder der Hamas und der Hisbollah. In der Nacht zu Mittwoch tötete eine Explosion im Zimmer eines Gästehauses der iranischen Regierung in Teheran den Auslandschef der islamistischen Hamas, Ismail Hanija. Wenige Stunden zuvor war der ranghohe Hisbollah-Kommandeur Fuad Schukr in der libanesischen Hauptstadt Beirut bei einem Luftangriff getötet worden.
Zum Angriff auf Schukr bekannte sich Israel, zum Anschlag auf Hanija gab es bislang keine offiziellen Äusserungen dieser Art aus Jerusalem. Der Iran und die mit ihm verbündete Hamas machen den jüdischen Staat in beiden Fällen verantwortlich.
Lesen Sie auch:
Die Führung in Teheran und die von ihr unterstützte Schiiten-Miliz Hisbollah drohten Israel mit massiver Vergeltung für die Anschläge. Die Regierung
Bericht: Iran nimmt Krieg gegen Israel in Kauf
Arabische Diplomaten sollen einem Zeitungsbericht zufolge in Teheran vorstellig geworden sein und sich dort für eine möglichst massvolle Reaktion auf die Attentate eingesetzt haben. Die iranische Führung habe den Emissären jedoch beschieden, es sei ihr gleichgültig, ob der geplante Vergeltungsschlag einen Krieg auslöst, berichtete das "Wall Street Journal" unter Berufung auf Personen, die mit den Inhalten der Gespräche vertraut seien.
In einer gemeinsamen Videokonferenz riefen die G7-Aussenminister alle Konfliktparteien zur grösstmöglichen Zurückhaltung auf, um eine zusätzliche Eskalation zu verhindern.
Deutschland bemüht sich ebenso um Deeskalation. In diesen Stunden stelle sich die Frage, "ob wir einen Ausstieg aus der Eskalationsspirale finden", teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin mit. Bundesaussenministerin Annalena Baerbock habe am Freitag mit ihrem jordanischen Amtskollegen Aiman al-Safadi telefoniert, bevor dieser zu einem Gespräch in Teheran aufgebrochen sei. "Wir sprechen intensiv mit allen Partnern, die unsere Sorgen teilen." Eine Eskalation sei vermeidbar.
Kremlchef Wladimir Putin schickte indes seinen Vertrauten Sergej Schoigu zu Gesprächen nach Teheran. Der Sekretär des russischen Nationalen Sicherheitsrates sollte Fragen der regionalen und internationalen Sicherheit erörtern, wie russische Agenturen meldeten.
USA und weitere Verbündete stehen weiter hinter Israel
Unklar bleibt, wann der angedrohte Vergeltungsschlag erfolgen könnte. Israel kann gleichzeitig fest mit der Unterstützung der USA und wohl auch anderer Verbündeter rechnen, wenn es darum geht, Raketen, Marschflugkörper und Drohnen des Irans sowie seiner Stellvertretergruppen mit modernen Abwehrsystemen abzufangen.
So war es bereits Mitte April beim ersten direkten Angriff von iranischem Boden auf Israel geschehen. Die meisten der Geschosse konnte Israel damals aus eigener Kraft und mit Hilfe der USA und anderer Verbündeter abfangen. Erst am Sonntag hatte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin seinem israelischen Kollegen Joav Galant in einem Telefonat "eiserne Unterstützung" bei der Selbstverteidigung zugesichert, wie das Pentagon mitteilte. Nun wird jedoch mit einer möglichen grösseren Beteiligung der libanesischen Hisbollah gerechnet, die über ein Arsenal von rund 150.000 Raketen verfügt.
Der Kommandeur der US-Truppen im Nahen Osten, General Michael Erik Kurilla, traf in Israel ein und beriet sich mit Generalstabschef Herzi Halevi, wie das israelische Militär mitteilte. Es sei dabei auch um "gemeinsame Vorbereitungen" gegangen, um den Bedrohungen in der Region zu begegnen, hiess es auf der Plattform X.
Weitere Flüge in den Nahen Osten gestrichen
Im Südlibanon wurden indes nach offiziellen Angaben zwei Menschen bei einem israelischen Angriff getötet. Die libanesische Staatsagentur NNA berichtete, unter den Opfern in dem Ort Meissa al-Dschabal sei auch mindestens ein Mitglied des Rettungsdiensts Risala. Die Hisbollah erklärte einen ihrer Kämpfer aus dem Ort für tot. Zuvor hatte es an der israelisch-libanesischen Grenze bereits gegenseitigen Beschuss gegeben. Dabei wurden in Nordisrael nach Armeeangaben zwei Soldaten leicht verletzt.
Am Flughafen der libanesischen Hauptstadt Beirut herrschte zugleich Chaos. Mehrere internationale Fluggesellschaften haben ihre Verbindungen in den Libanon aus Sorge vor einer Eskalation vorübergehend eingestellt.
Auf einer Krisenvorsorge-Liste für deutsche Staatsbürger im Libanon haben sich mittlerweile 2.100 Menschen registriert, wie ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte. In der vergangenen Woche waren es demnach erst 1.300 Menschen gewesen. Es sei allerdings nicht bekannt, wie viele davon aufgrund der dringenden Warnung des Auswärtigen Amtes in der vergangenen Woche mittlerweile aus dem arabischen Land ausgereist seien.
Die Lufthansa-Gruppe strich unterdessen weitere Flüge in den Nahen Osten. So wurden etwa die Verbindungen nach Israel und Teheran für vier weitere Tage bis einschliesslich Montag, den 12. August ausgesetzt, wie der Konzern in Frankfurt erklärte.
Bundeswehr bereitet Evakuierung von Deutschen vor
Wegen der befürchteten Eskalation ist die Bundeswehr bereit für einen grossen Einsatz zur Evakuierung deutscher Staatsbürger. Dazu werden auf dem Fliegerhorst im niedersächsischen Wunstorf Transportflugzeuge vom Typ A400M und Soldaten bereitgehalten, die kurzfristig starten können, wie der Deutschen Presse-Agentur erklärt wurde. Vorbereitungen laufen demnach auch in der Marine. Bei dem Einsatz könne es vor allem um die trotz mehrfacher Aufrufe im Libanon verbliebenen Deutschen gehen.
Auch einem "Spiegel"-Bericht konzentrieren sich die Militärs vor allem auf die Rettung von Deutschen aus dem Libanon. A400M-Transportflugzeuge könnten nach wenigen Stunden Flugzeit Deutsche in Beirut aufnehmen, auf der nahegelegenen Insel Zypern absetzen und wieder in Richtung der libanesischen Hauptstadt losfliegen, berichtete das Nachrichtenmagazin. Für eine mögliche Abholung auf dem Seeweg könnte die Fregatte «Hamburg» aktiv werden, die eigentlich unterwegs zu einer Operation im Roten Meer sei. Derzeit befindet sich das Schiff südlich von Griechenland.
Netanjahu: "Wer auch immer uns zu schaden versucht, wird einen hohen Preis bezahlen"
Regierungschef Netanjahu sagte, der Iran versuche, Israel mit einem "Feuerring des Terrorismus einzukreisen". Netanjahu sagte weiter: "Wir sind bereit, ihnen an jeder Front entgegenzutreten - ob in der Nähe oder in der Ferne. Wer auch immer uns zu schaden versucht, wird einen hohen Preis bezahlen."
Die jüngste Eskalation ist eine Folge des Kriegs, den Israel seit fast zehn Monaten gegen die Hamas im Gazastreifen führt. Dieser wiederum wurde durch das beispiellose Massaker ausgelöst, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres im Süden Israels verübten. Dabei töteten sie rund 1.200 Menschen und verschleppten weitere 250 als Geiseln in den Gazastreifen.
Israel setzte es sich zum Ziel, die Hamas als militärische und politische Organisation zu zerschlagen. Dem Krieg sind aber auch unzählige palästinensische Zivilisten im Gazastreifen zum Opfer gefallen. Israel steht deshalb weltweit in der Kritik. Indirekte Verhandlungen Israels mit der Hamas, die zu einer Waffenruhe und der Freilassung der Geiseln führen sollen, treten seit Monaten auf der Stelle. (dpa/bearbeitet von br)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.