Der Nahost-Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist für viele Menschen nur schwer verständlich. Ihn zu erklären, ist gar nicht so einfach. Auf vielfachen Wunsch unserer Leserinnen und Leser machen wir es trotzdem – mit einem Blick in die Geschichte und auf die Grundlinien des Konflikts.
Es geht um ein relativ kleines Gebiet. Um knapp 30.000 Quadratkilometer, eine Fläche etwa so gross wie Brandenburg. Doch dieses Gebiet zwischen der östlichen Mittelmeerküste und dem Jordan-Fluss, das häufig als Palästina bezeichnet wird, beschäftigt die Welt seit Jahrzehnten.
Dort spielt sich der Nahost-Konflikt ab: der Konflikt zwischen Israel auf der einen Seite und seinen arabischen Nachbarstaaten sowie den Palästinensern auf der anderen Seite. Seit dem Terroranschlag der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem folgenden Krieg Israels gegen die Hamas hat er sich erneut drastisch zugespitzt.
Zwei Völker wollen auf diesem Gebiet ihren Staat aufbauen beziehungsweise ihn erhalten. Das klingt einfach und ist doch so kompliziert, dass der Nahost-Konflikt seit Jahrzehnten ungelöst ist. Wir versuchen in diesem Text, ihn Schritt für Schritt zu erklären.
Palästina: Ein Gebiet von grosser Bedeutung für alle Beteiligten
Blicken wir zunächst etwa 130 Jahre zurück: Ende des 19. Jahrhunderts gehört Palästina zum riesigen Osmanischen Reich, das sich vom Balkan bis auf die Arabische Halbinsel erstreckt. Auf dem Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan-Fluss leben Muslime, Juden, Christen. Für alle drei Religionen ist die Gegend wegen ihrer Geschichte und der heiligen Stätten von grosser Bedeutung. Juden siedelten hier schon lange vor der Geburt Christi. Spätestens seit dem Jahr 691 sind aber auch Muslime dort präsent.
Ab Ende des 19. Jahrhunderts ziehen immer mehr Jüdinnen und Juden in das Gebiet. Sie kommen aus Europa, Russland, auch aus Teilen des arabischen Kulturraums. Sie fliehen vor Antisemitismus und Verfolgung. Der Zionismus entsteht: die Überzeugung, dass das jüdische Volk auf der Welt einen eigenen Staat braucht. Die Juden sehen wegen ihrer historischen und religiösen Verwurzelung in dieser Bewegung eine Rückkehr, keine neue Einwanderung.
Nach dem Ersten Weltkrieg zerfällt das Osmanische Reich, und Grossbritannien erobert Palästina. Die Briten verwalten das Gebiet im Auftrag des Völkerbunds (dem Vorgänger der Vereinten Nationen). Überall im früheren osmanischen Vielvölkerstaat pochen neue Nationen auf Eigenständigkeit. Das gilt auch für Juden und Araber in Palästina.
Doch wie können zwei Völker gleichzeitig einen Staat auf demselben Gebiet aufbauen? Dieses Problem bleibt bis heute ungelöst.
Auf Israels Staatsgründung folgen Kriege und Besetzungen
Nach dem Völkermord an mehr als sechs Millionen Jüdinnen und Juden im nationalsozialistischen Deutschland nimmt nicht nur die jüdische Einwanderung nach Palästina zu. Auch die Idee des ersten jüdischen Staates der Welt findet immer mehr Anhänger: Nach dem Holocaust soll das Judentum endlich einen sicheren Ort bekommen.
1947 leben in Palästina 600.000 Juden und 1,2 Millionen Araber. Letztere werden heute meistens Palästinenser genannt. Die Vereinten Nationen entwickeln einen Teilungsplan. Auf dem Gebiet sollen nebeneinander ein jüdischer und ein arabischer Staat entstehen. Jerusalem soll als Hauptstadt beider Staaten unter internationaler Verwaltung stehen. Doch dieser Plan wird nie umgesetzt.
Am 15. Mai 1948 ruft David Ben-Gurion den Staat Israel aus. Die arabischen Nachbarländer lehnen einen jüdischen Staat in Palästina jedoch ab. Einen Tag später erklären Ägypten, Jordanien, Syrien, der Libanon und der Irak dem neuen Staat den Krieg. Sie marschieren in Israel ein, laufen aber in eine Niederlage. Israel kann den Überfall nicht nur zurückschlagen, sondern erobert auch neue Gebiete, unter anderem einen Grossteil Jerusalems und Galiläa. Diese damals gezogene Grenze Israels gilt heute als international anerkannt.
In Israel spricht man vom erfolgreichen Unabhängigkeitskrieg, in der arabischen Welt dagegen von der Nakba, der Katastrophe. Rund 700.000 Palästinenser fliehen in angrenzende Staaten oder werden dorthin vertrieben. Das Schicksal von ihnen und ihren Nachfahren ist bis heute ungelöst: Israel will nicht, dass die Flüchtlinge auf ihr ursprüngliches Land zurückkehren. Die angrenzenden arabischen Staaten wollen sie nicht dauerhaft in ihre Gesellschaften integrieren.
1967 kommt es mit dem Sechs-Tage-Krieg zu einem weiteren Einschnitt. Israel erobert Gebiete, die zuvor Ägypten, Jordanien oder Syrien beansprucht hatten: den Gaza-Streifen, das Westjordanland, Ost-Jerusalem, die Golanhöhen und die Sinai-Halbinsel.
90er Jahre: Friedenszeichen und Rückschläge
Verschiedene israelische Regierungen treiben daraufhin die Siedlungspolitik voran: Sie lassen Siedlungen auf den besetzten Gebieten bauen – obwohl sie damit gegen das Völkerrecht verstossen. Jede Siedlung erschwert den Aufbau eines palästinensischen Staates. Radikale Palästinenser wiederum tragen mit Terroranschlägen Angst und Schrecken in die israelische Zivilbevölkerung.
Doch gleichzeitig gelingen auch Schritte der Versöhnung. Mit Ägypten und Jordanien schliesst Israel Frieden. 1994 entsteht die Palästinensische Autonomiebehörde, mit der die Palästinenser Teile des Westjordanlandes selbst verwalten.
Die 90er Jahre sind eine Zeit der Hoffnungen und Rückschläge. Eine Zweistaatenlösung mit einem palästinensischen Staat neben Israel erscheint möglich. 1994 erhalten Israels Ministerpräsident Jitzchak Rabin, Aussenminister Shimon Peres und Palästinenser-Präsident Jassir Arafat den Friedensnobelpreis.
Doch 1995 wird Rabin von einem rechtsextremen Israeli ermordet. Die unter Vermittlung der USA ausgehandelten Abkommen haben zudem Leerstellen. Die strittigsten Fragen wurden ausgeklammert.
Für viele, vielleicht sogar alle Probleme liessen sich politische Lösungen finden. Doch dazu müssten beide Seiten Zugeständnisse machen. Allerdings sind gegenseitiges Misstrauen und Entfremdung gewachsen. Auf beiden Seiten werden unversöhnliche Stimmen lauter.
Israel setzt mehr und mehr auf eine Politik der militärischen Stärke, lässt weiter Siedlungen bauen, nationalistische Parteien haben Zulauf.
Auf palästinensischer Seite verliert die von Arafat gegründete Befreiungsorganisation Fatah an Unterstützung. Davon profitiert die radikalislamische Hamas. Deren führende Köpfe bestreiten immer wieder das Existenzrecht Israels. Während die gemässigtere Fatah mehr schlecht als recht Teile des Westjordanlands regiert, übernimmt die radikale Hamas 2007 die Macht im Gaza-Streifen.
Zusammenfassung: Staatserhalt gegen Staatsaufbau
Sehr vereinfacht liesse sich der Nahost-Konflikt also so zusammenfassen: Israel sieht sich als jüdischer Staat von feindlich gesinnten Gesellschaften und Regierungen umzingelt, von Terror bedroht und will seine Existenz militärisch sichern. Die Palästinenser sehen sich durch diese Politik in ihrer Selbstbestimmung und in ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung behindert. Vor allem der israelische Siedlungsbau lässt den Palästinensern nur ein zerstückeltes Gebiet übrig, in dem ein Staat praktisch nicht aufzubauen ist.
Viele Versuche und Verträge mit dem Frieden als Ziel sind gescheitert. Der Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und die israelische Reaktion darauf mit dem Bodenkrieg in Gaza haben eine Lösung des Konflikts wohl noch unwahrscheinlicher gemacht.
Weitere News gibt's in unserem WhatsApp-Kanal. Klick auf "Abonnieren", um keine Updates zu verpassen.
Über den Autor
- Fabian Busch ist Politikwissenschaftler und Journalist. Seit 2021 arbeitet er als Hauptstadt-Korrespondent in Berlin für unser Portal. Zu seinen Schwerpunkten gehören Aussen- und Verteidigungspolitik.
Verwendete Quellen
- Muriel Asseburg/Jan Busse: Der Nahost-Konflikt. Geschichte, Positionen, Perspektiven, Verlag C.H. Beck
- Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: Die Geschichte Palästinas
- Bundeszentrale für politische Bildung: Nahost-Konflikt
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.