Die israelische Armee bereitet sich nach den Terrorattacken vom 7. Oktober auf eine Bodenoffensive vor. Die Hamas benutzt die Zivilbevölkerung Gazas als menschlichen Schutzschild. Die grosse Solidarität der westlichen Staaten mit Israel könnte indes angesichts einer humanitären Katastrophe schon bald bröckeln. Wieso, erklärt Stefan Fröhlich, Professor für internationale Politik.
Als Reaktion auf den Terror startete Israel Luftangriffe auf den Gazastreifen. Dadurch soll laut israelischem Militärsprecher die Infrastruktur der Hamas zerstört werden. Das Problem dabei sind hohe Kollateralschäden, denn die Hamas-Kämpfer operieren aus Moscheen heraus, aus Hinterhöfen, Krankenhäusern und Schulen, umringt von Frauen und Kindern, um sie als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.
Die Zahl der getöteten Palästinenser ist nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Gazastreifen auf mehr als 2.200 gestiegen. In den Krankenhäusern sollen fast 8.800 Verletzte behandelt werden.
Solidarität beginnt zu bröckeln
Es ist eine schwierige Situation in Israel und im Gazastreifen. Das weltweite Entsetzen über die barbarischen Terrorakte führte zu einer riesigen Welle der Solidarität in den westlichen Staaten. Diese beginne allerdings jetzt schon zu bröckeln, erklärt Stefan Fröhlich, Professor für internationale Politik und Politische Ökonomie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören globale Ordnungsfragen, Sicherheitspolitik und transatlantische Beziehungen. Anfang November hätte er als Gastdozent eine Woche lange an der Hebrew University in Jerusalem lehren sollen.
Die Bodenoffensive stelle Israel vor ein Dilemma, sagt er: Auf der einen Seite sei Israel gezwungen, Stärke und Entschlossenheit zu zeigen, auf der andere Seite stehe das Risiko einer humanitären Katastrophe. "Und damit steht Israels Ansehen und die Unterstützung der westlichen Welt auf dem Spiel."
Eine Bodenoffensive würde einen blutigen Häuserkampf im dichtbesiedelten Gazastreifen bedeuten. "Je länger der Kampf dauert und je brutaler der Kampf geführt wird, desto stärker wird die Kritik an Israel, was zu einer Erosion der westlichen Unterstützung führen kann." Es gebe bereits erste Warnrufe der USA und der EU, verhältnismässig auf die Geschehnisse zu reagieren.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres äusserte schon, dass eine Blockade des Gazastreifens nicht im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht stehe. Diese Gratwanderung Israels sei von der Hamas einkalkuliert. Schlussendlich geht es der Hamas um die Bilder, die infolge einer solchen humanitären Katastrophe um die Welt gehen.
Ist Netanjahus politisches Ende eingeläutet?
In der Vergangenheit gab es einige innenpolitische Krisen in Israel. Eine umstrittene Justizreform liess die Menschen in Massen auf die Strasse gehen, Reservisten haben aus Protest gegen die Regierung den Dienst verweigert, gewaltbereite israelische Siedler und fortwährende Provokationen rechtsextremer Regierungspolitiker haben zur Spaltung der Gesellschaft beigetragen. Jetzt gibt es einen Schulterschluss zwischen der Regierung unter Netanjahu und der Opposition.
Auch wenn es angesichts des Leids der Geiseln und der Zivilbevölkerung herzlos anmutet, muss man fragen, inwiefern dieser Terror Netanjahu und seinen rechtsradikalen Koalitionspartnern in die Karten spielt. Wenn überhaupt, dann helfe dieser Ausnahmezustand den Zielen der Regierung nur sehr kurzfristig, mittelfristig geht der Experte davon aus, dass die Regierungszeit Netanjahus durch den Angriff ein Ende finden wird.
"Netanjahu hat die Palästinenserfrage im Grunde nur noch verwaltet, die Zweit-Staaten-Lösung unter der Vision eines 'Grossisraels ohne Araber' ignoriert", sagt Fröhlich. Hybris, die Beschäftigung mit dem politischen Gegner in einer polarisierten politischen Landschaft, die sicherheitspolitische Fokussierung auf das Westjordanland beziehungsweise die dortige Unterstützung radikaler Siedler sowie die Annäherungen der arabischen Welt, allen voran Saudi-Arabiens, an Israel haben dazu geführt, dass Israel von diesem Angriff derart überrascht werden konnte. Der Terroranschlag habe Israel verwundbar gemacht, darüber hinaus werde er der Hamas aber nichts nutzen.
Fröhlich prophezeit, dass die innenpolitischen Spannungen im Lande nach dem unbestimmten Ende des Krieges wieder zunehmen werden und dass dann eine Richtungsentscheidung anstehen wird. "Dann werden die Karten neu gemischt", sagt der Politikexperte; es sei denn, Netanjahu schaffe es, der Gesellschaft das Gefühl von Sicherheit zurückzugeben, was allerdings sehr lange dauere.
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Die Verbindung zur Ukraine
Ein enger Partner Israels sind bekanntlich die USA, die schon einen Flugzeugträger mit seiner Begleitflotte in Küstennähe verlegt haben. Fröhlich hält diese Entscheidung für richtig. Die Entsendung des Flugzeugträgers diene alleine dem Zweck, die Alliierten der Hamas abzuschrecken: die Hisbollah und den Iran, der wiederum ein enger Verbündeter Russlands ist.
Womit wir bei der weltpolitischen Gemengelage angekommen sind. Der Krieg gegen die Ukraine und der Angriff auf Israel sind indirekt miteinander verbunden. Auf der einen Seite äusserte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin angesichts der weltpolitischen Lage, am Rande eines Nato-Treffens in Brüssel, dass die USA genügend Mittel für die gleichzeitige Unterstützung der Ukraine und Israel hätten.
Doch gibt es kein Interesse an einem grossen regionalen Flächenbrand, denn dieser würde weitere Kräfte in Israel binden und dazu verpflichten, Israel in den kommenden Monaten mit Waffen und Krediten zu unterstützen. Die ohnehin schon brüchige Solidarität mit Israel und mit Ukraine würde dadurch weiter strapaziert.
Über den Gesprächspartner:
- Stefan Fröhlich ist Professor für internationale Politik und Politische Ökonomie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Stefan Fröhlich
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