Hoffnung und Sorge: Die Waffenruhe in Gaza ist in Kraft, doch ob sie hält, wird sich erst zeigen. Erste Geiseln sollen freikommen, Hilfslieferungen stehen bereit.
Im Gazastreifen feierten Menschen bereits am Morgen, obwohl der Beginn der Waffenruhe zunächst verschoben wurde. Zehntausende strömten ab 8.30 Uhr Ortszeit (7.30 Uhr MEZ), dem ursprünglich angekündigten Start der Feuerpause, auf die Strassen. Jubelnde Palästinenser gaben Freudenschüsse ab und zündeten Feuerwerk, berichtete der arabische Fernsehsender Al-Dschasira. Dabei gingen die Kämpfe noch einige Stunden weiter.
Inzwischen ist die Waffenruhe in Kraft getreten, nachdem die Hamas mit Verspätung eine Liste mit den Namen der drei im Laufe des Tages freizulassenden Geiseln übermittelt hatte. In Deir al-Balah im Zentrum des Küstengebiets gab es einem Bericht der "New York Times" zufolge daraufhin Hupkonzerte.
Nach 15 Monaten Krieg bricht eine Zeit des Hoffens und Bangens an - für die Bewohner des bislang heftig umkämpften und weithin zerstörten Palästinensergebiets ebenso wie für die Angehörigen der dort noch immer festgehaltenen Geiseln. Hält das von der islamistischen Hamas und Israel vereinbarte Abkommen, wird es Punkt für Punkt umgesetzt? Ist es von Dauer?
Details für die erste Stufe des Abkommens stehen
Israel und die Hamas hatten sich unter Vermittlung der USA, Katar und Ägypten auf einen Drei-Phasen-Deal geeinigt. Die Feuerpause soll zunächst 42 Tage dauern. In der Zeit soll die Hamas 33 der insgesamt 97 aus Israel entführten Menschen freilassen. Die meisten von ihnen dürften am Leben sein. Im Gegenzug werden rund 1.900 palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen entlassen.
Zudem wird der Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und Gaza wieder geöffnet und die Einfuhr humanitärer Hilfsgüter für die Palästinenser deutlich erhöht. Die israelische Armee soll aus dicht besiedelten Gegenden des Gazastreifens abziehen. Die mehr als zwei Millionen Menschen im Gazastreifen sollen sich wieder frei bewegen können.
Kommende Verhandlungen werden noch härter
Nachdem die erste Verhandlungsrunde Monate gedauert hatte, ist allen Beteiligten klar: Die nun bald anstehenden Gespräche über Details für die zweite Phase werden deutlich schwieriger. Uneinig sind sich die Konfliktparteien etwa darüber, wer im Gazastreifen künftig regieren soll.
Auch Einzelheiten zum kompletten Abzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen müssen vereinbart werden. Auch diese Frage steht im Raum: Ist die Hamas in der Lage, alle Geiseln oder deren sterbliche Überreste zu finden? Die zweite Phase ist ab Woche sieben geplant. Sie soll ein dauerhaftes Ende des Kriegs einleiten.
Bedeutung des Deals für die Palästinenser
Nach 15 Monaten Krieg müssen die Menschen im Gazastreifen erst einmal keine Angst mehr davor haben, selbst getötet zu werden oder Angehörige zu verlieren. Vertriebene möchten in ihre Heimatorte zurückkehren und nachschauen, was von ihren Häusern und Wohnungen, von ihrem früheren Leben, übrig geblieben ist.
Weil nach Angaben von Hilfsorganisationen viel zu wenig humanitäre Hilfe die notleidende Zivilbevölkerung erreichte, hoffen Menschen auf eine Wende. Mehr als 90 Prozent der palästinensischen Bevölkerung leiden nach UN-Angaben starken Hunger. Im Zuge des Kriegs kamen nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde rund 46.900 Menschen ums Leben. Sie unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern.
Netanjahu unter Druck
In Israel gehen einige Beobachter davon aus, dass der designierte US-Präsident Donald Trump Israels Regierungschef
Netanjahu steht auch intern unter Druck. Polizeiminister Itamar Ben-Gvir ist wegen des Abkommens mit der Hamas aus der Regierung ausgetreten. Sollten neben seiner Partei noch weitere rechtsextreme Koalitionspartner ausscheiden, hätte Netanjahu keine Mehrheit im Parlament mehr. In jedem Fall dürfte seine Position geschwächt werden.
Sollte es tatsächlich zu einem Ende des Kriegs kommen, könnte es in der Armee wegen der schweren Fehler im Zusammenhang mit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 zahlreiche Rücktritte geben, schreiben israelische Medien. Das würde noch einmal mehr die Frage aufwerfen, warum der Regierungschef selbst keine Konsequenzen aus dem politischen und militärischen Versagen zieht. Kritiker werfen Netanjahu vor, gegen den schon lange ein Korruptionsprozess läuft, an der Macht zu klammern.
International sorgte das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen für Empörung, das Ansehen Israels hat in vielen Teilen der Welt stark gelitten. Der Internationale Strafgerichtshof erliess gegen Netanjahu und seinen Ex-Verteidigungsminister Joav Galant Haftbefehle wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Israel weist die Anschuldigungen zurück.
Hamas feiert "siegreichen Widerstand" gegen Israel
Auslöser des Kriegs war das Hamas-Massaker, bei dem am 7. Oktober 2023 rund 1.200 Menschen in Israel getötet und mehr als 250 nach Gaza verschleppt wurden. Israel hat zahlreiche hochrangige Führer der Terrororganisation getötet. Zudem haben die Islamisten weitgehend die Kontrolle in dem von ihr beherrschten Gazastreifen verloren.
Israel hat sein Kriegsziel, die Hamas zu zerschlagen, nicht erreicht. Die Islamisten feiern die Vereinbarung und sprechen von einem "siegreichen Widerstand" gegen den Feind. Für die Terrororganisation ist ihr Überleben bereits ein Sieg. Die Hamas habe Israel gezwungen, die Aggression einzustellen, teilte die Gruppe mit. Sie wird sich auch für die Freilassung von palästinensischen Gefangenen aus Israels Gefängnissen feiern lassen. Angesichts der weitgehenden Zerstörung dürfte der Wiederaufbau noch Jahre dauern. Es wird sich zeigen, ob sich die Wut der Zivilbevölkerung angesichts von Tod und Zerstörung nicht nur gegen Israel, sondern auch gegen die Hamas richten wird.
Kein Plan für die Zukunft des Gazastreifens
Israels westliche Verbündete wollen, dass die gemässigte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im Westjordanland wieder das Zepter im Gazastreifen übernimmt. Die Hamas hatte sie 2007 gewaltsam von dort vertrieben.
Auch die PA selbst strebt Medienberichten zufolge eine baldige und alleinige Kontrolle über den Küstenstreifen an. Netanjahu lehnt das jedoch ab. Gleiches gilt für eine weitere Hamas-Herrschaft. Einen eigenen Plan für die Zukunft des Gazastreifens hat er bislang nicht vorgelegt.
Hilfslieferungen werden deutlich erhöht - aber Probleme bleiben
Im Rahmen des Abkommens sollen jetzt täglich 600 Lastwagen mit Hilfslieferungen in den Gazastreifen fahren. Doch wie zuvor bleibt die Gefahr, dass Banden oder bewaffnete Hamas-Kämpfer die Lkw plündern.
Damit die humanitäre Hilfe die Bedürftigen erreichen kann, müssten zunächst einmal Ruhe und Ordnung einkehren. (dpa/bearbeitet von fte)
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