Mehr als 1.400 Soldaten, Frauen, Kinder sind bei dem Terrorangriff der Hamas auf israelischer Seite ermordet worden. Doch trotz Trauer und Wut sind die Prinzipien des humanitären Völkerrechts einfach: Zivilisten müssen geschützt werden. In der schmutzigen Realität in Israel und Gaza ist das aber kompliziert.
Die Reaktion auf den Terror kam prompt: Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat gleich nach den Anschlägen Vergeltung für den Angriff angekündigt. Nun wandert Israel auf einem schmalen Grat zwischen dem Recht auf Selbstverteidigung und Vergeltung. Die steigende Zahl der Todesopfer unter der palästinensischen Zivilbevölkerung wirft die Frage auf, was nach den internationalen Gesetzen der Kriegsführung erlaubt ist.
Das Recht zur Selbstverteidigung
Zunächst einmal gilt: Wird ein Staat angegriffen, hat er das Recht, sich selbst zu verteidigen. Viel mehr noch hat er die Pflicht, seine Bevölkerung zu schützen. Dabei darf Israel allerdings nur so viel Gewalt anwenden, wie erforderlich ist, um die Gefahr abzuwehren.
Eine völkerrechtliche Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass die Hamas nicht als staatlicher Akteur angesehen wird, sondern als Terrororganisation. Aus diesem Grund ist sie theoretisch nicht mit staatlichen Mitteln, also militärisch, zu bekämpfen, sondern mit der Polizei. Das Recht, einen militärischen Angriff gegen die Hamas durchzuführen, ergibt sich laut Völkerrechtler Christoph Safferling aus dem "Völkergewohnheitsrecht", wie die Tagesschau berichtet.
Da die Hamas, die den Gazastreifen seit 2005 kontrolliert, mit ihrem gezielten Angriff auf Zivilisten selbst die Regeln des Völkerrechts gebrochen hat, darf Israel vom Selbstverteidigungsrecht "ius ad bellum" Gebrauch machen darf.
Besonders schwierig ist es allerdings, dass die Hamas etwa von Krankenhäusern und Schulen aus operiert, um Angriffe zu starten. Der Vorwurf: Sie nutzen die Bevölkerung als menschliche Schutzschilde, um Bilder zu produzieren, die sie Israel später vorwerfen kann. Wer Zivilpersonen als Schutzschild benutzt, begeht ein eindeutiges Kriegsverbrechen.
Wenn Krankenhäuser zu militärischen Zielen werden
Wenn ein Krankenhaus als Waffenlager genutzt wird oder wenn es dort eine Abschussvorrichtung für Raketen gibt, gilt es nicht mehr als zivile Einrichtung. Israel hat dann das Recht, dieses militärische Ziel anzugreifen.
Trotz allem muss der Angriff auf das Ziel verhältnismässig sein. Der militärische Vorteil muss die zivilen Kollateralschäden überwiegen. Man kann sich das so vorstellen: Die Zerstörung einer Kommandozentrale oder von Versorgungslinien wie Tunnelsystemen rechtfertigt mehr zivile Opfer als der Angriff auf kleine militärische Stellungen. Wie schwierig das Prinzip der Verhältnismässigkeit einzuschätzen ist, zeigt der Einzelfall. Sie richtet sich nach dem Grad der Bedrohung und ist im Zweifel auch anfechtbar.
Im humanitären Völkerrecht ist auch von einem "Exzessverbot" die Rede. Während die Schwächung des militärischen Potentials der Hamas ein legitimes Ziel eines militärischen Angriffs ist, gilt Rache nicht als solches. So darf man präventive Gegenschläge ausführen, jedoch keine Vergeltung üben. Das Recht zur Selbstverteidigung ist grundsätzlich präventiv ausgelegt. Zudem darf laut der vierten Genfer Konvention keine Person für ein Verbrechen verurteilt werden, das sie nicht persönlich begangen hat. Kollektivstrafen an der Bevölkerung für die Taten der Hamas-Terroristen sind dementsprechend verboten.
Was die Hamas zu den menschlichen Schutzschilden sagt
Ein Reporter der "New York Times" befragte ein Mitglied des Politbüros der Hamas, Ghazi Hamad, zum Vorwurf der menschliches Schutzschilder. Hamad bestritt, dass die Hamas die Zivilbevölkerung menschliche Schutzschilde missbrauche. Dies seien "Fake-News". Er verweist auf die enge Besiedlung des Gazastreifens.
Diese Aussage scheint auch vor dem Hintergrund, dass die Hamas versucht hat, die Zivilbevölkerung an der Flucht zu hindern, nicht glaubhaft. Dieses Vorgehen ist vor dem humanitären Völkerrecht hochproblematisch.
Allerdings gibt es Kritik auch an Israel. Laut dem Internationalen Roten Kreuz widerspricht nämlich die Anweisung Israels, den nördlichen Gazastreifen zu verlassen, internationalem Recht. In dem dicht besiedelten Küstenstreifen habe die Bevölkerung keine Chance, sich woanders in Sicherheit zu bringen, argumentierte das Rote Kreuz.
Darf Israel dem Gazastreifen das Wasser abdrehen?
Israel hat eine umfassende Blockade über den Gazastreifen verhängt. Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant sprach von einer vollständigen Belagerung, bei der Gaza von der Versorgung mit Strom, Wasser, Nahrung und Treibstoff abgeschnitten würde. Dafür hagelt es Kritik an Israel. Eine Belagerung gilt grundsätzlich nicht als verbotene Kriegsmethode - das Aushungern einer ganzen Bevölkerung dagegen sogar als Kriegsverbrechen.
Kriegsverbrechen landen jedoch nur selten vor Gericht. Es gibt bislang nur eine handvoll Gerichtsurteile, die Verurteilten stammen meist aus eher kleinen Ländern. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag wird häufig als langsam und ineffizient kritisiert. Verschiedene Länder, darunter die grossen und mächtigen Länder USA, Russland und China, erkennen ihn schlicht und einfach nicht an. Israel auch nicht.
Verwendete Quellen:
- usembassy.gov: Reaktion der USA auf den terroristischen Angriff der Hamas auf Israel und Russlands Krieg gegen die Ukraine
- zdf.de: Netanjahu kündigt Rache für Hamas-Angriffe an
- tagesschau.de: Was ist völkerrechtlich im Krieg erlaubt?
- nytimes.com: What the Laws of War Say About Forced Displacement and ‘Human Shields’
- faz.net: Israelische Armee: Hamas verhindert Flucht der Bevölkerung
- faz.net: Was darf Israels Armee?
- bka.de: Völkerstrafrecht
- rsw.beck.de: Israel: IStGH hat keine Autorität für Ermittlungen in Palästinensergebieten
- drk.de: Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.