Durch den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober letzten Jahres ist auch der Annäherungsprozess zwischen Israel und Saudi-Arabien gestoppt worden. Experten erklären, warum die Lage derzeit so schwierig ist.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Freckmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

"An der Schwelle zu historischem Frieden" habe man gestanden, erklärte Israels Ministerpräsident Netanjahu nach Angaben von RND noch Ende September letzten Jahres. Damals standen offenbar Verhandlungen kurz vor dem Abschluss, die eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien gebracht hätten. Dies wäre eine Sensation gewesen.

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Denn seit der Staatsgründung Israels 1948 gibt es keine diplomatischen Vertretungen zwischen beiden Ländern. Ganz im Gegenteil. Im Sechstagekrieg etwa zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten von 1967 unterstütze das saudische Königreich seine arabischen Nachbarn gegen Israel materiell. Seither ist es nie zu einem dauerhaften Frieden in der Region gekommen. Und auch nicht zu einer Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien.

Denn traditionell stehen die arabischen Staaten aufseiten der Palästinenser, vor allem, weil sie mit dem Islam eine gemeinsame Religion haben. Besonders Saudi-Arabien als Hüterin der heiligsten Stätten des Islam könne hinsichtlich der Interessen der Menschen in Gaza, die wie sie selbst auch Muslime seien, nicht untätig bleiben, wie die "Neue Zürcher Zeitung" kürzlich analysierte.

Saudi-Arabien und Israel waren dabei, aufeinander zuzugehen

Umso grösser war das Erstaunen, als 2020 erstmals Bewegung in die Sache kam. Die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Marokko und der Sudan unterzeichneten damals Abkommen mit Israel. Bei diesen "Abraham-Abkommen" fand erstmalig überhaupt in der Geschichte dieser Staaten eine Annäherung an Israel statt.

Dieser "Abraham-Prozess" stellte einen "Paradigmenwechsel" dar, sagt Kerstin Müller, Senior Associate Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Als einige arabische Staaten Israel 2002 eine Normalisierung ihrer Beziehung anboten, verlangten sie dafür im Gegenzug noch einen Staat für die mit ihnen verbündeten Palästinenser.

Im Rahmen der "Abraham-Verhandlungen" fiel diese Bedingung nun weg. Die Zielrichtung dieser Abkommen war nämlich eine ganz andere: In erster Linie habe man mit diesen Verträgen ein Bündnis der moderaten sunnitischen Staaten und Israel gegen den Iran schmieden wollen, erklärt Kerstin Müller, die von 2002 bis 2005 während der rot-grünen Bundesregierung Staatsministerin im Auswärtigen Amt war.

So gelte unter den Teilnehmenden der "Abraham-Abkommen" das Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Denn der Konflikt um die Vormachtstellung im Nahen Osten entspinnt sich seit je her auch entlang der beiden grossen Strömungen des Islam, den Sunniten und den Schiiten. An der Spitze der Sunniten steht Saudi-Arabien, Iran hingegen führt die schiitischen Staaten an.

Sunnitische Nachbarn schützten israelischen Luftraum

Derweil seien schon erste positive Effekte dieser Kooperation aus den "Abraham-Abkommen" zu erkennen gewesen, sagt die Nahostexpertin Müller. Denn bei den Angriffen des Irans auf Israel am 13. April dieses Jahres sei der israelische Luftraum neben den Amerikanern auch von anderen sunnitischen Staaten abgesichert worden. An jenem Tag hatte der Iran mit mehr als 300 Drohnen und Raketen versucht, in den israelischen Luftraum einzudringen, wie "tagesschau.de" berichtete.

Diese Annäherung ehemals verfeindeter Staaten wollte die Hamas offenbar zerstören. Ein Hauptgrund für die terroristische Attacke der Terrorgruppe am 7. Oktober letzten Jahres auf Israel sei dann auch gewesen, zu verhindern, dass ein Normalisierungsabkommen Saudi-Arabiens mit Israel zustande komme, erklärt Müller. Damals drang die Hamas in Israel ein, tötete mindestens 1.100 Personen und verschleppte mehr als 240 Menschen nach Gaza.

In der Folge wiederum bekämpfte die israelische Armee in Gaza die Hamas. Seither gerät Israel vor allem wegen der zivilen Opfer in die Kritik. Ende Mai befasste sich auch der UN-Sicherheitsrat mit der Lage der Zivilisten in Gaza.

Saudi-Arabien verlangt eine staatliche Lösung für die Palästinenser

Dass nun in dieser Ausgangslage ein Abkommen zwischen Israel und Saudi-Arabien geschlossen werden könne, sei aktuell "extrem unwahrscheinlich", sagt Peter Lintl. Er ist Nahostexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) aus Berlin. Dies liege vor allem an zwei Gründen: So beurteile Saudi-Arabien das jüngste Vorgehen Israels in Gaza äusserst kritisch. In jüngsten Äusserungen warf Saudi-Arabien Israel gar ein "völkermordendes Massaker" vor, wie der "Tagesspiegel" berichtete.

Darüber hinaus wäre ein solches Abkommen aus der Sicht Saudi-Arabiens eng mit einer "politischen Perspektive für die Palästinenser verknüpft". Es gehe den Saudis also um einen "klaren Weg in eine palästinensische Unabhängigkeit oder ein ähnliches, substantielles Versprechen", erklärt Lintl. "Das ist aber wenigstens mit der aktuellen israelischen Regierung nicht möglich."

Expertin: Saudi-Arabien wird für die Zeit nach dem Krieg in der Region gebraucht

So bleibt die Situation verfahren, einfache Auswege sind vorerst nicht in Sicht. Dabei sei ein regionales Bündnis mit den sunnitisch-arabischen Staaten gegen extremistische und islamistische Kräfte wie die Hamas und die schiitischen Akteure wie Iran aber nach wie vor "in Israels Sicherheitsinteresse", betont Kerstin Müller von der DGAP. Denn Feinde hat Israel in der Region nicht gerade wenige.

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"Man wird Saudi-Arabien dringend brauchen, besonders in der Phase nach dem Ende des Krieges in Gaza", sagt Müller. Der Preis auf israelischer Seite, so erklärt die Expertin, sei, dass man sich einer solchen friedlichen Perspektive für die Palästinenser öffnen müsse. Ohne eine solche, glaubt Müller, würden sich die sunnitisch-arabischen Staaten nicht an einer Nachkriegslösung beteiligen.

Über die Gesprächspartner

  • Kerstin Müller ist seit April 2019 Senior Asscoiate Fellow bei der DGAP. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen insbesondere der israelisch-palästinensische Konflikt und die deutsch-israelischen Beziehungen. Von 2013 bis 2018 war sie Direktorin des Israelbüros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv. Davor war sie Staatsministerin im Auswärtigen Amt (2002-2005) unter Aussenminister Joschka Fischer.
  • Dr. Peter Lintl ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik und in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten tätig.

Verwendete Quellen

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