Zu Beginn waren die Vereinten Nationen ein "Geburtshelfer" des Staates Israel. Inzwischen kommt es immer wieder zu Konflikten. Das hat auch mit UN-Generalsekretär Guterres zu tun.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es ist Teil der wechselhaften Geschichte des Nahen Ostens, dass ehemalige Verbündete irgendwann zu Feinden werden. So war die europäische Linke zu Beginn des israelischen Staates einer der grössten Unterstützer des ehemals sozialistischen Projekts. Inzwischen gibt es kaum jemanden in der westlichen Welt, der die israelische Offensive im Gaza-Streifen so scharf kritisiert wie linke Intellektuelle und Künstler.

Mehr News zum Krieg in Nahost

Ähnlich verhält es sich mit den Vereinten Nationen. Zu Beginn der Geschichte des modernen Israels war es die UN, die den Teilungsplan präsentierte, der die Staatsgrenzen des ersten jüdischen Staates umfasste. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete diesen gegen den Widerstand der arabischen Staaten und wurde damit zu einer Art "Geburtshelfer" Israels.

Zerrüttetes Verhältnis zwischen der UN und Israel

Heute ist das Verhältnis zwischen dem Staat und der UN zerrüttet. Israel kritisiert die Internationale Organisation dafür, sich einseitig für die Belange der Palästinenser einzusetzen und wenig Sympathie für die Israelis aufzubringen. Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober und der anschliessenden Offensive der israelischen Armee im Gaza-Streifen verschlechtert sich das Verhältnis zunehmend.

Zunächst sorgte eine Rede von Generalsekretär Antonio Guterres für Kritik. Dieser hatte erklärt, dass das Massaker der Hamas nicht im "luftleeren Raum" stattgefunden habe. Weiter sagte Guterres, die Palästinenser litten seit Jahrzehnten unter einer "erdrückenden Besatzung" durch Israel, das in Gaza "Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht" begehe.

Der israelische Aussenminister Eli Cohen reagierte verstört auf die Äusserungen von Guterres. "Herr Generalsekretär, in welcher Welt leben Sie?", fragte Cohen laut "Deutscher Welle" während einer Sitzung des Weltsicherheitsrates im Oktober 2023. Ein Sprecher des israelischen Aussenministeriums erklärte, Guterres habe eine rote Linie überschritten und mit seinen Äusserungen "die Gräueltaten der Hamas gerechtfertigt".

Spezieller Fokus auf Israel

Tatsächlich ist es so, dass die Vereinten Nationen Israel besonders im Blick haben. Seit 2015 hat die UN-Generalversammlung insgesamt 125 Resolutionen gegen das Land verabschiedet. Gegen die restlichen Länder der Erde, darunter zahlreiche Autokratien und Diktaturen und Länder wie Iran, Nordkorea, Syrien oder Russland, das einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat, wurden in dem Zeitraum lediglich 55 Resolutionen erlassen.

Laut Hillel Neuer, dem Geschäftsführer der UN-kritischen NGO "UN Watch", haben sich die Vereinten Nationen immer stärker auf Israel eingeschossen. "In den vergangenen 50 Jahren wurde die UN immer mehr zu einer Organisation, die Israel als Sündenbock darstellte und es dämonisierte." Im Kalten Krieg hätte die Sowjetunion dafür gesorgt, dass der globale Süden, die damalige Dritte Welt, sich auf internationaler Ebene gegen den jüdischen Staat positionierte, der von den USA unterstützt wurde.

Inzwischen habe die UN "eine Infrastruktur" geschaffen, die dazu da sei, Israel zu verdammen. Neuer geht dabei hart mit den Vereinten Nationen ins Gericht. Diese hätten es versäumt, die Hamas klar als Terrororganisation zu verurteilen. "Die Organisation wurde als Antwort auf die Verbrechen der Nationalsozialisten geschaffen und ist nun selbst schuldig, Terrorismus gegen Juden zu rechtfertigen."

Hohe UN-Funktionärin laut Experte "klar antisemitisch"

Der Generalsekretär Guterres sei eine grosse Enttäuschung, sagt Neuer, da er es vor allem nach dem 7. Oktober nicht geschafft habe, eine klare Haltung zu den Verbrechen der Hamas zu beziehen. Andere wichtige Funktionäre seien laut dem Chef von "UN Watch" "klar antisemitisch", etwa die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese.

Lesen Sie auch

Diese hatte 2014 in einem Facebook-Post behauptet, dass Amerika "von der jüdischen Lobby" und Europa "von Schuldgefühlen wegen des Holocausts unterjocht" werde. Dieses Jahr postete sie einen Beitrag über "Israels Gier". Nachdem die "Times of Israel" diese Posts nach der Ernennung von Albanese öffentlich gemacht hatte, relativierte diese ihre Wortwahl als "analytisch ungenau und unbeabsichtigt beleidigend".

Zahlreiche UNRWA-Mitarbeiter sollen an Massaker der Hamas beteiligt gewesen sein

Für zusätzliche Spannungen sorgte ein Bericht Anfang dieses Jahres, der nahelegt, dass zwölf Mitarbeiter des Palästinenserhilfswerks UNRWA an dem Massaker der Hamas beteiligt gewesen sein sollen. Die beschuldigten Mitarbeiter wurden inzwischen entlassen.

Die Vereinten Nationen hatten hierzu eigene Untersuchungen angekündigt. Diese kamen laut "Spiegel" zu dem Schluss, dass "eine bedeutende Anzahl von Mechanismen und Verfahren" bereits in der Organisation vorhanden seien, welche die Einhaltung des humanitären Grundsatzes der Neutralität gewährleisten.

Allerdings seien auch "kritische Bereiche identifiziert, die noch angegangen werden müssen". Nähere Informationen hierzu wollte die UN bisher nicht veröffentlichen. Israel beschuldigt darüber hinaus zehn Prozent aller UNRWA-Mitarbeiter Verbindungen zur Terrororganisation zu unterhalten.

Experte kritisiert "Verschleierungstaktik" der UN

Hillel Neuer hält den jüngsten Bericht für eine "Verschleierungstaktik" und spricht gegenüber unserer Redaktion von einer "kompletten Lüge". Er habe bereits seit neun Jahren Hinweise zu Zusammenhängen zwischen der Hamas und UNRWA-Mitarbeitern an die Vereinten Nationen geschickt.

"Es gab Bilder von Lehrern von UN-Schulen, die öffentlich Adolf Hitler glorifiziert hatten und dazu aufriefen, die Juden zu schlachten." Die Vereinten Nationen hätten ein Angebot, sich zu treffen und darüber zu sprechen, abgelehnt und stattdessen Neuer und "UN Watch" öffentlich kritisiert. "Es war klar, dass sie kein Interesse an einer Aufklärung haben."

Dass die UN so kritisch gegenüber Israel auftritt, bei Antisemitismus in den eigenen Reihen aber eher nachsichtiger ist, erklärt Neuer damit, dass dies der Struktur der Organisation entspreche. Letztlich sei der Generalsekretär Guterres eben den Mitgliedsstaaten gegenüber verantwortlich und in den Gremien der UN seien viele Länder, die Israel kritisch sehen – gerade Länder des globalen Südens. Bei Abstimmungen über Resolutionen gegen Israel finden sich so oft Mehrheiten, wohingegen das bei anderen Ländern wie Syrien oder Russland schwieriger sei.

Über den Gesprächspartner

  • Hillel Neuer ist Geschäftsführer von UN Watch, einer Menschenrechts-NGO mit Sitz in Genf, die sich der Beobachtung der UN widmet.

Verwendete Quellen

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.