Erst war es eine schlimme Vermutung, jetzt ist es traurige Gewissheit: Bei den sechs Leichen, die Israels Armee am Samstagabend im Gazastreifen geborgen hat, handelt es sich um israelische Geiseln.

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Die israelische Armee hat die Leichen von sechs Geiseln im Gazastreifen geborgen. Das gab das Militär am frühen Morgen offiziell auf seinem Telegram-Kanal bekannt.

Am Vorabend hatte die Armee zunächst den Fund mehrerer Leichen bekanntgegeben, ohne dabei nähere Einzelheiten zu nennen. Nach stundenlanger Prüfung der Identität der Leichen herrscht nun Gewissheit. Es handele sich um die Geiseln Carmel Gat, Eden Yerushalmi, Hersh Goldberg-Polin, Alexander Lobanov, Almog Sarusi und Ori Danino.

Die sechs Ermordeten seien in einem unterirdischen Tunnel im Gebiet Rafah im Süden des umkämpften Gazastreifens gefunden und nach Israel überführt worden, teilte die Armee weiter mit. Alle sechs Opfer waren demnach beim Terrorüberfall der islamistischen Hamas am 7. Oktober vergangenen Jahres in den Gazastreifen entführt worden. Einem Armeesprecher zufolge wurden sie erst kurz vor der Entdeckung ihrer Leichen von den Entführern getötet.

Nahostkonflikt - Tote Geiseln geborgen
Sechs undatierte Fotos zeigen die Entführten (oben, von links) Hersh Goldberg-Polin, Ori Danino, Eden Yerushalmi sowie (unten, von links) Almog Sarusi , Alexander Lobanov und Carmel Gat. Die israelische Armee hat ihre Leichen geborgen. © dpa / Uncredited/The Hostages Families Forum/AP

US-israelischer Doppelstaatler Goldberg-Polin unter Toten

Das Forum der Familien der Geiseln und Vermissten bekundete seine Trauer und forderte die israelische Regierung erneut zu einer Waffenruhe auf. "Ohne die Verzögerungen, die Sabotage und Ausreden wären die Menschen, von deren Tod wir heute Morgen erfahren haben, wahrscheinlich noch am Leben", erklärte die Gruppe.

US-Präsident Joe Biden hatte bereits vor der Identifizierung der Toten durch die israelische Armee bekanntgegeben, dass der US-israelische Doppelstaatler Goldberg-Polin unter den Toten ist. Der 23-Jährige war einer von insgesamt 251 Geiseln, die von militanten Palästinensern beim Angriff am 7. Oktober aus dem südlichen Gazastreifen verschleppt worden waren. Rund 100 Geiseln sind noch in Gefangenschaft – Dutzende von ihnen sind nach Angaben des israelischen Militärs tot.

Vereinzelt konnten Geiseln von der israelischen Armee befreit werden – teils unter hohem Blutzoll für die palästinensische Zivilbevölkerung bei diesen Militäreinsätzen, für die Israel international in der Kritik steht.

Angehörige beschuldigen Netanjahu: "Hat Geiseln im Stich gelassen"

Noch am Donnerstag hatten sich die Eltern von Goldberg-Polin mit anderen Geisel-Angehörigen an der Grenze zum Gazastreifen versammelt. Die Angehörigen versuchten, die Geiseln im Gazastreifen mit lauten Lautsprecher-Durchsagen direkt zu erreichen. "Hersh, hier ist Mama", wandte sich Goldberg-Polins Mutter an ihren Sohn. "Ich bete zu Gott, dass er dich zurückbringt. Jetzt sofort. Ich liebe dich, bleib stark."

Viele Angehörige, Freunde und Unterstützer der Geiseln erinnern seit Monaten unermüdlich an deren Schicksal. Auch am Samstagabend hatten in Tel Aviv und anderen Orten in Israel wieder Tausende für ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln aus der Gewalt der islamistischen Hamas und für Neuwahlen demonstriert. Nach Bekanntwerden des Leichen-Fundes teilten Vertreter der Geiseln Medien zufolge mit: "Netanjahu hat die Geiseln im Stich gelassen. Ab morgen wird das Land beben, die Öffentlichkeit ist aufgerufen, sich vorzubereiten."

Erfolgsaussicht der Gespräche in Kairo unklar

Ob es zu einer weiteren Vereinbarung über eine Waffenruhe und Freilassung von Entführten kommen kann, ist offen. Seit geraumer Zeit führen die USA, Ägypten und Katar in Kairo Vermittlungsgespräche über ein Abkommen, das eine Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung von Geiseln vorsieht. Die Gespräche sind allerdings festgefahren. Israel und die Hamas verweigern direkte Verhandlungen mit der Gegenseite.

Hauptstreitpunkt ist derzeit die Frage, wie lange israelische Truppen am Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten stationiert bleiben dürfen. Israels Sicherheitskabinett beschloss kürzlich, an der Kontrolle des Korridors festzuhalten. (dpa/afp/bearbeitet von mcf)

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