Seit Monaten hat Israel Pläne für eine Offensive in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt an Gazas Grenze zu Ägypten. Trotz vieler Warnungen läuft der Einsatz in der letzten Hamas-Bastion nun an.
Nach monatelangen Ankündigungen hat Israel am Montag mit entscheidenden Vorbereitungen für den Militäreinsatz in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen begonnen.
Das Militär rief rund 100.000 Einwohner des östlichen Teils der Stadt an der Grenze zu Ägypten dazu auf, sich in das einige Kilometer nördlich gelegene Al-Mawasi-Lager zu begeben. Sie wurden demnach per SMS, Telefon sowie mit Flugblättern und über arabischsprachige Medien informiert. Nach Augenzeugenberichten begaben sich viele Menschen rasch auf die Flucht, während sie ihre Habseligkeiten unter anderem mit Eselskarren transportierten.
Verhandlungen über Feuerpause blieben ergebnislos
Indirekte Verhandlungen Israels mit der islamistischen Hamas in Kairo über eine neue Feuerpause im Gaza-Krieg und die Freilassung von Geiseln im Gegenzug für palästinensische Häftlinge waren zuvor ohne Ergebnis geblieben.
Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant sagte nach Angaben seines Büros bei einem Telefonat mit seinem US-Amtskollegen Lloyd Austin, die Hamas habe bei den Gesprächen alle Vorschläge abgelehnt. Daher sei eine Militäraktion in Rafah jetzt notwendig und ohne Alternative. CIA-Chef William Burns wollte sich aber nach Informationen der "Times of Israel" bei einem Besuch in Israel am Montag noch für einen Deal in letzter Minute einsetzen.
Hamas fordert sofortiges Ende des Krieges
Die Islamisten beharren auf einem Abkommen, in dem sich Israel von vornherein zur Beendigung des Krieges und zum vollständigen Abzug seiner Truppen aus dem Gazastreifen verpflichtet. Israel lehnt aber eine derartige Verpflichtung ab und möchte sich weitere militärische Handlungsmöglichkeiten vorbehalten.
Der israelische Ministerpräsident
Deutschland warnt vor Folgen für Zivilbevölkerung in Rafah
Die Bundesregierung bekräftigte am Montag Warnungen vor den Folgen eines grossen Militäreinsatzes in Rafah. In dem Gebiet hielten sich mehr als eine Million Menschen auf, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Montag in Berlin. Sie forderte: "Diese Menschen brauchen Schutz. Sie brauchen natürlich humanitäre Unterstützung. Und die Bundesregierung und auch die Aussenministerin haben bereits in Vergangenheit wiederholt gesagt, dass eine grossangelegte Bodenoffensive auf Rafah eine humanitäre Katastrophe wäre, und zwar eine humanitäre Katastrophe mit Ansage."
Zugleich verurteilte die Sprecherin fortgesetzte Angriffe der Hamas auf Israel aus dem Gazastreifen. Mitglieder des militärischen Hamas-Arms hatten am Sonntag Raketen auf den israelischen Grenzübergang Kerem Schalom, der sich nicht weit von Rafah entfernt befindet, gefeuert und dabei vier israelische Soldaten getötet. Kerem Schalom, wichtigster Grenzübergang für die Lieferung von Hilfsgütern aus Israel in den Gazastreifen, wurde daraufhin vorerst geschlossen.
Die Sprecherin forderte auch, laufende und schwierige Verhandlungen nicht zu gefährden. "Gleichzeitig erleben wir eine Situation, wo weit über 100 Menschen in Gefangenschaft, in Geiselhaft der Hamas sind, die befreit werden müssen", sagte sie. Alle Seiten müssten nun "maximale Anstrengungen" unternehmen.
Israel will letzte Bataillone der Hamas zerschlagen
Israel will mit dem Militäreinsatz in Rafah die verbliebenen Bataillone der islamistischen Terrororganisation Hamas zerschlagen, die sie seit Oktober in dem Küstenstreifen bekämpft. Es werden die Hamas-Führung und auch Geiseln in der Stadt an der Grenze zu Ägypten vermutet. Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker mit mehr als 1.200 Toten, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübt hatten.
Ein israelischer Militärsprecher erklärte, es handele sich um einen "begrenzten Einsatz". Die Menschen sollten sich in eine "erweiterte humanitäre Zone" im Bereich Al-Mawasi begeben. Dort gebe es Nahrungsmittel, Wasser und Medikamente. Die Armee ermögliche dort auch die Einrichtung von Feldkrankenhäusern. Der Sprecher betonte, die Versorgung der Bevölkerung mit humanitären Hilfsgütern werde während des Räumungseinsatzes ungehindert weitergehen. Man könnte diese über verschiedene Routen in den Küstenstreifen bringen, etwa über den Hafen in Aschdod.
Der Militärsprecher sagte, Israel habe mit dem Hamas-Raketenangriff am Vortag eine "gewaltsame Erinnerung an die Präsenz und die operationalen Fähigkeiten der Hamas in Rafah erhalten". Das Militär bombardierte nach eigenen Angaben im Anschluss den Ort in der Nähe des Grenzübergangs Rafah zu Ägypten, von dem der Angriff ausgegangen war.
Berichte über heftige Angriffe in Rafah
Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde teilte am Montag mit, bei verschiedenen israelischen Angriffen in Rafah seit Sonntagabend seien mindestens 28 Palästinenser getötet worden. Auch am Montag gab es Berichte über heftige Angriffe im Osten der Stadt Rafah.
Nach Angaben der Gesundheitsbehörde wurden seit Beginn des Kriegs vor sieben Monaten 34.735 Palästinenser getötet und mehr als 78.000 weitere verletzt. Die Angaben, die nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern unterscheiden, lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Die Hamas warnte, Israel schädige mit den Vorbereitungen auf den Militäreinsatz allen Bemühungen, eine Waffenruhe im Gaza-Krieg zu erzielen. Mahmud Merdawi, ein ranghohes Hamas-Mitglied, sagte am Montag der Deutschen Presse-Agentur, der Schritt werde sich negativ auf die indirekten Verhandlungen auswirken und "katastrophale Auswirkungen" auf die örtliche Bevölkerung haben.
Ägypten befürchtet Ansturm von Palästinensern über die Grenze
Ranghohe israelische Geheimdienst- und Militärbeamte waren im vergangenen Monat in Kairo unter anderem mit dem ägyptischen Geheimdienstchef zusammengetroffen, um Israels geplanten Einsatz seiner Armee in Rafah zu besprechen. Ägypten befürchtet unter anderem, es könnte bei dem Einsatz zu einem Ansturm von Palästinensern über die Grenze kommen. In Rafah liegt der Grenzübergang vom Gazastreifen nach Ägypten, es ist auch ein wichtiges Tor für humanitäre Hilfslieferungen in den abgeriegelten Küstenstreifen. Am Montag blieb der Übergang jedoch vorerst geöffnet, wie die palästinensische Grenzbehörde und ägyptische Sicherheitskreise mitteilten.
Der jordanische Aussenminister, Aiman al-Safadi, warnte am Montag bei X, vormals Twitter: "Ein weiteres Massaker an den Palästinensern steht bevor." Alle müssten jetzt handeln, um ein solches Szenario zu verhindern. Es sei ein "unauslöschlicher Schandfleck" für die internationale Gemeinschaft, sollte es zu einem Militäreinsatz in Rafah kommen.
Auch Frankreich gegen Rafah-Offensive
Das französische Aussenministerium betone ebenfalls seinen "entschiedenen Widerstand" gegen eine Bodenoffensive in Rafah. "Frankreich erinnert im Übrigen daran, dass die Zwangsumsiedlung einer Zivilbevölkerung ein Kriegsverbrechen im Sinne des Völkerrechts darstellt", teilte das Ministerium mit. Die Geiseln der Hamas müssten sofort freigelassen werden und ein dauerhafter Waffenstillstand müsse den Schutz ermöglichen, den die Zivilbevölkerung brauche, hiess es.
Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell rief Israel dazu auf, auf eine Bodenoffensive in Rafah zu verzichten. Der Evakuierungsaufruf würde das Schlimmste ahnen lassen, "mehr Krieg und Hungersnot", schrieb Borrell am Montag auf der Plattform X, ehemals Twitter. Die EU sei gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft aufgefordert zu handeln, um ein solches Szenario zu verhindern. (dpa/lag)
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