Der Hamas-Funktionär Ismail Hanija ist in Teheran getötet worden. Niemand bekennt sich zum Anschlag, doch man darf vermuten, dass Israel und der israelische Geheimdienst hinter dem Attentat stecken. Es wäre nicht das erste Mal, denn: Der Mossad hat die Lizenz zum Töten.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Clemens Sarholz sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Nachricht ging wie ein Lauffeuer um die Welt: Ismail Hanija ist tot, ermordet während eines Besuchs in Teheran. Der Hamas-Chef soll laut Recherchen der "New York Times" mit einem Sprengsatz getötet worden sein, der schon Monate zuvor in einem Gebäudekomplex der iranischen Revolutionsgarden versteckt worden war. Die Bombe sei erst dann gezündet worden, nachdem bestätigt worden war, dass sich Hanija in seinem Zimmer aufhält.

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Eine geplante Mordaktion und eine "logistisch sehr komplexe Aufgabe", wie Sophia Hoffmann, Professorin für internationale Politik und Konfliktforschung, im Gespräch mit unserer Redaktion analysiert. Auch wenn sich niemand zu dem Mord bekannt hat, hält sie es für wahrscheinlich, dass der Mossad dahintersteckt, schiebt jedoch hinterher: "Ich halte es aber nicht für gesichert." Dass Sicherheitskräfte der iranischen Revolutionsgarden in das Attentat involviert gewesen sind, hält sie dagegen für unwahrscheinlich.

Sie fügt an, dass man in solchen Fällen, bei dieser Informationslage, nur spekulieren kann. "Man weiss wirklich sehr wenig darüber" – und das von einer Frau, deren Spezialgebiet Nachrichtendienste sind und die sich bestens auskennt in der Welt der Spione und Attentäter. Der Mossad, "der lange Zeit als der beste Auslandsgeheimdienst der Welt" galt, habe jedenfalls häufig bewiesen, dass er zu dieser Präzision fähig sei.

Mord per Fernsteuerung

Dass Länder nicht mit Mordaktionen in Verbindung gebracht werden wollen, liegt auf der Hand. Doch Fakt ist: Der Mossad hat die Lizenz zum Töten. Zudem wisse man laut Hoffmann aus der Forschung, dass der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad zu dieser Art von Anschlägen fähig sei. Denn manchmal sickern doch Informationen über Morde, ausgeführt von Angehörigen der Geheimdienste, durch. "In der Analyse hilft es, sich genau anzuschauen, wie Geheimdienste in der Vergangenheit vorgegangen sind."

Hoffmann, so wie die Journalisten der New York Times, ziehen einen Vergleich mit einem Mordanschlag aus dem Jahr 2020.

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Am 27. November 2020 wurde der iranische Wissenschaftler Mohsen Fachrisadeh in Absard, einem Vorort von Teheran, erschossen. Fachrisadeh gilt als "Vater des iranischen Atomprogramms" und war einer der führenden Wissenschaftler auf diesem Gebiet. Entlang seines vorher ausgekundschafteten Weges hatte der Mossad ein Waffensystem in einem Pick-up am Strassenrand positioniert. Agenten bedienten die Waffe per Fernsteuerung und töteten Fachrisadeh.

Informationsbeschaffung ist der Schlüssel

Bemerkenswert an den beiden Fällen sei laut Hoffmann die Präzision, mit der die Morde durchgeführt wurden. Dafür müsse man als allererstes, bevor man so ein Attentat begeht, natürlich Informationen beschaffen. Deswegen stehe am Anfang solcher Geheimdienstmorde die Lokalisierung und Identifikation der Zielperson.

Wie zeitintensiv das sein kann, zeigt die Operation mit dem Codenamen "Zorn Gottes". Nach dem Münchner Olympia-Attentat im September 1972 spürte Israel insgesamt 20 Personen auf, die an der Planung und Durchführung des Attentats beteiligt waren und brachte sie in den darauffolgenden Jahren um. Der erste Geheimdienstmord dieser Operation ereignete sich bereits im Oktober 1972, der letzte Anschlag im Juni 1981. Dieser schlug jedoch fehl. Das Opfer, Abu Daoud, überlebte trotz schwerer Verletzungen, nachdem er in der Lobby eines Hotels in Warschau niedergeschossen wurde.

Die Vorbereitung auf ein Attentat

Nach der Phase der Informationsbeschaffung geht es in die Ausarbeitung des Operationsplans. Man entwickelt das Szenario und entwirft einen Plan. Dieser beinhaltet den Zeitpunkt, den Ort, den Täter, die Mordwaffe, den genauen Hergang sowie Exitstrategien, wenn etwas schiefgeht. Wenn der Plan ausgearbeitet sei, gehe es weiter in die Trainingsphase, erklärt Hoffmann, in der die Attentäter auf den Mord hin trainiert werden.

Logistische Vorbereitungen wie das Fälschen von Pässen, das Buchen von Unterkünften, Flügen und Autos kommt noch hinzu. Der Forscher Christian Nehring beschreibt in seinem Buch "Geheimdienstmorde" zusätzliche Tücken: Während der Tatablauf geprobt wird, müssten gleichzeitig die Waffen und weiteres Equipment an den Zielort transportiert werden. Häufig werde dafür auf Diplomatengepäck zurückgegriffen. "Die Mordwaffe wird in der Regel nicht vom Täter selbst an den Zielort gebracht, Täter und Waffe reisen also getrennt voneinander."

Nerven wie Drahtseile

Erst wenn diese Vorbereitungen erfolgreich durchlaufen sind, geht es in die heisse Phase, in der die Agenten Nerven wie Drahtseile benötigen. Das Risiko, erwischt zu werden, ist sehr hoch. Man müsse nur an den Mord an Hanija denken, sagt Hoffmann. Sollte der Tatablauf so sein, wie die New York Times es unter Berufung auf sieben Beamte aus dem Nahen Osten und einen amerikanischen Beamten herausgefunden haben will, könne die Bombe ja nicht von alleine dahingekommen sein. Und auch in allen anderen Szenarien hätten Agenten eine grosse Risikobereitschaft zeigen müssen.

Wie schnell so ein Anschlag schiefgehen kann, zeigt ein spektakulär verfehltes Attentat vom 25. September 1997: Um zehn Uhr morgens lauerten Agenten des Mossad dem hohen Hamas-Funktionär Chalid Maschal vor seinem Büro in Jordanien auf. Zwar gelang es den Attentätern, Maschal Gift ins Ohr zu sprühen, jedoch wurden die Attentäter von seinen Begleitern gestellt und jordanischen Sicherheitskräften übergeben. Jordaniens König Hussein verlangte daraufhin die Herausgabe des Gegengifts, was der israelische Premier Benjamin Netanjahu zunächst ablehnte. Erst durch die Intervention des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton und intensive Verhandlungen kam es doch noch zur Übergabe.

Die Details sind entscheidend

Stellen wir uns eine fiktive Szene vor. Die Zielperson, die getötet werden soll, ist am vorhergesagten Ort. Alles läuft nach Plan. Die Agenten können die Zielperson beobachten und nehmen Kontakt zu ihren Vorgesetzten auf. In Zeiten der Live-Kommunikation, schreibt Nehring in seinem Buch, erfolgt in der Regel vor dem Ausführen der Tat eine letzte Rücksprache mit der finalen Freigabe für den Mord. Erst, wenn diese ausgesprochen ist, wird der Anschlag ausgeführt. In diesem Stadium der Operation ist auch immer noch der Abbruch möglich. Vom einen auf den anderen Moment kann die geplante Aktion abgeblasen werden.

Auf welch kleine Details es dabei ankommen kann, zeigt der Fall der Nazi-Verbrecher Walter Rauff und Klaus Barbie. Beide flohen nach dem Zweiten Weltkrieg nach Südamerika. Beide sollten laut Nehring am selben Tag zur selben Uhrzeit getötet werden. Als sich die Agenten jedoch dem Haus Rauffs näherten, bellte der Schäferhund. Die Haushälterin kam raus, entdeckte die Attentäter und schrie sie an, worauf diese sofort die Flucht ergriffen. Beide Aktionen wurden abgebrochen.

Bei der Operation gegen Hanija scheinen die Kleinigkeiten dagegen gepasst zu haben. Der Anschlag war erfolgreich. Ein weiterer Hinweis darauf, dass der Mossad in dieses Attentat involviert war, ist eine Aussage des Mossad-Leiters David Barnea im Januar dieses Jahres. Er sagte bei der Beerdigung von Zvi Zamir, dem ehemaligen Direktor vom Mossad, man sei "verpflichtet", die Anführer der Hamas zu jagen. "Es wird Zeit brauchen, wie nach dem Massaker in München, aber wir werden sie kriegen, wo immer sie auch sind."

Über die Gesprächspartnerin

  • Sophia Hoffmann ist Professorin für internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität Erfurt mit Schwerpunkt auf Spionageforschung.

Verwendete Quellen

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