Tausende Tote, Hunderttausende Vertriebene: Nach mehr als einem Jahr Krieg sollen die Waffen zwischen Israel und der Hisbollah mindestens zwei Monate lang schweigen. Aber es gibt grosse Hürden.

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Mehr als ein Jahr nach Beginn des Kriegs mit der libanesischen Hisbollah-Miliz hat das israelische Sicherheitskabinett nach Angaben des Büros von Regierungschef Benjamin Netanjahu eine von den USA und Frankreich vermittelte Waffenruhe gebilligt. Sie solle am Mittwoch in Kraft treten. Zuvor war berichtet worden, die Waffen sollten zunächst für 60 Tage schweigen. "Die Dauer der Waffenruhe hängt davon ab, was im Libanon geschieht", warnte Netanjahu jedoch im Fernsehen.

Biden: "Dauerhafte Einstellung der Feindseligkeiten" ist das Ziel

Auch US-Präsident Joe Biden bestätigte, dass die Waffenruhe in der Nacht zum Mittwoch beginnen soll. "Nach der heute erzielten Vereinbarung werden die Kämpfe an der libanesisch-israelischen Grenze morgen um 4 Uhr morgens Ortszeit enden", sagte der Demokrat bei einer Ansprache in Washington. Das Ziel sei eine "dauerhafte Einstellung der Feindseligkeiten", sagte Biden und sprach von "guten Nachrichten". Israel werde in den kommenden 60 Tagen seine verbleibenden Streitkräfte aus dem Libanon abziehen, so Biden. Sollte die Hisbollah das Abkommen brechen und eine Bedrohung für Israel darstellen, habe Israel das Recht auf Selbstverteidigung, so der US-Präsident. Dies stehe im Einklang mit dem Völkerrecht. "Wenn die Hisbollah das Abkommen verletzt und versucht, sich zu bewaffnen, werden wir angreifen", hatte Netanjahu wenige Stunden zuvor bereits in seiner TV-Ansprache klargemacht.

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Um eine Rückkehr von Hisbollah-Kämpfern zu verhindern, sollen Soldaten der libanesischen Armee, die am Krieg eigentlich nicht beteiligt sind, parallel zum israelischen Abzug im Grenzgebiet stationiert werden, berichteten Medien übereinstimmend auf Verhandlungskreise. Überwachen solle die Vereinbarung eine Staatengruppe unter Führung der USA zusammen mit Frankreich, dem Libanon, Israel und der UN-Friedenstruppe Unifil, die seit Jahren im Libanon stationiert ist. Die Überwachungskommission solle ausserdem dafür sorgen, dass sich die Miliz nicht neu bewaffnet. In einem späteren Schritt sollten Israel und der Libanon dann auch über strittige Grenzfragen verhandeln.

Israel bombardiert Grenzübergänge vom Libanon nach Syrien

Nach der Ankündigung der Waffenruhe hat Israel zunächst allerdings erneut einen libanesischen Grenzübergang zu dessen Nachbarland Syrien bombardiert. Das erfuhr die dpa aus libanesischen Sicherheitskreisen. Israels Armee habe insgesamt zehn offizielle und inoffizielle Grenzübergänge zwischen den beiden Ländern angegriffen, darunter erstmals den Übergang Arida, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Zwei Soldaten der syrischen Regierungstruppen seien getötet worden. Israels Armee äusserte sich zunächst nicht zu den Angriffen.

Ziel der Angriffe ist nach Einschätzung der Beobachtungsstelle, Versorgungswege der libanesischen Hisbollah-Miliz zu kappen, die ihre Waffen laut Experten aus dem Iran unter anderem über Syrien bezieht. "Die Israelis versuchen, alle Wege zu zerstören, auf denen die Hisbollah Waffen aus Syrien schmuggelt", sagte der Leiter der Beobachtungsstelle, Rami Abdul Rahman.

UN-Resolution von 2006 als Blaupause

Die Übereinkunft zur Waffenruhe entspricht den vorliegenden Berichten zufolge weitgehend der UN-Resolution 1701, mit der nach dem vergangenen Krieg 2006 vergeblich versucht worden war, ein dauerhaftes Ende der Gewalt zu erreichen. US-Vermittler Amos Hochstein hatte die Bedingungen der neuen Einigung deshalb auch als "1701 Plus" bezeichnet.

Die israelische Regierung hatte sich zudem absichern wollen für den Fall, dass die Hisbollah die Vereinbarung bricht und die libanesische Armee und die internationale Staatengruppe untätig bleiben - etwa bei neuen Angriffen der Miliz auf Israel. Für diesen Fall wollte Israel sich von den USA schriftlich das Recht zusichern lassen, jederzeit militärisch im Libanon eingreifen zu können. Dieser Brief sei aber nicht Teil der Einigung zur Waffenruhe. "Mit dem vollen Einverständnis der USA behalten wir die volle militärische Handlungsfreiheit", sagte Netanjahu im Fernsehen.

Nach unbestätigten israelischen Medienberichten soll Israel das Recht bekommen, auf unmittelbare Bedrohungen sofort militärisch zu reagieren. Zum Beispiel, wenn Raketen abgefeuert werden sollten. Bei "sich entwickelnden" Bedrohungen, wie etwa das Graben von Angriffstunneln, müsse Israel jedoch erst die internationale Staatengruppe alarmieren.

Ein wichtiger Punkt der Einigung dreht sich zudem um das Arsenal der Hisbollah, die laut Experten vor Kriegsbeginn zu den stärksten paramilitärischen Gruppen der Welt zählte. Die Regierung des Libanon - derzeit nur geschäftsführend im Amt - soll dafür alle Waffenverkäufe an das Land sowie deren Herstellung dahingehend überwachen, dass sie die Hisbollah oder andere bewaffnete Gruppen nicht erreichen.

Weil die Hisbollah im Libanon sehr mächtig ist und der Staat nur wenig Handhabe über sie hat, ist zweifelhaft, ob sich eine erneute Aufrüstung der Hisbollah verhindern lässt. Schon die UN-Resolution 1701 von 2006 sah solch eine Aufsicht vor - die Hisbollah konnte ihr Arsenal seitdem trotzdem deutlich ausbauen. Den grössten Teil ihrer Waffen, darunter Tausende Raketen und Drohnen, erhält die Miliz Experten zufolge aus dem Iran, unter anderem auf dem Landweg über Syrien.

Es gibt auch Zweifel, ob die geplante Stationierung von insgesamt 10.000 Soldaten der libanesischen Armee - 5.000 sind bereits im Süden - dabei helfen kann, den Konflikt zu beruhigen. Die Armee ist schlecht finanziert und gilt als sehr schwach und würde bei erneuten Kämpfen wohl wieder zwischen die Fronten geraten, anstatt diese zu verhindern. Nach Angaben der UN-Friedenstruppe Unifil wurden seit Kriegsbeginn 45 libanesische Soldaten getötet.

Hisbollah macht Beschuss nicht mehr von Gaza abhängig

Die Miliz beschoss Israel nach eigenen Angaben zur Unterstützung der islamistischen Hamas, die mit dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 auf Israel den Gaza-Krieg auslöste. Nach israelischen Militärangaben feuerte die Hisbollah seit Kriegsbeginn mehr als 17.000 Raketen auf Israel ab. Ursprünglich wollte die Miliz diesen Beschuss erst beenden, wenn eine Waffenruhe im Gazastreifen erreicht sei. Auf diese Bedingung verzichtete sie nun.

Auf der libanesischen Seite wurden bei massiven Luft- und Bodenangriffen Israels zahlreiche Dörfer und Stadtviertel in Schutt und Asche gelegt. Analysen des britischen Datenprojekts ACLED ergaben, dass Israel im Libanon etwa fünfmal so häufig angriff wie die Hisbollah in Israel. Insgesamt etwa 12.000 Ziele seien im Libanon bombardiert worden, teilte die israelische Armee auf Anfrage mit. Die schwersten Luftangriffe auf den Grossraum Beirut gab es nur Stunden vor der Verkündung der Waffenruhe.

Israels Armee hatte die Angriffe auf die Hisbollah seit September massiv ausgeweitet und bald darauf auch eine Bodenoffensive begonnen. Im Libanon wurden bei israelischen Angriffen nach offiziellen Zahlen seit Kriegsbeginn mehr als 3.700 Menschen getötet und etwa 15.500 verletzt. Bei den Angaben wurde nicht zwischen Zivilisten und Bewaffneten unterschieden. Mehr als 800.000 Menschen im Libanon wurden durch den Krieg im Land vertrieben, Hunderttausende weitere flüchteten ins benachbarte Syrien.

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In Israel gab es im selben Zeitraum durch Angriffe der Hisbollah 76 Tote, die Mehrheit davon Zivilisten, mehr als 700 Verletzte und grosse Sachschäden. Israels Raketenabwehr fing aber die meisten Geschosse der proiranischen Miliz ab. Etwa 60.000 Bewohner Nordisraels wurden evakuiert.

Bewohner von Ortschaften im Norden Israels kritisierten die Waffenruhe. "Ich verstehe nicht, wie wir vom totalen Sieg zur totalen Kapitulation gekommen sind", sagte der Bürgermeister des grenznahen Ortes Kiriat Schmona, Awichai Stern. Netanjahu traf sich mit Vertretern der Kommunen im Norden, um sie von der Waffenruhe zu überzeugen. Auch Politiker der Opposition monierten, dass die Waffenruhe zu früh komme und die Hisbollah nicht ausreichend geschwächt worden sei. (dpa/bearbeitet von br)

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