Zunächst hatte die US-Regierung Israel den Rücken gestärkt und zwei Flugzeugträger in die Region entsandt. Nun scheint sich der Wind zu drehen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Als das Massaker der Hamas am 7. Oktober bekannt geworden war, hatte sich Joe Biden direkt an die Öffentlichkeit gewandt und erklärt, er unterstütze Israel bei dessen Krieg bedingungslos. Das Land habe nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, auf dieses "pure Böse" zu reagieren, so Biden. Als Zeichen der Unterstützung schickte der US-Präsident direkt zwei Flugzeugträger in die Region – als Abschreckung.

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Nun scheint sich allerdings der Wind zu drehen und die Biden-Administration schlägt kritischere Töne in Richtung Israel an. Bei einem Treffen mit Wahlkampfspendern am vergangenen Dienstag in Washington erklärte Biden, die israelische Regierung geniesse zurzeit grosse internationale Unterstützung – "aber sie beginnen, diese Unterstützung zu verlieren wegen ihrer wahllosen Bombardierung." Am vergangenen Donnerstag mahnte Biden die israelische Regierung, sie solle bei ihrer Offensive im Gazastreifen "vorsichtiger" sein und "sich darauf konzentrieren, wie sie das Leben von Zivilisten retten können."

Schlechte Umfragewerte für Bidens Nahost-Kurs

Grund für diese vorsichtige Kurskorrektur könnten die neuesten Umfragen sein. Diese ergeben, dass die Nahost-Politik des Präsidenten alles andere als beliebt ist. Laut dem "Wall Street Journal" sprechen sich nur noch 37 Prozent der Amerikaner für den Kurs des Präsidenten aus, 52 Prozent sehen ihn eher kritisch. In Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr kein gutes Omen.

Selbst in Bidens eigenem Lager mehren sich die Stimmen, die eine andere Israel-Politik der Regierung fordern. "Israels Militärkampagne wird als eines der dunkelsten Kapitel in unserer Geschichte in Erinnerung bleiben", so der linke US-Senator Bernie Sanders, der im Kongress Teil der demokratischen Fraktion ist, in einem Brief an den US-Präsidenten. Er fordert, die finanzielle Hilfe für Israel an Bedingungen zu knüpfen.

Kommt ein Kurswechsel? Kann die Kritik des US-Präsidenten überhaupt etwas ändern und wie würde die Nahost-Politik unter einem Präsidenten der Republikaner aussehen?

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Experte: "Ein echter Kurswechsel wäre innenpolitisch zu riskant für Joe Biden"

US-Aussenpolitik-Experte Johannes Thimm von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin erklärt gegenüber unserer Redaktion, dass der Druck der US-Regierung auf Netanyahu grösser werde. Letztlich bleibe es allerdings bei rhetorischem Druck, so Thimm: "Ich könnte mir vorstellen, dass die US-Regierung weitere Massnahmen ergreift ähnlich den Einreiseverboten gegen gewalttätige Siedler oder der Forderung, dass Gewehre nicht an Siedler verteilt werden." Sanders' Forderung, finanzielle Hilfen an Bedingungen zu knüpfen, hält Thimm allerdings für unrealistisch.

Die US-Regierung werde auch nicht aufhören, Israel in internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen zu verteidigen, so Thimm. Auch eine Anklage vor dem internationalen Strafgerichtshof werde sie versuchen zu unterbinden. "Das sowie die Konditionierung von finanzieller Hilfe wären die eigentlich wirksamen Druckmittel." Diese seien aber aktuell undenkbar. "Ein echter Kurswechsel wäre innenpolitisch zu riskant für Joe Biden und widerspricht auch seinen Überzeugungen."

Was würde ein Wahlsieg der Republikaner an der Nahost-Politik ändern?

Auch ein Regierungswechsel würde wenig an der aktuellen Haltung der US-Regierung ändern, so Politikwissenschaftler Thimm – im Gegenteil. "Wenn man von seiner letzten Amtszeit ausgeht, dann ist relativ klar, dass Donald Trump bedingungslos solidarisch mit der israelischen Regierung ist." Dieser hatte während seiner Amtszeit unter anderem den Wechsel der Hauptstadt Israels von Tel Aviv nach Jerusalem unterstützt. Ein Schritt, der international heftige Kritik hervorrief.

Es wäre kaum vorstellbar, dass er nun für eine Waffenruhe oder ein humanitäreres Vorgehen der israelischen Armee eintreten würde. "Donald Trump schert sich wenig um das Leid der Palästinenser." Thimm geht hingegen davon aus, dass der ehemalige US-Präsident Netanyahu im Gaza-Streifen freie Hand lassen würde. Auch ein anderer US-Präsident aus der Republikanischen Partei würde einen ähnlichen Kurs im Nahen Osten verfolgen. "Die Republikaner sind generell einseitig pro-israelisch", so Thimm.

"In der Vergangenheit hat die israelische Regierung unter Netanyahu die US-amerikanische Kritik oft ignoriert"

Die israelische Offensive läuft derweil trotz des Appells der US-Regierung weiter, ein Ende ist nach wie vor nicht absehbar. Im Süden des Gaza-Streifens setzt die israelische Armee ebenso auf Flächenbombardements wie sie es im Norden getan hatte. "In der Vergangenheit hat die israelische Regierung unter Netanyahu die US-amerikanische Kritik oft ignoriert", so Politikwissenschaftler Thimm.

Er sieht letztlich nur eine Möglichkeit für einen Kurswechsel der israelischen Politik: "Was wirklich etwas bewirken könnte, wäre, wenn Netanjahu innenpolitisch noch stärker unter Druck gerät." Aber auch das ist aktuell nicht absehbar.

Über den Experten

  • Johannes Thimm forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu aktuellen politischen Entwicklungen in den transatlantischen Beziehungen und zur US-Aussenpolitik. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Aussen- und Sicherheitspolitik.

Verwendete Quellen

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