Das Entsetzen und die Trauer in Israel sind gross. Verzweifelt suchen viele Angehörige nach den zahlreichen Vermissten. Allein bei dem Angriff der Hamas auf ein Musikfestival sind bis zu 250 Menschen getötet worden, viele wurden in den Gaza-Streifen verschleppt.

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So unfassbar brutal wie der Angriff der Hamas-Kämpfer auf Zivilisten in Israel war, so erschreckend gross ist nun die Zahl der Angehörigen, die nach ihren vermissten Eltern, Kindern, Geschwistern, Grosseltern oder Cousinen suchen. "Ich will ihn einfach nur umarmen können", sagt Omri Shtivi verzweifelt, der seinen Bruder Idan sucht. Idan wird seit dem Angriff der Hamas auf ein Musikfestival im Süden Israels vermisst. Allein dort töteten Hamas-Angreifer bis zu 250 Menschen und verschleppten viele in den Gaza-Streifen, darunter auch Deutsche.

Shtivi sagt, die Behörden hätten sich bisher nicht an seine Familie gewandt, um zu helfen. Es wurde aber ein "Einsatzzentrum für vermisste Menschen" in der Nähe des internationalen Ben Gurion Flughafens in Lod in Zentralisrael von der Polizei und der Armee eingerichtet.

Verzweifelte Angehörige hoffen auf Hilfe

Dutzende verzweifelte Angehörige sind dort seit Samstagabend, in der Hoffnung, Informationen zu bekommen. Persönliche Gegenstände der Verschwundenen wie Zahnbürsten oder Kämme sollen sie vorbeibringen, um eine Identifizierung über DNA-Analysen im Falle des Todes zu ermöglichen.

Viele hoffen dort auf Hilfe, so wie die 42-jährige Mor Strikovski, deren 63-jährige Mutter aus dem Kibbuz Beeri in der Nähe des Gazastreifens verschwunden ist. Wie andere Israelis auch, ist sich Strikovski sicher, ihre Mutter auf einem im Internet entdeckten Video erkannt zu haben. "Hamas-Leute haben sie mit ihrem Mann und zwei Nachbarn in ihrem Haus gekidnappt und haben sie aus dem Kibbuz gebracht. Wir denken, sie sind in Gaza," sagt sie sichtlich in Angst um ihre Mutter.

Insgesamt mehr als hundert Menschen wurden nach Angaben der israelischen Regierung am Samstag an verschiedenen Orten in Israel von der Hamas entführt. Hunderte weitere wurden getötet. Es wird also länger dauern, bis alle Opfer lokalisiert oder identifiziert sind, sagte Shelly Harush von der Polizei in dem Einsatzzentrum. Weinend und erschöpft verlassen viele Angehörige am Sonntag das Zentrum wieder.

Mutter sucht nach ihrer deutschen Tochter

Zahlreiche Israelis haben die Suche nach ihren verschleppten Angehörigen selbst in die Hand genommen und verzweifelte Aufrufe in den Online-Netzwerken gestartet. So wie die Mutter der Deutschen Shani Louk, die ebenfalls seit dem Rave-Festival in der Negev-Wüste im Süden des Landes vermisst wird. Auf einem Video ist die 22-Jährige halbnackt auf einem Pick-Up zwischen mehreren Hamas-Männern offenbar im Gazastreifen zu sehen, mit dem Gesicht zum Boden, die Beine verdreht, mindestens bewusstlos. Ein junger Palästinenser spuckt im Vorbeigehen auf ihren leblosen Körper.

Ihre Mutter Ricarda Louk hat die Hoffnung dennoch nicht aufgegeben. Sogar auf Deutsch bittet sie in einem Video um Informationen zu ihrer Tochter und Hilfe, um die deutschen Behörden mit ins Boot zu holen. Dass es sich um Shani Louk handelt in dem Video, da ist sie sich sicher – ihre auffälligen Tatoos an den Beinen und die Dreadlocks-Frisur liessen laut "Spiegel" keinen Zweifel zu. Hinzu kommt, dass die Bankkarte der Tochter demnach in Gaza benutzt wurde.

Frau mit Kindern verschleppt

Die 37-jährige Yifat Zailer hat Fotos ihrer Cousine bei Facebook veröffentlicht. Shiri Bivas lebte im Kibbuz Nir Oz rund zwei Kilometer vom Gazastreifen entfernt und wurde vermutlich mit ihren zwei Kindern im Alter von neun Monaten und drei Jahren verschleppt. Auch hier ist ein Video mit der Mutter und ihren zwei Kindern in dem Palästinensergebiet der einzige Hinweis auf ihren Aufenthaltsort. Der Mann von Shiri Bivas und dessen Eltern sind verschollen. "Wir wollen wissen, wie es ihnen geht, wir wollen, dass sie gesund nach Hause kommen", sagt Zailer im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP unter Tränen.

Adva Adar hat über die Online-Netzwerke erfahren, dass ihre 85-jährige Grossmutter ebenfalls aus dem Kibbuz Nir Oz von der Hamas entführt wurde. "Wir wissen nicht, wo sie ist und ob sie Essen und Wasser hat", sagt die Enkelin und weint. "Sie ist krank. Sie braucht Medikamente. Selbst in unseren schrecklichsten Albträumen hätten wir uns das nicht vorstellen können."

Andere wie die 19-jährige Ester Borochov überlebten den Horror – wie durch ein Wunder. Die junge Frau war ebenfalls bei dem Musikfestival, als Hamas-Kommandos begannen, von allen Seiten wahllos auf die überwiegend jungen Menschen zu schiessen.

Borochov kann in einem Auto flüchten, das dann aber durch Schüsse gestoppt wird, sich überschlägt und im Graben liegen bleibt. "Wir haben uns in dem Auto tot gestellt, meine Freundin und ich, zweieinhalb Stunden lang, bis Hilfe gekommen ist.... so haben wir das überlebt." (AFP/tas)

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