Angesichts des Leids der Menschen in Gaza wird immer wieder Kritik an Israels Kampf gegen die Hamas-Terroristen laut. Doch was sagt das Völkerrecht?
Auf den ersten Blick scheint für viele die Antwort einfach. Das Leid der Zivilisten im Gazastreifen ist so gross, dass Israel mit seinem Bombardement offenkundig gegen das humanitäre Völkerrecht verstösst. Auch die Vereinten Nationen (UN) sehen viele Anzeichen, dass ein solcher Vorwurf berechtigt ist.
Völkerrechtlich unumstritten ist zugleich, dass Israel nach dem von der islamistischen Hamas organisierten blutigen Terrorüberfall vom 7. Oktober ein Recht auf Selbstverteidigung hat. Ob dabei die Vorgaben des Völkerrechts eingehalten werden, hängt von Informationen ab, die derzeit unabhängig kaum zu bekommen sind. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Asymmetrischer Krieg zwischen Israel und der Hamas
Frage: Wie ist aktuell die israelische Sicht auf die Angriffe im Gazastreifen?
Antwort: Der frühere Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit verweist darauf, dass bei der Frage der Verhältnismässigkeit von Angriffen jeder Angriff einzeln betrachtet werde, nicht die Zahl getöteter Zivilisten insgesamt.
Er spricht von einem "asymmetrischen Krieg" mit der Hamas. Israel sei als demokratischer Staat den Regeln des Krieges verpflichtet, während die Hamas gegen diese verstosse, etwa indem sie Zivilisten als Schutzschilde missbrauche oder Raketen auf israelische Bevölkerungszentren schiesse.
Bei Entscheidungen über israelische Angriffe seien immer juristische Experten beteiligt, die Aussagen über die Verhältnismässigkeit treffen können. Die letzte Entscheidung treffe aber ein Kommandeur.
Frage: Welche rechtlichen oder politischen Gefahren sieht Israel?
Antwort: Mandelblit betont, das Töten von Zivilisten sei nicht in Israels Interesse, im Gegenteil, es spiele der Hamas in die Hände. Die Hamas ziehe daher einen Krieg in dicht besiedelten Wohngebieten einem Konflikt in offenem Gebiet vor.
"Wenn man Zivilisten tötet, Krankenhäuser und Moscheen angreift, die einen besonderen Schutz geniessen, muss man beweisen, dass sie militärische Ziele waren, wenn nicht, verliert man den Krieg, man verliert in den Medien und an der juristischen Front", sagt er. Wenn die Legitimität des militärischen Vorgehens infrage gestellt werde, "wird die Welt einen stoppen".
Eine Obergrenze für zivile Opfer gibt es im Völkerrecht nicht
Frage: Ist die Bombardierung des Gazastreifens mit Tausenden zivilen Opfern ein Verstoss gegen das humanitäre Völkerrecht?
Antwort: Die Antwort erfordert eine genaue Analyse. Aktuell erfolgt die Beurteilung der Lage vor allem nach Informationen durch die Kriegsparteien. Grundsätzlich schützt das humanitäre Völkerrecht Zivilisten und zivile Objekte. Beim militärischen Vorgehen müssen Militärs unter anderem streng auf die Verhältnismässigkeit der Mittel achten.
Eine Formel, ab wann die Verhältnismässigkeit zwischen Opfern unter Zivilisten und erreichtem militärischen Ziel verletzt wird, gibt es nicht. Der Versuch, die Führungsriege der Hamas auszuschalten, rechtfertigt möglicherweise mehr zivile Opfer als ein Angriff auf einfache Soldaten.
Frage: Wie ist es bewerten, dass Israel nach eigenen Angaben durch Fluchtkorridore und Warnungen die Zahl der zivilen Opfer zu begrenzen versucht?
Antwort: Es gibt völkerrechtlich eine Pflicht zur Warnung an Zivilisten, dass ein Militärschlag droht. Das kann durch SMS oder Flugblätter oder andere Mittel geschehen.
Sollten Zivilisten die Warnung und die Aufforderung, das Gebiet zu verlassen, nicht beachten, ändert das nicht ihren Status. Sie bleiben immer Zivilisten. Die Effektivität von Warnungen und Fluchtangeboten und die Frage, ob sie den Anforderungen des humanitären Völkerrechts genügen, ist derzeit Gegenstand von Kontroversen und Diskussionen unter Völkerrechtlern.
Eine umfassende Beurteilung erfordert eine genaue Analyse der spezifischen Umstände und des Verlaufs der Militäroperationen.
Krankenhäuser dürfen nur unter einer Bedingung angegriffen werden
Frage: Wie ist der Einsatz menschlicher Schutzschilde zu bewerten?
Antwort: Der Einsatz menschlicher Schutzschilde wird allgemein als schwerwiegender Verstoss gegen das humanitäre Völkerrecht betrachtet. Die Verwendung von Zivilpersonen zum Schutz militärischer Ziele ist ein Kriegsverbrechen. Die Verurteilung des Einsatzes menschlicher Schutzschilde ist international weit verbreitet.
Frage: Gilt für Krankenhäuser ein absoluter Schutz oder dürfen zivile Opfer in Kauf genommen werden, wenn sich dort militärische Gegner verschanzen?
Antwort: Der Grundsatz des absoluten Schutzes von medizinischen Einrichtungen bedeutet, dass sie nicht angegriffen werden dürfen - es sei denn, sie werden für feindliche Handlungen missbraucht. Ein Krankenhaus, aus dem Kämpfer schiessen oder Raketen abfeuern, kann zum militärischen Ziel werden.
Wenn sich der Gegner im oder unter dem Gebäude verschanze, dürfe es trotzdem nicht angegriffen werden, sagt die Grazer Völkerrechtlerin Yvonne Karimi-Schmidt. Der Schutz von Zivilisten und zivilen Einrichtungen habe Vorrang, und es werde erwartet, dass Konfliktparteien alles tun, um medizinische Einrichtungen und ihr Personal zu schützen. (dpa/thp)
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