• Finnland und Schweden erwägen den Beitritt in die Nato.
  • Noch im Mai könnten die bislang neutralen Staaten einen Antrag stellen. "Keine gute Nachricht für Moskau", ist sich Politikwissenschaftler Thomas Gehring sicher.
  • Welche Reaktionen aus Moskau denkbar sind und welches Signal die Ankündigung bereits an den Kreml sendet.

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Die Nato könnte ihre Mitgliederzahl in naher Zukunft vergrössern: Schweden und Finnland sollen sich auf eine gemeinsame Bewerbung zum Beitritt im westlichen Militärbündnis geeinigt haben. Das berichten finnische und schwedische Medien übereinstimmend.

Derzeit zählt die Nato 30 Mitglieder, zuletzt kamen Kroatien, Montenegro und Nordmazedonien hinzu. Finnland und Schweden arbeiten bereits eng mit der Nato zusammen, haben sich dem Bündnis bislang aber nicht angeschlossen und sich dabei auf die eigene Bündnisneutralität berufen.

Umdenken durch Ukraine-Krieg

Die russische Invasion hat in beiden Ländern nun zu einem Umdenken geführt – auch in der Bevölkerung spricht sich mittlerweile mehr als die Hälfte für eine Nato-Mitgliedschaft aus. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat den beiden Ländern im Falle eines Beitrittsantrags eine Schnell-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt.

"Zurzeit sind die beiden Länder intern noch in der Beschlussfassung, ob sie einen Antrag stellen wollen, aber es sieht so aus, als ob sie das tun werden", sagt Politikwissenschaftler Thomas Gehring. Auch Politikwissenschaftler Julian Pawlak rechnet mit einem zeitnahen Beitrittsantrag. "Ein Nato-Betritt Schwedens und Finnlands wird mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine immer wahrscheinlicher. Die finnische Debatte ist dabei bereits weiter fortgeschritten als jene in Schweden", sagt er.

Neutralen Status aufgeben

Die finnische Premierministerin Sanna Marin habe angekündigt, im Frühling zu einer Entscheidung zu kommen, finnische Medien hätten Mitte bis Ende Mai als möglichen Zeitraum für einen gemeinsamen Antrag ins Spiel gebracht. "Damit blieben noch einige Wochen Vorlaufzeit bis zum nächsten Nato-Gipfel, welcher Ende Juni in Madrid stattfindet", sagt Pawlak.

Während aus den westlichen Mitgliedsstaaten begrüssende Reaktionen auf Schwedens und Finnlands Ambitionen folgten, warnte Russland beide Länder davor, sich für einen Beitritt zu entscheiden. "Für Russland ist es keine gute Nachricht, dass zwei Staaten ihren neutralen Status aufgeben wollen und in das westliche Militärbündnis übersiedeln", ist sich Experte Gehring sicher.

Bislang keine Verteidigungsgarantie

Russland und Finnland teilen eine 1300 Kilometer lange Grenze. Zwar bieten die EU-Mitgliedschaft und die enge Partnerschaft mit der Nato Finnland und Schweden bereits einen gewissen Schutz, auf eine "kollektive Verteidigung", wie sie der Artikel 5 des Nordatlantikvertrags verspricht, können die nordischen Länder bislang allerdings nicht setzen.

"Finnland hat in seiner Geschichte viele Konflikte mit Russland gehabt: Es war Teil des russischen Reiches und hat am Ende des Zweiten Weltkrieges Gebiete an die Sowjetunion verloren", erinnert Gehring. Deshalb habe nun besonders Helsinki Interesse daran, seine Situation abzusichern.

Klares Signal an Moskau

"Die Debatte sowie die wachsende Zustimmung in beiden Ländern für den Beitritt in ein Verteidigungsbündnis sendet das Signal, dass die militärische Bedrohung, die derzeit von der Russischen Föderation und ihrer Führung ausgeht, ernst genommen wird", analysiert Experte Pawlak. Russland setze militärische Mittel gegen souveräne Nachbarstaaten ein um seine Ziele zu erreichen.

Den beiden Ländern werde nun vor Augen geführt, dass erneut ein bündnisfreier Staat durch Russland militärisch angegriffen wird. "Deswegen wollen sich die beiden Staaten auch nicht durch bedrohliche Rhetorik einschüchtern lassen und diskutieren offen den Anschluss an die Nato, die heute, auch durch Putins Angriffskrieg, so geschlossen dasteht wie seit Jahren nicht", so Pawlak.

"Öl ins Feuer"?

Er rechnet damit, dass die Rhetorik des Kremls diesen Schritt als "Öl ins Feuer" darstellen wird. "Schliesslich wird dort die Nato als U.S.-geführte Militärallianz betrachtet", erinnert er. Schweden und Finnland seien jedoch souveräne Staaten, könnten frei über sich entscheiden und hätten das Recht auf freie Bündniswahl.

Gehring glaubt nicht, dass ein Statuswechsel von Finnland und Schweden unmittelbar konfliktverschärfend wäre. "Russland hat Schweden und vor allem Finnland bei seinen Wiederherstellungsbestrebungen der Sowjetunion nicht als Erstes im Blick. Da sind erst einmal Georgien, Moldawien und die Ukraine dran, vielleicht auch noch die baltischen Staaten mit ihren grossen russischen Minderheiten", meint er.

Haltung des Kremls wird bestätigt

Russland habe sich allerdings in vielerlei Hinsicht getäuscht: Weder sei eine schnelle Installation eines pro-russischen Regimes in Kiew geglückt, noch habe man mit der geschlossenen Reaktion des Westens gerechnet. "Putin hat auch sicherlich nicht erwartet, dass die neutralen Länder Schweden und Finnland nun ihren Status aufgeben", sagt Gehring. Das seien alles Folgewirkungen des jetzt schon teilweise fehlgeschlagenen Angriffs auf die Ukraine.

"Der jetzige Schritt wird das Bestreben der russischen Regierung bestärken, zu verhindern, dass immer mehr Länder der Nato beitreten wollen", schätzt Gehring. Umso stärker werde sich Moskau deshalb auf die Länder konzentrieren, wo dies noch nicht der Fall sei – Georgien, Moldawien, Ukraine. "Der Schritt könnte den Entschluss, sich nicht aus der Ukraine zurückzuziehen und die Ukraine gehen zu lassen, noch bestärken", meint Gehring.

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Reaktionen aus Moskau erwartet

Pawlak glaubt derweil nicht, dass Russland die schwedische und finnische Entscheidung reaktionslos hinnehmen wird. "Neben rhetorischen Drohungen und Desinformationskampagnen gegen die beiden skandinavischen Staaten sowie die Nato ist insbesondere in der Übergangsphase, also vom Antrag bis zur etwaigen Aufnahme, mit russischen Aktivitäten unterhalb der Schwelle zum bewaffneten Konflikt zu rechnen", sagt er.

Dazu zählten Desinformationskampagnen, Manipulation oder Cyberangriffe, etwa auf kritische Infrastrukturen. Gehring hält ausserdem ökonomische Sanktionen aus dem Kreml gegen Finnland und Schweden für denkbar.

Militäroperation unwahrscheinlich

"Mit Blick auf die Invasion der Ukraine und vor dem Hintergrund militärischer Kapazitäten sowie logistischer Herausforderungen ist eine offene wie grossflächige militärische Operation gegen Finnland und Schweden derzeit weniger wahrscheinlich", betont er.

Dennoch würden zum Zwecke der Rückversicherung während des angesprochenen Antragsprozesses derzeit Sicherheitsgarantien, insbesondere für Schweden, etwa durch amerikanische und britische Truppenpräsenz diskutiert.

Über die Experten:

  • Prof. Dr. Thomas Gehring lehrt am Lehrstuhl für Politikwissenschaft, insbesondere Internationale Beziehungen, an der Universität Bamberg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Internationale Organisationen als autonome Akteure der Weltpolitik und die EU als eigenständiger Akteur der internationalen Politik.
  • Julian Pawlak ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS), einem Kooperationsprojekt der Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg und der Führungsakademie der Bundeswehr. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Nord- und Osteuropa, strategische Studien sowie der Ostseeraum und die Nato-Nordflanke. Seine Zitate spiegeln seine persönliche Meinung als Wissenschaftler wider und sind keine offizielle Position des Verteidigungsministeriums

Verwendete Quellen:

  • "Iltalehti.fi": IL:n tiedot: Suomi ja Ruotsi pyrkivät hakemaan Natoon yhtä aikaa toukokuussa.
  • "Expressen.se": Finland och Sverige kan sicka ansökan samtidigt.
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