Die Bundeswehr verlegt im Rahmen eines Nato-Einsatzes 2017 bis zu 650 Soldaten und schweres Gerät ins Baltikum. Kritiker warnen vor einer unnötigen Provokation Russlands. Doch Befürworter sehen in der Stationierung ein längst überfälliges Zeichen der Stärke gegen Moskaus aggressive Aussenpolitik.
Deutsche Soldaten an der russischen Grenze - da werden unangenehme Erinnerungen wach. Knapp 76 Jahre nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion werden bis zu 650 deutsche Soldaten in Litauen stationiert - jedoch unter völlig anderen Vorzeichen als damals.
Ab Februar 2017 wird ein Nato-Bataillon unter deutscher Führung in der baltischen Republik in Stellung gehen. Zu der kampffähigen Einheit unter deutscher Flagge gehören auch Panzer und gepanzerte Fahrzeuge. Der Rest der 1.000 Soldaten stellen Bündnispartner wie Frankreich, Belgien und Kroatien. Auch in Estland, Lettland und Polen werden Bataillone stationiert, rund 4.000 Soldaten insgesamt.
Hintergrund der Truppenbewegungen ist die Sorge der östlichen Nato-Staaten um Russland: In den vergangenen Jahren fiel das Land in Georgien ein, annektierte die ukrainische Halbinsel Krim und unterstützte russischstämmige Separatisten in der Ostukraine. "Es handelt sich um ein klares Signal, dass ein Angriff auf ein Nato-Land gewertet wird wie ein Angriff auf alle 28 Nato-Länder", erklärte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen.
Doch wie wahrscheinlich wäre so ein Angriff überhaupt? Oder wird mit der Truppenbewegung bewusst die Angst vor Russland geschürt?
Säbelrasseln von zwei Seiten
"Ich halte kein Szenario für völlig ausgeschlossen, aber ein Angriff Russlands auf einen Nato-Staat ist doch äusserst unwahrscheinlich", sagt Dr. Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Gespräch mit unserer Redaktion. Russland wolle keinen Krieg mit der Nato und keinen Bündnisfall riskieren. Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sind seit 2004 Nato-Mitglieder.
Kritik an der Russland-Politik des Bündnisses kommt von der Linkspartei. Alexander Neu, Obmann seiner Partei im Verteidigungsausschuss des Bundestages, sagte dem "Deutschlandfunk", dass "die Bundeswehr nichts an der russischen Grenze zu suchen" habe. Er beklagt sich über die aus seiner Sicht einseitige Sichtweise, dass die Nato-Grenze von Russland bedroht werde. "Umgekehrt kann man genauso sagen, dass die russische Grenze von der Nato bedroht wird. Es ist die Nato, die sich nach Osten erweitert hat", sagte Neu. Es finde ein "Säbelrasseln von zwei Seiten statt", das schnell beendet werden müsse.
Stefan Meister kann das Handeln der Nato einerseits nachvollziehen: Russland habe seine Streitkräfte mit viel Mühe modernisiert und Manöver an der Grenze zur Nato durchgeführt. Ausserdem habe die russische Rhetorik, das westliche Verteidigungsbündnis als "Feind" zu benennen, wieder zugenommen.
Andererseits jedoch gebe es auch in einigen Nato-Staaten eine Zunahme von Vorurteilen gegenüber Russland und eine negative Wahrnehmung, die "der Sozialisation aus dem Kalten Krieg" entstamme, so Meister.
Diese wachsende Emotionalisierung im Verhältnis zu Russland hält der Experte für bedenklich. Zum Teil werde dadurch die Angst vor Russland geschürt.
Vorwurf einer "Dämonisierung" Russlands
Im Baltikum, in das die deutschen Soldaten entsandt werden, ist die Sorge um die aggressive Aussenpolitik Moskaus besonders gross - besonders wegen der eigenen russischen Minderheiten und der geringen territorialen Grösse.
In Russland hingegen hält man solche Befürchtungen für unbegründet: "Die Allianz konzentriert ihre Kräfte darauf, eine nicht existierende Gefahr aus dem Osten einzudämmen", hiess es aus dem Moskauer Aussenministerium, nachdem die Pläne zur grössten Nato-Aufrüstung seit dem Kalten Krieg im Sommer veröffentlicht wurden. Man warf der Nato eine "Dämonisierung" Russlands vor.
Angesichts von schätzungsweise 300.000 russischen Soldaten an der Ostgrenze der Nato ist die Verteidigung der baltischen Staaten ohnehin mehr symbolisch zu bewerten. Ausserdem müssen die 4.000 Soldaten immer wieder ausgetauscht werden, weil durch ihre permanente Präsenz die Nato-Russland-Grundakte von 1997 verletzt werden würde.
Die Beziehungen zur Nato waren seit der Annexion der Krim durch Russland 2014 angespannt. Vor der Krim-Krise waren sogar gemeinsame Manöver abgehalten worden - aktuell wäre das undenkbar.
Moskau sieht den von den USA errichteten Raketenschild in Osteuropa als Bedrohung. Und es stört sich an der Ausdehnung des Bündnisses nach Osten, was nach Ende des Kalten Krieges von führenden westlichen Politikern noch ausgeschlossen worden war. Russland-Experte Meister appelliert daran, den westlichen Anteil an der derzeitigen Krise nicht zu verschweigen.
Zugleich müsse die Nato "auf die russische Politik der letzten Jahre reagieren und sich auf ein neues russisches Bedrohungsszenario einstellen." Die Stationierung von Truppen an der russischen Grenze ist jetzt eine deutliche Reaktion.
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