Intensivierte Partnerschaften, Militärmanöver, Absprache bei Waffensystemen und gemeinsame Gipfeltreffen von der Nato mit ostasiatischen Staaten sorgen im dortigen benachbarten Ausland für Misstrauen und Skepsis. Plant die Nato eine geopolitische Revolution und will asiatische Staaten in ihr Sicherheitsbündnis aufnehmen? Zwei Politikwissenschaftler finden klare Worte – haben aber auch eine deutliche Warnung.
In China und Nordkorea ist man verärgert. Der Anlass: die Nato. Vor allem Peking und Pjöngjang schmeckt es überhaupt nicht, dass das Verteidigungsbündnis seine Fühler in Richtung Pazifik ausstreckt. In ihren Augen betreibt die Nato, die stets auf den Atlantik fokussiert war, eine "Fernost-Erweiterung".
Konkret geht es zum Beispiel um die Einladung von Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland zu Nato-Gipfeln, so auch nach Vilnius in diesem Jahr. Misstrauisch machen Peking und Pjöngjang auch gemeinsame Militärmanöver im Indo-Pazifik, ein Dreier-Gipfel von Tokio und Seoul mit US-Präsident Joe Biden, "Partnerschaftsprogramme" und "intensivierte Beziehungen". Auch die Bundeswehr war Teil des Manövers "Talisman Sabre 23" in Australien und plant, im kommenden Jahr zwei Kriegsschiffe in den Indo-Pazifik zu schicken.
Warnungen aus Peking
In einer seiner jüngsten Erklärungen hielt das Verteidigungsbündnis fest: Russland und China unternähmen "sich gegenseitig verstärkende Versuche, die regelbasierte internationale Ordnung zu untergraben". Dies "widerspricht unseren Werten und Interessen". Dann kommt auch noch der Plan der Nato dazu, ein Verbindungsbüro in Japan zu eröffnen.
Scharfe Warnungen gegen das westliche Verteidigungsbündnis folgten prompt. "Wir haben gesehen, was die Nato in Europa getan hat. Sie darf nun nicht versuchen, Chaos hier in der Asien-Pazifik-Region oder sonst wo in der Welt zu säen", sagte beispielsweise ein chinesischer Aussenministeriumssprecher.
Sorge vor "Natoisierung" von Asien
Daniel DePetris, Aussenpolitik-Experte bei der US-Denkfabrik "Defense Priorities", analysierte bereits: "China, Russland und Nordkorea sind alarmiert über die langsame, aber sichere Bewegung der Nato in Richtung Asien. Sie rücken enger zusammen, um ein Gegengewicht gegen die sogenannte Natoisierung Asiens zu schaffen."
Mit "Natoisierung" ist die enge strategische Zusammenarbeit gemeint, die fast schon der von Nato-Verbündeten gleicht. Die tektonische Plattenverschiebung in der Geopolitik wirft Fragen auf. Könnte sich die Nato tatsächlich nach Ostasien ausweiten?
Vertrag gibt klare Antwort
Politikwissenschaftler Matthias Dembinski findet klare Worte: "Die Nato würde nicht formal Mitglieder aus dem ostasiatischen Raum aufnehmen und sich vertraglich ausweiten – das verbietet Artikel 10. Ihm nach können nur europäische Staaten beitreten." Die Nato sei explizit auf Europa begrenzt.
Auch Politikwissenschaftler Simon Koschut hält es für extrem unwahrscheinlich, dass die Nato diesen Vertrag ändert. "Selbst wenn die USA, die die Idee einer globalen Erweiterung der Nato am stärksten vorantreiben, es unbedingt wollten: Es braucht den Konsens aller Mitgliedstaaten. Sobald ein Staat ausschert, ist die Sache gestorben", sagt er. Zum gegebenen Zeitpunkt und auf absehbare Zeit werde es nicht passieren, dass die Nato asiatische Staaten aufnimmt.
Es herrsche allerdings Konsens im Bündnis darüber, dass die intensivierte Kooperation mit Staaten im Indo-Pazifik für die Nato sehr wichtig sei. Auch in den besagten Ländern selbst hat man erkannt: "Ereignisse in Europa können substanzielle Auswirkungen auf die Indo-Pazifik-Region haben. Genauso können Indo-Pazifik-Ereignisse immense Folgen für europäische Länder haben", sagt beispielsweise der südkoreanische
Kooperation hat Geschichte
Koschut erinnert aber: "Die Kooperation mit Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland ist nicht neu: Sie reicht in die 2000er-Jahre zurück, wo diese Länder teilweise in Afghanistan Truppen gestellt und mitgekämpft haben."
Mit dem Ukraine-Krieg sei die Beziehung wieder aktueller geworden. "Durch die verstärkte Zusammenarbeit Russlands mit China und dem zunehmend robusteren Auftreten Chinas in der Region haben diese Staaten ein stärkeres Interesse, Beziehungen auszubauen", analysiert der Experte. Der japanische Aussenminister Yosimasa Hayasi äusserte sich in einem "CNN"-Interview mit dem Satz: Was in der Ukraine passiere, "ist nicht auf Osteuropa begrenzt, sondern betrifft direkt auch die Situation hier im Pazifik".
Kein Beistand nach Artikel 5
Dembinski betont: "Die Abkommen zwischen der Nato und den indo-pazifischen Staaten betreffen vor allem weichere und umfassende Sicherheitsfragen, wie etwa die Zusammenarbeit im Bereich des Katastrophenschutzes. Es geht nicht um den Beistand nach Artikel 5." Damit ist die kollektive Verteidigung gemeint, die Bündnispartner einander im Angriffsfall zusichern. "Wir reden also nicht über Erweiterung, sondern über Partnerschaften", stellt der Experte klar.
Aus Sicht von Koschut wollen die Nato-Staaten das auch tunlichst vermeiden, um sich nicht neue Probleme ins Haus zu holen. China, das immer wieder in Richtung Taiwan mit dem Säbel rasselt, und Nordkorea, das sich in Anbetracht eines fehlenden Friedensvertrags faktisch immer noch mit Südkorea im Krieg befindet, sind den Nato-Staaten zu heikel.
"Die europäischen Staaten zielen auf eine Partnerschaft ab, bei der es um Technologieaustausch geht und die militärische Interoperabilität verbessert, sodass im Zweifel auch gemeinsame Missionen durchgeführt werden könnten", analysiert Koschut. Abgesehen davon sei ein Nato-Beitritt angesichts bestehender US-Sicherheitsgarantien aussenpolitisch überflüssig und innenpolitisch zumindest in Japan und Südkorea hoch umstritten. "Sie würden ihr gar nicht beitreten wollen", so der Experte.
Regelbasierte Ordnung aufrechterhalten
Die Aktivitäten gerade der europäischen Nato-Staaten gelten Dembinski dennoch als Vorboten eines möglichen stärkeren Engagements im Indo-Pazifik. Die Europäer seien sich dessen bewusst, dass sie angesichts der Fokussierung Washingtons auf China mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen müssten.
"Die Frage ist, inwieweit die Europäer ihre Beziehungen zu ostasiatischen Demokratien über das rein Politisch-Diplomatische und Symbolische hinaus intensivieren sollten", sagt Dembinski. Die europäischen Staaten hätten vor allem Interesse am Zugang zu wichtigen Handelspartnern. "Es geht aber auch um die Aufrechterhaltung maritimer internationaler Ordnung – damit grosse Seegebiete nicht einfach nationalisiert werden können und internationales Seerecht Geltung hat", sagt er.
Bei diesem ordnungspolitischen Ziel sehe sich die Nato allerdings einer Gratwanderung ausgesetzt. "Wie können gerade wir Europäer realistisches Engagement signalisieren und nicht durch bestimmte Gesten Gegenreaktionen provozieren, die wir gar nicht produzieren wollen?", fragt Dembinski. Auf der einen Seite müsse man sichergehen, dass andere das europäische Committment nicht falsch verstehen, andererseits müsse man geopolitische Antworten finden.
Experte hat eine Warnung
"Bei Licht gesehen ist die Vorstellung eines substanziellen militärischen europäischen Engagements in der Region, die in Peking eine Rolle spielen könnte, relativ unrealistisch. Aber auch, wenn ein militärisches Engagement nur symbolisch ist – die Nato sollte aufpassen mit dem, was sie signalisiert", warnt er.
Aus Sicht beider Experten sind und bleiben die USA ohnehin vorerst wichtigster Treiber der strategischen Nato-Ausrichtung. "Die militärische Leistungsfähigkeit geht zu fast 90 Prozent auf die USA zurück. Sie sind mit Abstand der dominanteste Bündnispartner und haben schon immer die strategischen Entscheidungen ein Stück weit vorgegeben", erinnert Koschut. Die USA hätten seit Jahrzehnten die globale Perspektive im Blick. Dabei gehe es vor allem um eine Machtdimension.
Machtdimension für die USA
"Neben der Aufrechterhaltung einer liberalen Weltordnung wollen einige die Nato als Instrument und Projektion amerikanischer Macht auf globaler Ebene ausbauen", sagt er. Denn in der Uno könnten die USA angesichts einer Vielzahl von Autokratien oft wenig erreichen. Auf Initiative von US-Präsident Joe Biden wurde bereits im Jahr 2021 eine Art "Club der Demokraten" ins Leben gerufen.
Ziel des sogenannten "Summit for democracy" sollte es sein, die Demokratie im eigenen Land zu erneuern und Autokratien im Ausland entgegenzutreten. Nicht eingeladen waren beispielsweise Russland, China, die Türkei und Ungarn.
"Die Beobachtung, dass aus diesem 'Summit for democracy' nicht besonders viel geworden ist, ist jedoch ein Hinweis darauf, dass die Vorstellungen von Globalisierung der Nato auf der Grundlage gemeinsamer Demokratie doch nicht so weit tragen", sagt Dembinski.
Zu den Personen:
- Dr. Matthias Dembinski ist Projektleiter am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung (PRIF).
- Prof. Dr. Simon Koschut ist Lehrstuhlinhaber für Internationale Sicherheitspolitik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen.
Verwendete Quellen:
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