Apokalpytischer Rassenkrieg, Todeslisten, Morde: Die rechtsterroristische Gruppierung "Atomwaffen Division" verbreitet in den USA Angst und Schrecken. Auch in Deutschland hat sie bereits Anhänger. Der Politikwissenschaftler Jan Rathje erklärt Ideologie, Ziele und Gefahrenpotenzial des Nazi-Netzwerks.

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Das Schreiben war Angst einflössend und voller Hass: Er stehe auf Platz eins der Todesliste und werde für die Fehler seiner Partei büssen müssen, hiess es Ende Oktober in einem Drohschreiben, das an den Grünen-Politiker Cem Özdemir adressiert war.

"Zurzeit sind wir am Planen wie und wann wir Sie hinrichten werden, bei der nächsten öffentlichen Kundgebung? Oder werden sie von uns vor ihrem Wohnort abgefangen?" so die Extremisten weiter.

Auch Claudia Roth erhielt eine ähnliche E-Mail. Absender: Atomwaffen Division Deutschland (AWD).

Die Gruppierung ist ein Ableger der gleichnamigen Organisation aus den USA, die als eine der gefährlichsten Neonazi-Gruppen der Gegenwart gilt. Erst kürzlich konnte ein US-Mitglied am Flughafen abgefangen und an der Einreise nach Deutschland gehindert werden.

Plan des Mannes soll es gewesen sein, an deutschen Unis neue Mitglieder zu rekrutieren. Denn auch in Europa erfährt das Nazi-Netzwerk Zulauf, die Sicherheitsbehörden sind alarmiert.

"Atomwaffen-Division": Ursprünge in amerikanischem Neonazi-Forum

Die rechtsradikale Gruppierung hat ihren Ursprung in einem amerikanischen Neonazi-Forum namens "Iron March". "Der Neonazi Brandon Clint Russell hat dort am 12. Oktober 2015 die Gründung der Atomwaffen Division verkündet", erklärt der Politikwissenschaftler Jan Rathje von der Amadeu Antonio Stiftung.

Das Forum ist inzwischen verboten, Russell sitzt in Haft. Aber was der ehemalige Physikstudent unter dem Nutzernamen "Odin" ins Leben rief, wächst weiter, mittlerweile auch in Australien, Kanada und Europa. "Inzwischen ist John Cameron Denton die Person, die zentral für die AWD auftritt", so der Experte weiter.

Die Ideologie, die die "Atomwaffen Division" antreibt, enthält klassische Elemente des Nationalsozialismus. Die Gruppe propagiert Antisemitismus, Verschwörungstheorien und Hass auf Minderheiten. Ausserdem glaubt sie an die Überlegenheit der "weissen Rasse".

Die fanatische Kameradschaft verehrt Hitler, der rechtsextreme Massenmörder Anders Breivik gilt ebenso als Vorbild. Selbst auf islamistische Terroristen bezieht sich die "Atomwaffen Division", mit ihnen teilen sie etwa den Antisemitismus.

Apokalyptischer "Rassenkrieg" und Viertes Reich

Um ihr regressives Weltbild durchzusetzen, will die "Atomwaffen Division" einen "rassischen heiligen Krieg" heraufbeschwören und bedient sich der politischen Theorie des Akzelerationismus.

"Das apokalpytische Konzept geht davon aus, dass die Widersprüche moderner Gesellschaften beschleunigt werden müssen, damit eine reinigende Schlacht zwischen den Mächten des Guten und Bösen stattfinden kann", erläutert Rechtsextremismusforscher Rathje.

Danach trete nach Überzeugung der AWD ein Viertes Reich ein. "Atomwaffen sind Symbol für diese Apokalypse, die selbst ausgelöst werden kann", ergänzt der Experte.

Um einen Systemkollaps durch das Säen von Chaos und Spannung herbeizuführen, schrecken die Anhänger von AWD vor nichts zurück: Wahlen und Massenpolitik seien sinnlos, Terrorgewalt das Mittel der Wahl.

Die Gruppierung setzt dabei auf 'leaderless resistance' – ein Konzept des führerlosen Widerstandes. Inspiriert sind die Anhänger dabei von dem rechtsradikalen Aktivisten James Mason und dessen Werk "Siege". "Er plädiert für einen terroristischen Untergrund und das Operieren in Kleinstgruppen", weiss Rathje.

"Die 'Atomwaffen' Division hat zunächst auf Szeneforen und Videoplattformen im Netz gesetzt, mittlerweile macht sie aber auch Propaganda mit Flyern, Plakaten und Aufklebern", erläutert der Experte.

Auch in Deutschland ist an Universitäten in Frankfurt und Berlin bereits solches Material aufgetaucht. "Die Anhänger setzen nicht auf Rechtspopulismus, der die breite Masse erreicht. Eine Elite soll sich im Kampf erproben", betont Rathje.

Hauptsächlich weisse junge Männer haben sich in den USA der "Atomwaffen Division" angeschlossen, darunter auch Ex-Soldaten. In den USA sollen Angriffe auf die Wasser- und Stromversorgung geplant gewesen sein.

Die Aktivitäten umfassen auch Hass-Camps zur Vorbereitung auf den Rassenkrieg, die Ausbildung an Maschinengewehren und im Bombenbau.

Mindestens fünf Morde durch die AWD

"Mitgliedern von Atomwaffen Division werden in den USA fünf Morde zur Last gelegt", sagt Rathje. Darunter beispielsweise der antisemitisch und homophob motivierte Mord an Blaze Bernstein in Kalifornien Anfang 2018.

Wie viele Anhänger die "Atomwaffen Division" zählt, ist schwer festzustellen. Denn das Netzwerk organisiert sich dezentral, Kleingruppen sollen selbstständig aktiv werden. "Das FBI rechnet AWD in den USA bis zu 80 Personen zu", sagt Rathje.

In den USA sollen die Rechtsextremen in 23 Bundesstaaten aktiv sein. Besonders im Fokus sind Alabama, Florida, Texas, Kentucky, Ohio, Oregon sowie die Städte Boston, Chicago, New York und Seattle.

"In Deutschland und Europa sind die Gruppen noch nicht so offensichtlich aufgetreten. Nur wenige Personen wurden bislang identifiziert", so der Politikwissenschaftler weiter. Schätzungen des Experten Peter Neumann vom King’s College in London zufolge, der von etwa 24 bis 36 Mitgliedern ausgeht, hält auch Rathje für realistisch.

Noch scheint das Netzwerk überschaubar, aber: Der potenzielle Mitgliederkreis dürfte hoch sein, allein das Neonazi-Forum "Iron March" zählte mehr als 1.600 Registrierte.

"Wir dürfen die Gefahr, die von der Gruppierung ausgeht, nicht unterschätzen", warnt auch Rathje. Die Propaganda setze in hohem Masse auf Gewaltbereitschaft und Morde. "Es ist auch denkbar, dass sich Überschneidungen und Verlagerungen mit bestehenden Netzwerken wie "Combat18" oder "Blood and Honour" ergeben und so weitere Personen mobilisiert werden", so die Einschätzung des Experten.

Über den Experten:

Der Politikwissenschaftler Jan Rathje studierte in Potsdam und Greifswald. Seine Schwerpunkte sind Rechtsextremismus und Politische Theorie. Von 2013 bis 2014 war Rathje in der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus tätig. Seit 2015 leitet er bei der Amadeu Antonio Stiftung das Projekt "No World Order. Handeln gegen Verschwörungsideologien".

Verwendete Quellen:

  • Rnd.de: "'Atomwaffen Division': Was über die Neonazi-Terrorgruppe bekannt ist"
  • Splcenter.org: "ATOMWAFFEN DIVISION"
  • Vox.com: "Accelerationism: the obscure idea inspiring white supremacist killers around the world"
  • icct.nl: "Siege: The Atomwaffen Division and Rising Far-Right Terrorism in the United States"
  • Spiegel.de: "Die 'Atomwaffen Division'"
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