Klare Kante zeigen, den Finger in die Wunde legen, Dinge beim Namen nennen – Annalena Schmidt erhebt in Bautzen ihre Stimme gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Dafür wird die Wahlsächsin, wie sie sich selbst nennt, massiv angefeindet. Was ist da los? Wir haben mit der Bloggerin über das politische Klima in der sächsischen Stadt gesprochen.

Ein Interview
von Fabienne Rzitki

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Bloggerin Annalena Schmidt – kurz @schmanle – macht sich im ostsächsischen Bautzen gegen Neonazis stark. Sie dokumentiert im Internet fremdenfeindliche Schmierereien, Übergriffe auf Geflüchtete oder das Treiben von Rechtsextremen auf dem Weihnachtsmarkt.

Für das mediale Anprangern schlägt ihr oft Hass entgegen. Die 32-Jährige erhält ernst zu nehmende Drohungen. Davon lässt sich Schmidt aber nicht beeindrucken. Jetzt kandidiert sie für den Stadtrat. Einigen ist dies ein Dorn im Auge.

Die Bürgerinitiative "Wir sind Sachsen" plant deshalb eine Demo gegen die Historikerin. Angekündigt werden unter anderem die früheren AfD-Politiker André Poggenburg und Egbert Ermer. Beide gehören mittlerweile zur Spitze des sogenannten Aufbruchs deutscher Patrioten.

Poggenburg war nach Ärger mit AfD-Parteivertretern aus Sachsen-Anhalt und mit dem Bundesverband aus der AfD ausgetreten. Parallel dazu hatte er eine neue Partei gegründet, deren Vorsitzender er inzwischen ist.

Das Stigma des braunen Elends

Zu DDR-Zeiten war Bautzen im Westen wegen seines "gelben Elends" verschrien – dem grossen gelben Klinkerbau, einem Gefängnis auch für politische Gefangene. Das Stigma des "braunen Elends", der rechten Hochburg, lastet ähnlich schwer.

In die Schlagzeilen geriet die sächsische Stadt im Februar 2016. Da brannte der Husarenhof in Bautzen lichterloh. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass in dem früheren Hotel Hunderte Flüchtlinge untergebracht werden sollten.

Es wurde verbreitet, Dutzende Bürger hätten die Flammen bejubelt. Spekulation eines rechtsextremen Motivs erhärteten sich nicht. Bis heute ist der Fall ungeklärt. Wie ein Mahnmal steht die Ruine des Husarenhofs am Käthe-Kollwitz-Platz. Im selben Jahr eskalierte eine Situation zwischen Flüchtlingen und Einheimischen auf dem Kornmarkt, die in einer Hetzjagd durch die Stadt endete.

Annalena Schmidt spricht Vorkommnisse wie diese an: auf Twitter und in ihrem Blog schmanle.de. Wir haben mit der Historikerin gesprochen und nachgehakt: Ist das Stadtklima wirklich tiefbraun und inwiefern prägen Schmidts öffentliche Dokumentationen selbst das Bild der Stadt?

Frau Schmidt, Sie machen sich in Bautzen gegen Neonazis stark und werden dafür massiv angefeindet. Haben Sie Angst?

Annalena Schmidt: Nein. Vielleicht ist es naiv, denn es kann immer den einen rechten Spinner geben, der sich durch Stimmungsmache bemüssigt sieht, auf Worte Taten folgen zu lassen. Allerdings könnten Polizei und Zivilgesellschaft einen tätlichen Angriff gegen mich auch nicht einfach als Streit unter Jugendlichen abtun – so wie bei Angriffen Rechtsextremer gegen junge Geflüchtete. Allein schon meines Alters wegen nicht.

Was sind die schlimmsten Anfeindungen beziehungsweise Drohungen, die Sie erlebt haben?

Es gab einmal eine implizite Drohung einer Person, die mich mehrere Monate über WhatsApp gestalkt hat. Der Mensch hat unter anderem geschrieben, man möge sich an mir nicht die Finger dreckig machen. Man solle mir lieber Säure ins Gesicht schütten.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Der Vorfall wurde zur Anzeige gebracht. Allerdings habe ich immer wieder mit solchen Menschen zu tun. Aber: Hunde die bellen, beissen nicht. Das ist meine Hoffnung.

Sie sind sehr stark in den sozialen Netzwerken unterwegs. Was bewirken Hasskommentare bei Ihnen?

Anfeindungen sind für mich ein Grund, weiterzumachen. Wenn sich etwa Menschen bemüssigt fühlen, zu einer Demo gegen mich aufzurufen, dann muss noch viel mehr im Argen liegen, als ich jetzt sehen kann.

Wann wäre der Punkt erreicht, Ihre Accounts zu schliessen? Wenn Ihnen ein Fehler unterlaufen oder der Druck zu gross werden würde? Robert Habeck von den Grünen hat aus solchen Gründen den Stecker gezogen …

Sich aus den sozialen Medien zu verabschieden, halte ich für einen eklatanten Fehler. Mal danebenzuhauen, ist kein Grund, mit den Posts und Tweets aufzuhören. Gerade auf Twitter tummeln sich Politiker, Journalisten und politisch Interessierte, mit denen man sich gut vernetzen kann. Vor allem aber kann man Themen setzen. Habeck verschenkt aus meiner Sicht viel. Politisches Handeln ohne soziale Medien geht im Jahr 2019 nicht mehr.

Inwiefern prägt Ihre öffentliche Dokumentation das Bild der Stadt Bautzen nach aussen als rechte Hochburg? Inwieweit stigmatisiert es?

Es prägt und stigmatisiert aus meiner Sicht nicht. Ich habe 2016 damit angefangen, die Vorkommnisse in der Stadt auf Twitter zu dokumentieren. Davor war das Bild von Bautzen medial bereits geprägt – vor allem durch die Angriffe Rechtsextremer auf Flüchtlinge. Und die Stadtgesellschaft hat nicht dazu beigetragen, das Bild zu verbessern.

Gibt es in Bautzen wirklich nur diese eine Seite?

Natürlich hat Bautzen viele Seiten. Das, was ich dokumentiere, ist nur ein Aspekt des gesellschaftlichen Lebens in der Stadt. Es geht in Bautzen auch nicht nur um fremdenfeindliche Schmierereien und Übergriffe, sondern auch um Dinge, die sich nicht unbedingt im Rechtsextremismus verorten lassen. Es geht um Verschwörungstheorien, Rechtspopulismus und Demokratiefeindlichkeit. Nach und nach zeichnet sich ein Bild einer gesamtgesellschaftlichen Problemsituation ab, das ich in meinem Blog anprangere.

Sie meinen damit die Reichsbürger?

Wenn Sie damit den Terminus meinen, der Menschen unterschiedlicher Gruppierungen bezeichnet, die Deutschland die Souveränität absprechen, die Deutschland als GmbH bezeichnen und die meinen, es gäbe keinen Friedensvertrag, dann ja. Diesbezüglich gibt es im Landkreis ein grosses Problem.

Ist Bautzen ein Paradebeispiel für dieses Phänomen?

Die Situation hier ist kein Alleinstellungsmerkmal für Bautzen. Es ist ein Phänomen, das ganz Deutschland betrifft und insbesondere Sachsen. Das Phänomen der Reichsbürger gibt es noch nicht sehr lange und wir können nicht sagen, wie gross das Problem wirklich ist. Obwohl es Erhebungen dazu gibt, ist schwer einzuschätzen, wie viele Menschen dieser Ideologie verhaftet sind.

Für manche gelten Sie als Nestbeschmutzerin – nicht unbedingt nur bei Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen. Von welcher Seite kommt dieses Feedback noch?

Negative Rückmeldungen kommen auch aus Richtung derer, die rechts der bürgerlichen Mitte zu verordnen sind und aus dem Lager der CDU. Ich schätze, aufgrund einer übertriebenen Heimatliebe. Das ist nicht nur für Bautzen bezeichnend, es ist sachsenweit ein Phänomen, dass zuerst aufs Image gesehen wird und nicht darauf, was dem schlechten Image vielleicht zugrunde liegt. Statt Kritik an meiner Arbeit zu üben und in mir die Schuldige für das schlechte Image zu sehen, sollten sie sich mal an ihre eigene Nase fassen und fragen, ob nicht sie das Problem sind.

Als wirklich störend empfinde ich die Untätigkeit in der Kommunalpolitik – nicht auf Ebene der Sachpolitik, sondern in Bezug auf die zivilgesellschaftlichen Prozesse.

Das heisst, Sie wünschen sich mehr Unterstützung von der Politik beziehungsweise von offizieller Seite?

Es wäre zumindest schön, wenn der Oberbürgermeister, Alexander Ahrens, endlich klar Stellung beziehen würde, anstatt permanent rumzueiern. Doch er stellt sich lieber hinter einen Bauunternehmer, der mit kruden Verschwörungstheorien und Rechtspopulismus auffällt. Ich wünschte mir endlich klare Haltung auch von der CDU. Die CDU ist – sehr überspitzt gesagt – das grösste Problem in Bautzen, der Rechtsextremismus ist es nicht.

Wie meinen Sie das?

Man verschliesst die Augen vor dem Problem und möchte sich aufgrund der anstehenden Wahlen nicht positionieren. Aber die Menschen hier brauchen Orientierung. Und die bekommen sie nur, wenn Politiker ihre Meinung äussern. Es geht auch nicht darum, dass sich jemand in meinem Sinne äussert. Aber die CDU macht die Vogel-Strauss-Methode, obwohl sie Stellung beziehen müsste.

Wie ist das bei den anderen Parteien?

Die Linken und die Grünen äussern ihre Meinungen sehr stark. In letzter Zeit positioniert sich auch die SPD, zuweilen auch die FDP. Die AfD ist hier noch nicht vertreten. Aber wir wissen ja, dass sie sich trotzdem gerne sehr laut zu Wort meldet.

Sie sprechen von einem rechten Hegemoniegefühl – einem Gefühl der Überlegenheit der Rechten? Woran machen Sie das fest?

Den Rechten wird wenig entgegengebracht, etwa wenn sie in der Stadt ihre Parolen wie "Nazi-Zone" an die Häuser in der Altstadt sprühen und diese nie entfernt werden. Es gibt auch kaum Widerstand gegen rechte Demonstrationen. In diesem Klima können Rechte das Gefühl bekommen, dass sie in der Stadt die Macht und die Deutungshoheit haben.

Was muss getan werden?

Die Zivilgesellschaft muss gegen Rechtsextremismus lauter werden und zeigen, dass es mehr Menschen gibt, die anders denken.

Die Bundesregierung hat Sie 2018 für Ihr Engagement mit dem Titel "Botschafterin für Toleranz und Demokratie" ausgezeichnet. Inwiefern bestärkt Sie das in Ihrem Handeln?

Noch kurz vor der Auszeichnung dachte ich ans Aufhören, weil ich den Eindruck hatte, dass ich nicht gehört werde. Durch diesen Titel habe ich mich dann in dem, was ich tue, bestätigt gefühlt. Die Auszeichnung beweist zudem, dass meine Haltung nicht linksextrem ist. Das kommt mir gerade in der momentanen Situation sehr zugute.

Sie kandidieren für den Stadtrat. Wie bereiten Sie sich mit Blick auf mögliche Anfeindungen auf öffentliche Auftritte vor?

Ich denke, ich muss mich darauf nicht gross vorbereiten. Ich habe bewiesen, dass ich bei hitzigen Debatten sehr ruhig bleibe, sachlich argumentiere und mich nicht auf das Niveau der Hater begebe.

Zur Person: Annalena Schmidt lebt seit dreieinhalb Jahren in Bautzen. Sie zog für eine Stelle am Sorbischen Institut aus Hessen in die sächsischen Stadt. Weil sie auf Twitter und ihrem Blog Nazischmierereien anprangert und auf rassistische Vorfälle aufmerksam macht wurde sie 2018 von der Bundesregierung als "Botschafterin für Toleranz und Demokratie" ausgezeichnet.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Annalena Schmidt
  • dpa
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