Seit rund zehn Jahren ist Nicolás Maduro in Venezuela an der Macht. Und seit eben diesen zehn Jahren geht es bergab mit dem einst so reichen Land. Die wirtschaftliche und humanitäre Krise dürfte sich nun, nach der Wahl, noch einmal verschärfen.
Seit Jahren steckt Venezuela in einer tiefen politischen Krise. Die wirtschaftliche und humanitäre Lage ist katastrophal, der Unmut in der Bevölkerung gross. Viele Menschen haben das Land verlassen. Das liegt - nicht nur, aber vor allem - an Staatschef Nicolás Maduro.
Seit rund zehn Jahren regiert Maduro das Land mit harter Hand. Laut der mehrheitlich regierungstreuen Wahlbehörde soll er nach der Wahl vom Sonntag nun für sechs weitere Jahre am Ruder bleiben. Wie Behördenchef Elvis Amoroso in der Nacht auf Montag (Ortszeit) nach Auszählung von 80 Prozent der Stimmen mitteilte, erhielt Maduro eine Mehrheit von 51,2 Prozent - und das, obwohl der 61-Jährige wegen der Wirtschaftskrise im Land äusserst unbeliebt ist. Die Wahlbeteiligung lag laut Amoroso bei 59 Prozent.
Opposition erkennt Wahlergebnis nicht an
Auf den aussichtsreichsten Oppositionskandidaten Edmundo González Urrutia entfielen demnach 44,2 Prozent. Die Opposition erkannte das Wahlergebnis nicht an. "Wir haben gewonnen", sagte Oppositionsführerin María Corina Machado vor Journalisten. Venezuela habe "einen neuen designierten Präsidenten", nämlich González Urrutia.
Der Kandidat des Oppositionsbündnisses habe 70 Prozent der Stimmen erhalten und nicht 44 Prozent. Mehrere Umfragen sahen den Oppositionskandidaten González Urrutia tatsächlich mit deutlichem Vorsprung vor Maduro.
Beobachter gingen allerdings schon vor der Abstimmung nicht davon aus, dass die Wahl frei und fair ablaufen würde. Zuletzt wurden zahlreiche Oppositionelle festgenommen und regierungskritische Kandidaten nicht zur Wahl zugelassen. Die Nichtregierungsorganisation Foro Penal berichtete von mehr als 300 politischen Häftlingen.
Der populären Oppositionsführerin Machado wurde wegen angeblicher Unregelmässigkeiten aus ihrer Zeit als Abgeordnete die Ausübung öffentlicher Ämter für 15 Jahre untersagt. An ihrer Stelle trat schliesslich der bis vor Kurzem noch weitgehend unbekannte González bei der Präsidentenwahl an.
USA haben Bedenken wegen des Wahlergebnisses
Auch aus dem Ausland kam Kritik am Wahlergebnis bis hin zu Betrugsvorwürfen. Die USA etwa trauen dem offiziellen Ergebnis der Präsidentenwahl in Venezuela nicht. "Wir haben ernsthafte Bedenken, dass das angekündigte Ergebnis weder den Willen noch die Stimmen des venezolanischen Volkes widerspiegelt", sagte Aussenminister Antony Blinken laut US-Medien bei einem Besuch in Tokio.
Er forderte die Wahlkommission auf, die vollständigen Ergebnisse zu veröffentlichen. Jede Stimme müsse fair und transparent ausgezählt werden. Blinken ergänzte: "Die internationale Gemeinschaft beobachtet das sehr genau und wird entsprechend reagieren."
Maduro kündigt "Frieden, Stabilität und Gerechtigkeit" an
In einer ersten Reaktion auf das Wahlergebnis kündigte Maduro positive Veränderungen an. "Es wird Frieden, Stabilität und Gerechtigkeit geben", sagte der 61-Jährige kurz nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses in Caracas.
Er sicherte zudem "Frieden und Respekt für das Gesetz" zu. "Ich bin ein Mann des Friedens und des Dialogs", sagte Maduro vor Anhängern.
Während seiner bisher zehn Jahre als Venezuelas Präsident wurde Maduro schon oft abgeschrieben. Der bekennende Marxist hatte das Präsidentenamt 2013 übernommen, nachdem sein bis heute vielfach als linker Revolutionsheld verehrter Amtsvorgänger Hugo Chávez an Krebs gestorben war.
Unter Chávez jahrelang Aussenminister und später sein Vizepräsident, trat Maduro nie aus dessen Schatten heraus. Er verfügt weder über Chávez' Charisma noch über die sprudelnden staatlichen Öleinnahmen aus dessen Zeiten. Seine erste Präsidentschaftswahl gewann Maduro entsprechend nur mit einer hauchdünnen Mehrheit.
Maduro geriert sich als Verteidiger des kleinen Mannes
Um die vielen Krisen im Land zu überstehen, regiert Maduro zunehmend mit eiserner Hand. Für den venezolanischen Durchschnittsbürger wurde das Leben derweil immer schwieriger. Die anhaltende Wirtschaftskrise mit einer galoppierenden Inflation und Versorgungsengpässen bei Gütern des täglichen Bedarfs trieb Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner zur Flucht.
Dabei sieht sich Maduro selbst als Verteidiger des kleinen Mannes. Früher war er Busfahrer und Gewerkschaftsführer für Beschäftigte der Metro in Caracas, im kommunistischen Kuba liess er sich in den 1980er-Jahren politisch ausbilden. Als Chávez Ende der 90er an die Macht kam, zog Maduro ins Parlament ein, später wurde er Parlamentspräsident.
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Dass Chávez vor seinem Krebstod Maduro zu seinem Nachfolger bestimmte, überraschte sogar Politiker der Regierungspartei PSUV. Es war nicht das letzte Mal, dass Maduro unterschätzt wurde. Er wurde immer wieder als rüpelhaft und provinziell kritisiert, aber vielleicht pflegt er mit diesem Auftreten absichtlich sein Image als "Arbeiterpräsident".
Maduro spricht gern über Baseball und über Fernsehabende mit seiner Frau Cilia Flores, die er nicht als "First Lady", sondern als "Erste Kombattantin" präsentiert. Es wird Maduro sogar nachgesagt, dass er absichtlich schlecht Englisch spreche, um nicht für einen abgehobenen Intellektuellen gehalten zu werden. Sein Bekenntnis zum Christentum wird von manchen als Versuch gewertet, bei den evangelikalen Wählern im Land zu punkten.
Schon Maduros Wiederwahl 2018 wurde von vielen Ländern nicht anerkannt
Mit seiner zielstrebigen Art hat Maduro manche eingebildete oder tatsächliche Bedrohung überstanden, etwa einen Angriff mit einer mit Sprengstoff bestückten Drohne, bei dem 2018 mehrere Soldaten verletzt wurden. Aktivisten werfen ihm vor, die gegen seine Herrschaft gerichteten Proteste unerbittlich abzuwehren.
Schon Maduros Wiederwahl 2018 war international von vielen Ländern nicht anerkannt worden. Der zur Opposition zählende damalige Parlamentspräsident Juan Guaidó erklärte sich 2019 zum Interimspräsidenten, konnte sich aber im Land nicht durchsetzen - vor allem, weil das Militär hinter Maduro stand.
Die Folgen der Sanktionen, die der Westen in der Folge verhängte, überstand der Staatschef. Dabei halfen ihm unter anderem enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zu China, Russland und anderen autoritär geführten Staaten. Die allgegenwärtigen Wirtschaftsprobleme seines Landes macht diese Unterstützung jedoch nicht wett.
Maduro erklärt die Not in seinem Land mit einer US-Verschwörung
Unter Maduro hat sich die Lage in dem einst reichen Land mit seinen grossen Erdölvorkommen rapide verschlechtert. Venezuela leidet unter Missmanagement, Korruption und Sanktionen. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze.
Mehr als sieben Millionen Menschen haben Venezuela nach UN-Angaben in den vergangenen Jahren wegen Armut und Gewalt verlassen. Immer wieder kommt es zu Stromausfällen. Gas, Medikamente und Benzin sind knapp.
Maduro begründet die Not im Land mit einer angeblichen US-Verschwörung: Die Vereinigten Staaten hätten versucht, ihn zu ermorden, und der gesamte Westen ruiniere die einst so florierende Wirtschaft seines Landes, predigt er.
Auch der Opposition im eigenen Land begegnet der Präsident mit grossem Misstrauen. Ihm wird vorgeworfen, dass er Kritiker ohne Rücksicht auf Rechtsstaatlichkeit wegsperren lasse und praktisch jeden Gesprächskanal zur Opposition gekappt habe.
Um seine Version der Dinge zu verbreiten, nutzt der grossgewachsene Politiker mit dem stattlichen Schnurrbart intensiv die Staatsmedien. Im Fernsehen und Internet tritt sein Alter Ego Super-Bigote, zu Deutsch "Super-Schnurrbart", als "unzerstörbarer" Superheld "im Kampf gegen den Imperialismus" auf.
Seit Kurzem lässt sich Maduro ausserdem als Kampfhahn Gallo Pinto darstellen, um seine Vitalität im Vergleich zu seinem 74 Jahre alten oppositionellen Herausforderer González Urrutia zu betonen. Die Herausforderung hat Maduro laut Wahlbehörde gewonnen - Opposition und wichtige Länder der Region wiesen die offiziellen Ergebnisse jedoch umgehend zurück. (AFP/dpa/ank)
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