Die Initiative zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren scheidet die Geister der kleinen und mittelgrossen Unternehmen (KMU).
Regierung, Parlament, fast alle politischen Parteien, Gewerkschaften, der Wirtschafts-Dachverband. Alle sind gegen die "No Billag"-Initiative, welche die Gebühren für Radio und Fernsehen abschaffen will. Einzig der Gewerbeverband (SGV) sagt Ja dazu. Aber die Chefs der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sind nicht alle gleicher Meinung. Im Streitgespräch kreuzen zwei von ihnen die Klinge.
Kurt Schär hat sich einen Namen als Pionier für Elektrovelos gemacht. Heute ist er Verwaltungsrat in mehreren Unternehmen im Raum Bern und Mitglied des SGV. Trotzdem wird er am 4. März ein Nein in die Urne legen.
Konrad Rüegg war bis vor vier Jahren Inhaber eines Reisebüros im Zürcher Oberland und Mitglied des SGV. Heute verdient er seinen Lebensunterhalt mit der Vermietung von Wohnungen. Der No-Billag-Initiative stimmt er zu.
swissinfo.ch, eine Informations-Plattform der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), hat die beiden KMU-Vertreter an den gleichen Tisch geholt:
swissinfo.ch: Konsumieren Sie manchmal auch die Medien der SRG?
Konrad Rüegg: Ich muss die Billag-Gebühren bezahlen und deshalb nutze ich auch gewisse SRG-Angebote wie Informations- und Sportsendungen. Die SRG hat grundsätzlich gute Produkte…
swissinfo.ch: …, die Sie aber abschaffen wollen?
K.R.: Nein, das einzige, was wir abschaffen wollen, sind die Billag-Gebühren. Die SRG ist auch ohne diese Gebühren überlebensfähig.
swissinfo.ch: Wie viel müssten Sie für die SRG-Gebühren bezahlen, wenn Sie noch Inhaber des Reisebüros wären?
K.R.: Das ist der zentrale Punkt: Als Besitzer eines KMU wird man doppelt besteuert: zum einen als Privatperson und zum anderen als Firma. Firmen, die mehr als eine halbe Million Franken Umsatz erzielen, müssen Gebühren bezahlen. Im Reise-Geschäft haben auch kleine Firmen zwangsläufig Umsätze deutlich über dieser Schwelle.
swissinfo.ch: In jeder Firma gibt es Geräte, mit denen man die SRG-Angebote empfangen kann.
Kurt Schär: Dass die Gebühren auch den Unternehmen auferlegt werden, finde ich ebenfalls unschön. Ein Beispiel: Ein befreundeter Unternehmer in unserer Region führt einen Betrieb mit mehr als hundert Mitarbeitenden und muss rund 13'000 Franken SRG-Gebühren abliefern, obwohl es im Betrieb ein Radio- und TV-Verbot gibt während der Arbeitszeit. Dieser Schönheitsfehler gibt der Initiative leider Auftrieb.
swissinfo.ch: Soll man deswegen ein gebührenfinanziertes Radio und Fernsehen ganz abschaffen?
K.S.: Nein, man darf das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Das geht zu weit. Von diesen Gebühren profitieren nicht nur die Medien der SRG, sondern auch rund drei Dutzend private Radio- und Fernsehstationen.
swissinfo.ch: Als Privatperson bezahlen Sie demnächst nur noch 365 Franken, also 1 Franken pro Tag. Ist das zu viel verlangt?
K.R.: In der Schweiz bezahlt man europaweit die höchsten Gebühren für einen Service Public. Die 365 Franken entsprechen vielleicht schon dem Wert der Leistung, welche die SRG erbringt.
Aber man muss das Geld dafür anders beschaffen. Nicht über eine Zwangsgebühr.
Als diese neue Gebühren-Regelung 2015 mit hauchdünner Mehrheit angenommen wurde, hätten sich das Parlament und die Regierung fragen müssen, weshalb die Hälfte des Stimmvolks dagegen war. Diese Diskussion wurde bewusst verweigert. Und deshalb erhält die No-Billag-Initiative jetzt diesen Schub.
swissinfo.ch: Sie wollen den Service Public abschaffen, weil Regierung und Parlament nicht auf ihre Argumente eingetreten sind?
K.R.: Wenn diese Initiative angenommen wird, ist das ein radikaler Schnitt. Da wird kein Stein auf dem anderen bleiben.
Es ist klar, dass das Angst macht. Ich verstehe die Ungewissheit der SRG-Mitarbeiter, aber das haben einzig und allein die Politiker zu verantworten. Man müsste sie am Kragen packen und sie fragen, weshalb sie ihren Job nicht machen.
swissinfo.ch: Warum wählen Sie nicht diese Politiker ab?
K.R.: Ja, das könnte ich, aber nicht innerhalb von diesen zwei Jahren.
swissinfo.ch: Da ist es einfacher, die SRG abzuschaffen?
K.R.: Nein, sie wird nicht abgeschafft. Die Swisscom ist auch ein ehemaliger Staatsbetrieb und trotzdem immer noch die Nummer 1 in ihrer Branche. Wenn die SRG ihren Job gut macht, wird sie auch in fünf oder zehn Jahren die Nummer eins sein – aber ohne Zwangsgebühren.
swissinfo.ch: Zwangsgebühren müssten Sie, Herr Schär, als liberaler Geist, auch stören?
K.S.: Wenn man das Prinzip dieser Initiative konsequent umsetzen wollte, könnte man auch eine Initiative lancieren, wonach Erwachsene ohne Kinder keine Steuern für Schulen bezahlen müssten, usw.
Bei dieser Gebühr handelt es sich de facto um eine Steuer. Vielleicht wäre es einfacher, wenn sie auf jeder Steuerrechnung wäre.
swissinfo.ch: Sind Sie auch der Meinung, die Gebühren seien zu hoch?
K.S.: Die Schweiz hat im internationalen Vergleich tatsächlich hohe Radio- und Fernsehgebühren. Aber mein Einkommen und die Einkommen meiner Mitarbeitenden sind auch höher als in Portugal oder Norddeutschland.
Ein Medienunternehmen, das einen Leistungsauftrag erbringen muss, braucht eine gewisse Grundfinanzierung. Und wenn man diese auf die Haushalte verteilen muss, ist der Betrag in der Schweiz natürlich deutlich höher als in Deutschland, wo es zehn Mal mehr Haushalte gibt.
swissinfo.ch: Nach einem Ja zur No-Billag-Initiative kann jeder Schweizer Haushallt 365 Franken anstatt für die Gebühren für etwas anderes ausgeben, zum Beispiel für eine Reise oder für ein E-Bike. Davon dürften zumindest kurzfristig auch KMU profitieren, oder nicht?
K.S.: Aber Fernsehen will man ja dann trotzdem weiterhin. Und für bestimmte Angebote müsste man bezahlen – Stichwort Pay-TV. Professionelle Nachrichten-Sendungen würden dann nach den Vorstellungen der Initianten im Abonnement angeboten. Das heisst, ein Teil dieses Frankens würde weiterhin für Radio und Fernsehen eingesetzt werden.
swissinfo.ch: Möchten Sie lieber Pay-TV haben, Herr Rüegg?
K.R.: Das ist eine der Finanzierungsformen, welche die SRG übernehmen müsste. Sponsoring ist eine weitere Form. Hier hat die SRG noch Potential.
Und wenn sie sich wie private Unternehmen dem Wettbewerb auf dem freien Markt aussetzen muss, wird sie gezwungen sein, agiler und effizienter zu sein. Ich bin als freiheitlicher Bürger generell gegen Subventionen, weil diese zu Trägheit führen.
K.S.: Als Unternehmer habe ich auch eine liberale Haltung und lasse mir nicht gerne dreinreden. Aber ich muss Herrn Rüeggs Behauptungen widersprechen:
Erstens stimmt es nicht, dass die Wirtschaft und das Gewerbe immer und überall dem freien Markt ausgesetzt sind. Es gibt zum Beispiel Unternehmen, die Lebensmittel produzieren oder Öl importieren und vom Bund einen Grundversorgungs-Auftrag haben. Dafür werden sie entschädigt.
Im Informationsbereich gibt es einen hohen Grundversorgungsbedarf.
Würde die Initiative angenommen, wäre eine öffentlich-rechtliche Produktion von Informationen nicht mehr möglich – ausser in Kriegszeiten. Dann müsste sie aus dem Nichts auf die Beine gestellt werden.
Und zweitens trifft es nicht zu, dass der freie Markt im Medienbereich alles zum Besten regeln würde. Stattdessen würden ausländische Privatsender vermehrt auf den Schweizer Medienmarkt vorstossen mit Inhalten ohne Schweizer Bezug oder höchstens einem kleinen Schweizer Fenster im Angebot und unzähligen Werbeblöcken. Viele Arbeitsplätze würden ins Ausland verlagert. Das wäre die Konsequenz davon.
Und noch etwas: Als Berner habe ich es gerne bequem. Und es wäre mir zu mühsam, für jede Sport- oder Kultursendung ein Bezahlabonnement lösen zu müssen.
swissinfo.ch: Ein zentrales Argument der Gegner der Initiative ist, dass die SRG interessenunabhängige und verlässliche Informationen gewährleiste. Das sei essentiell für eine direkte Demokratie wie die Schweiz. Sehen Sie das anders?
K.R.: Die unabhängige Berichterstattung wird weiterhin gewährleistet sein. Es gibt im Journalismus keine Qualitätsnormen…
swissinfo.ch: …die Medien der SRG müssen sich an strenge journalistische Grundsätze halten…
K.R.: …das gilt auch für private Medien. Entscheidend sind die Inhalte. Wenn diese ausgewogen und für eine Mehrheit des Publikums interessant sind, dann werden sie weiterhin konsumiert und die SRG kann damit auch Werbeeinnahmen generieren. Die Gegner der Initiative prophezeien, dass es nachher nur noch ein populistisches Radio- und Fernsehen gebe. Das ist Unsinn.
K.S.: Die kleinen privaten Medienhäuser, die Herr Rüegg erwähnt, haben heute schon die Möglichkeit, Werbeeinnahmen zu generieren. Ich habe selber schon solche platziert oder Sendungen gesponsert. Für gewisse Produkte oder Dienstleistungen ist das Regionalfernsehen- oder Radio die bessere Werbe-Plattform als die SRG. Dieser Markt ist bereits weitgehend offen. Ich bezweifle sehr, ob diese Initiative den Kleinen die grosse Freiheit bringen wird.
Dann stellt sich die Frage, wer die Konzessionen übernehmen wird, die versteigert werden sollen? Gibt es eine "Berlusconisierung" des Fernsehangebots, kauft sich irgendein Milliardär diese Rechte und die Möglichkeit, damit politischen Einfluss zu nehmen?
Früher oder später wird man es dann bereuen, diese Büchse der Pandora geöffnet zu haben.
swissinfo.ch: Die SRG versorgt heute im Auftrag des Bundes alle vier Sprachregionen mit einem gleichwertigen Informationsangebot. Sind Ihnen die Sprachminderheiten nicht wichtig?
K.R.: Das ist mir sehr wohl etwas wert. Aber es ist eine Frage der Dimension. In der Südschweiz hat die SRG 1100 Vollzeitstellen allein für das italienischsprachige Publikum im Tessin und einigen Südtälern des Kantons Graubünden. Diese Grösse erschlägt jede private Konkurrenz.
K.S.: Es ist eine Arroganz sondergleichen, wenn die Sprachmehrheit der Deutschschweizer beschliesst, dass den Sprachminderheiten die Unterstützung entzogen werden soll. Aber Ferien im schönen Bündnerland macht man dann trotzdem gerne und erfreut sich dort an der rätoromanischen Sprache.
Ich bin vorbehaltlos bereit, die relativ hohen Kosten für ein gleichwertiges Informationsangebot für die Sprachminderheiten mitzutragen. Ein Land, zu dem Rätoromanen, Tessiner, Romands und Deutschschweizer gehören – ich hoffe, es bleibt so bis in alle Ewigkeit – ist auf Solidarität angewiesen. © swissinfo.ch
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.