Norbert Röttgen hatte alles, was ein Kanzler braucht: Charisma, ein Ministeramt, Kompetenz. Doch auf einen schwerwiegenden politischen Fehler folgte sein Absturz. Diesmal will Röttgen es besser machen – und stürzt seine CDU in eine ungewisse Zukunft.

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Normalerweise hat es Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, mit den Krisenherden dieser Welt zu tun: Ukraine, Syrien, Afghanistan. Demnächst muss er vielleicht auch innenpolitische Krisen lösen. Denn Norbert Röttgen, einst gefeiertes, später gefeuertes Politiktalent aus dem Rheinland, will CDU-Chef werden. Und Bundeskanzler.

Am Montagmorgen hatte Röttgen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer schriftlich über sein Vorhaben informiert. Als "der Erste und Einzige, der seine Kandidatur erklärt hat", wie Röttgen feststellte. Das war freilich als Seitenhieb auf die Merzes, Spahns und Laschets der CDU gemünzt, von denen bisher keiner offen seine Kandidatur erklärt hat.

Röttgens Vorstoss könnte das ändern. Fest steht schon jetzt: Alle Bemühungen, dass Friedrich Merz, Armin Laschet und Jens Spahn die Führung der CDU unter sich ausmachen, sind damit Makulatur. Das Verfahren der Kandidatenfindung habe ihn nicht überzeugt, so Röttgen auf einer anschliessenden Pressekonferenz. Das sei wie eine Jacke, die man schon am ersten Knopf falsch knöpfe, das werde dann nichts mehr. Seine Wangen glänzten rot, als er die Sätze sprach, mehrmals verhaspelte er sich. Der begabte Redner, dessen Sätze normalerweise geschliffen und bedächtig klingen, wirkte aufgeregt.

Schon einmal trat Röttgen gegen Laschet an

Das letzte Mal, dass sich Norbert Röttgen einer ähnlichen Reichweite erfreuen durfte, ist ja auch schon etwas her. Röttgen - katholisch, verheiratet, drei Kinder, Jurist - war mal eine grosse Nummer in der CDU. Rechtspolitischer Sprecher, Parlamentarischer Geschäftsführer, mit 44 Jahren Umweltminister – es war eine Karriere, aus der sonst Kanzler gemacht werden.

2010 kandidiert Röttgen als Vorsitzender der nordrhein-westfälischen CDU, dem grössten und wichtigsten Landesverband der Partei. Die Presse feiert ihn als"George Clooney aus Meckenheim" und" Muttis Klügsten". Sein Gegner, der heutige Ministerpräsident Armin Laschet, wirkt hingegen steif, weniger staatsmännisch und nicht annähernd so mitreissend. Röttgen gewinnt deutlich und fügt Laschet eine empfindliche Niederlage zu.

Röttgen macht politische Fehler

Fortan gilt der Chef des grössten CDU-Landesverbands als natürlicher Thronfolger der Kanzlerin, auf Augenhöhe mit Ursula von der Leyen und Thomas de Maizière. Doch er macht politische Fehler und sein Höhenflug endet früher als alle anderen.

Zur Landtagswahl 2012 tritt Röttgen als Spitzenkandidat an. Festlegen, ob er bei einer Wahlniederlage in Düsseldorf bleibt, will er sich trotz Warnungen aus seiner Partei nicht. Die Wähler empfinden das Verhalten als arrogant und Röttgen als einen, der das Ministerpräsidentenamt als Karrieresprungbrett nutzen will. Es folgt eine bittere Wahlklatsche für die CDU. Röttgen will daraufhin Umweltminister bleiben – doch Angela Merkel jagt ihn vom Hof. Wäre Röttgen General, würde man von einer unehrenhaften Entlassung sprechen. Es ist ein würdeloser Abgang. Und in der Geschichte der Bundesrepublik erst der zweite offene Rauswurf eines Ministers.

Röttgen will aus Fehlern gelernt haben

"Ich habe gelernt, dass man in wichtigen Fragen klar und eindeutig sein muss", erzählt Röttgen über diese Erfahrung in einem "Zeit"-Interview. "Ich habe immer geglaubt und gehofft, dass mich so etwas nicht aus der Bahn werfen wird."

Die Hoffnung scheint sich zu erfüllen. Röttgen macht weiter als normaler Abgeordneter, hegt keine offenen Ambitionen auf ein hohes politisches Amt. Und er agiert anders als Friedrich Merz nach seinem Rauswurf als Fraktionschef: Röttgen fügt sich den Spielregeln der parlamentarischen Arbeit, bleibt den Institutionen treu und behält Kritik an der Bundesregierung für sich. Niemals würde er die Arbeit der Regierung, so wie Merz, als "grottenschlecht" bezeichnen.

2014 wird Röttgen Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, er kann sich international austoben, seine Spielfelder sind die von Russland annektierte Krim und die Brexit-Verhandlungen. Sein Posten ist durchaus glamourös, angesichts der zahlreichen Krisenherde dieser Welt wird er zum gefragten Gesprächspartner in politischen Talkshows und Interviews. Und in der Aussenpolitik gelingt es ihm, sein ramponiertes Image aufzupolieren. Womöglich schraubt Röttgen in dieser Zeit schon an einem grösseren Werk.

Unter Angela Merkel, so viel steht fest, hat Röttgen mit dem Ausschuss-Vorsitz aber sein karrieretechnisches Maximum ausgereizt. Ein Kabinettsposten ist unter dieser Regierungschefin nicht mehr drin. Je näher das Ende von Angela Merkel im Kanzleramt rückt, desto öfter wird ihm nachgesagt, er schiele nach einem Wechsel an der Regierungsspitze auf das Aussenministerium. Offen würde er das natürlich nicht sagen. Dass er es in Wahrheit auf das Bundeskanzleramt abgesehen hat, glaubt niemand.

Eine Teamlösung ist endgültig vom Tisch

Die Überraschung, dass es Röttgen machen will, schlägt deshalb in der CDU auch ein wie eine Bombe, die Verunsicherung bei den anderen potentiellen Kandidaten ist gross. Alle Planspiele für einen harmonischen Wechsel an der Spitze sind ohnehin durchkreuzt, eine Teamlösung ist seit Montag in den Bereich des Unmöglichen gerückt und noch dazu steht ein Kandidat auf dem Parkett, der in der Bevölkerung als einer wahrgenommen wird, der weiss, wovon er spricht.

Röttgen selbst sagt, er habe den Verdacht, dass im Falle einer Teamlösung das Team nur dazu dienen solle, die Interessen einzelner unter einen Hut bringen zu können, ohne sich den drängenden Themen stellen zu müssen – und benennt sie zugleich: Die CDU müsse gegen das Auseinanderdriften Ost- und Westdeutschlands vorgehen, mehr Verantwortung in Europa übernehmen, überzeugter für den Klimaschutz eintreten. "Die CDU muss die Fenster öffnen, damit Politik wieder einziehen kann", so Röttgen. Fast schon empört wirkt seine Antwort auf die Frage, ob es sich bei der Kandidatur um eine "Philippika" gegen Angela Merkel handele. Das sei mitnichten der Fall. Man habe schliesslich "eine gemeinsame Definition von Pflicht".

Und die besteht für Röttgen auch darin, die Debatte innerhalb der CDU zu beleben. Kein Hinterzimmerdeal, sondern ein Sonderparteitag müsse bis zum Sommer über den Vorsitz entscheiden. Kommt es so, dürfte es auf Kampfkandidaturen hinauslaufen.

Röttgen ist der Stachel im Fleisch der CDU

In der CDU gibt es wenige, die Röttgen realistische Chancen auf den Vorsitz einräumen. Dafür ist der Jurist zu wenig mit dem sonst für Rheinländer typischen Schunkel-Gen ausgestattet. "Drink mer eene mit" ist ein Satz, der Röttgen höchstens im Karneval über die Lippen gehen würde, aber auch das ist nicht sicher. Er gilt als steif, niemand, der länger als nötig an der Bar verweilt. Bis heute hat Röttgen – anders als Friedrich Merz – keine Fanbasis in der Partei. Und einen Generationenwechsel, wie Jens Spahn, könnte er ohnehin nicht vollziehen.

Doch Röttgens Auftritt kommt einem Frontalangriff auf Armin Laschet, dem ewigen Kontrahenten, gleich. Ihm werden bei einer Teamlösung die grössten Erfolgschancen eingeräumt.

Laschet feierte am Tag von Röttgens Bundespressekonferenz übrigens seinen 59. Geburtstag. Ob er sich über den Tag richtig freuen konnte, ist nicht bekannt.

Quellen:

  • "Die Zeit": "Wir haben derzeit die Mehrheit bei den über Sechzigjährigen. Sonst nirgendwo"
  • "Der Spiegel": Protokoll einer Demütigung
  • Phoenix/YouTube – Norbert Röttgen zu seiner Kandidatur vor der Bundespressekonferenz
  • Tagesthemen: Wie gut ist das Verhältnis zur Kanzlerin? Interview mit Norbert Röttgen
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