Wenn Nordkorea wählt, ist das eine grosse Show – doch bestimmen können die Bürger dabei nichts: Entschieden wird nicht an der Urne, Politik machen die Partei und das Militär nach den eigenen Wünschen. Aber wer genau trifft in dem abgeschotteten Land die Entscheidungen?

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Wahlen in einer Demokratie, das heisst: Dutzende Kandidaten, verschiedenen Meinungen, eine offene Abstimmung. Und am Ende gewinnt der mit den meisten Stimmen. Wahlen in Nordkorea, das heisst – nichts von alldem: Wenn das nordkoreanische Volk am 19. Juli bei den Kommunalwahlen ein Kreuz macht, werden die Bürger auf beinahe leere Zettel blicken. Denn für jeden Wahlkreis ist nur ein Kandidat gelistet. So war es schon immer bei den Kommunalwahlen in Nordkorea, die seit 1999 alle vier Jahre stattfinden – und dieses Jahr zum ersten Mal unter dem jungen Alleinherrscher Kim Jong Un.

Eric Ballbach nannte die Wahlen im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur denn auch eine "Scheinlegitimation". Ballbach ist Nordkorea-Experte der Freien Universität Berlin und überzeugt: "Wahlen sind Teil der theatralischen, rituellen und symbolischen Inszenierung von Politik." Ausserdem sei es auf diese Weise möglich, die Bevölkerung zu überwachen und mögliche Flüchtlinge aufzuspüren. Dass die Wahl lediglich eine Fassade für eine Diktatur und keine echte Entscheidung sind, zeigt schon allein die offizielle Beteiligung: 2011 sollen angeblich 99,82 Prozent aller Bürger gewählt haben, wie Staatsmedien meldeten.

Doch wenn all das nur Show ist, wer zieht dann die Strippen? Wie ist die Macht in Nordkorea verteilt und wer trifft tatsächlich die Entscheidungen?

Drei Säulen der Macht: Partei, Staat, und Militär

Zwar hat sich Nordkorea in den vergangenen Jahren geöffnet, doch noch immer dringt wenig die über politischen Strukturen nach aussen. Jede Analyse stützt sich deshalb auch immer auf Vermutungen oder Berichte von Überläufern. Laut dem renommierten Nordkorea-Experten Rüdiger Frank von der Universität Wien wird das politische System von drei Säulen getragen: Partei, Staat, und Militär. Alle Elemente sind eng miteinander verflochten – und über allen steht der Führer Kim Jong Un.

Bei ihm laufen die Fäden zusammen, er trifft die obersten Entscheidungen. Immer wieder ranken sich Gerüchte darum, wie mächtig Kim Jong Un tatsächlich ist – doch bisher mangelt es an Beweisen für die vielfältigen Theorien. Stattdessen ist seine Macht seit dem April 2012 formal zementiert. Binnen weniger Tage wurde Kim zum Ersten Sekretär der Partei der Arbeit Koreas (PdAK) und zum Ersten Vorsitzenden der Nationalen Verteidigungskommission (NVK) gewählt. Beide Institutionen gehören zu den Eckpfeilern des nordkoreanischen Staatsapparats.

Die Partei durchzieht alle Institutionen

Wie in den meisten sozialistischen Ländern geht auch in Nordkorea alle Macht von der Partei aus. Rüdiger Frank schreibt in seinem Buch "Nordkorea: Innenansichten eines totalen Staates" dazu: "Die Partei ist das bedeutendste Machtorgan in Nordkorea. Sie durchdringt und kontrolliert alle anderen Organisationen einschliesslich des Militärs." In Artikel 11 der Verfassung ist festgehalten: "Die Demokratische Volksrepublik Korea entfaltet ihre gesamte Tätigkeit unter Führung der Partei der Arbeit Koreas." Es ist somit nur logisch, dass Kim Jong Un als Erster Sekretär an ihrer Spitze steht.

Eine der wichtigsten Aufgaben der Partei ist es, die "Juche"-Ideologie (auch: "Chuche") zu erhalten und zu verbreiten. Die Ideologie geht auf Staatsgründer Kim Il Sung zurück und propagiert Selbstständigkeit in Politik, Wirtschaft und Militär – und erklärt damit auch, warum sich Nordkorea derart abschottet. Doch die PdKA ist für mehr zuständig: Auf ihren Parteitagen und Delegiertenkonferenzen gibt sie die politische Richtung vor und bestimmt, wer welche Posten bekommt. Zwischen den Sitzungen, die oft Jahre und manchmal Jahrzehnte auseinander liegen, übernehmen diese Aufgabe das Zentralkomitee, das Politbüro und dessen Präsidium (unter der Führung Kims).

Kim Jong Un regiert mit der Nationalen Verteidigungskommission

Während die Partei alles durchzieht, bildet ein kleiner Kreis die Spitze der Exekutive: die Nationale Verteidigungskommission (NVK). Sie ist die zweite Säule und repräsentiert den Staat. "Die NVK ist das höchste Regierungsorgan in der Staatshierarchie und das Zentrum der Macht", analysiert der amerikanische Nordkorea-Wissenschaftler Terence Roehrig. Denn der NVK unterstehen nicht nur die Streitkräfte, sie hat noch weit mehr Macht.

Von dieser starken Position zeugt schon die Verfassung. Zwar heisst es in Artikel 110 nur vage: "Das Verteidigungskomitee fasst Beschlüsse und erlässt Befehle." Doch wie das aussehen kann, beschreibt Artikel 109: Dieser erlaubt der NVK, alle Beschlüsse anderer Staatsorgane aufzuheben, falls der Erste Vorsitzende damit nicht einverstanden ist. Rüdiger Frank fasst es so zusammen: "Man geht allgemein davon aus, dass die NVK derzeit die oberste Führungselite des Landes repräsentiert." Ein kleiner Zirkel der Macht, besetzt mit den wichtigsten Personen aus Partei und Militär.

Die Oberste Volksversammlung - ein zahnloses Organ

Dabei ist insbesondere die Rolle des Militärs – also die der dritten Säule – unter Beobachtern umstritten. Nicht jeder teilt Franks Ansicht, Nordkorea werde "mit dem Militär regiert, nicht vom Militär." Andere kommen zu dem Schluss, das Militär habe längst alle entscheidenden Positionen besetzt und lenke alleine die Geschicke des Staates.

Wie schwierig die engen Verflechtungen von Ämtern, Militär und Partei zu durchschauen sind, offenbart die Oberste Volksversammlung. Auf dem Papier ist sie "das höchste Machtorgan" (Artikel 87) – tatsächlich aber ist sie zahnlos. Zur ihren Aufgaben zählen eigentlich Verfassungsänderungen, die Grundzüge der Aussen- und Innenpolitik und sogar personelle Aufgaben wie die Wahl des Ersten Vorsitzenden der NVK. Doch faktisch stösst die Macht laut Experten dort an ihre Grenzen, wo sie dem Willen von Führer und Verteidigungskommission kollidiert.

Sein und Schein liegen oftmals nah beieinander in Nordkorea. Über einen Punkt sind sich jedoch alle Wissenschaftler einig: So etwas wie freie Wahlen gibt es nicht.

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