Mit immer neuen Tests und martialischen Ankündigungen gelingt es dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un immer wieder, die Welt in Aufregung zu versetzen. Trotzdem rechnen Experten nicht damit, dass er seine Waffen jemals einsetzen wird. Denn Kims Verhalten folgt einer Dramaturgie, die vielen Deutschen bereits bekannt ist.
Am Ende ist Nordkoreas Staats- und Parteichef
Auch wenn er erst 33 Jahre alt ist, einen Teil seines Lebens im Westen verbracht hat, ein Elite-Internat in der Schweiz besuchte - und eigentlich ganz andere Träume hat, als den grossen Diktator zu spielen.
Die Szene mit einem emotional instabilen Kim, der aus Zorn über sein eigenes Leben die Welt in einen Atomkrieg stürzen will, ist Teil der Hollywood-Filmkomödie "The Interview".
Zum Glück spricht vieles dafür, dass diese Fiktion auch in Zukunft reine Fiktion bleiben wird, denn Experten rechnen nicht damit, dass Kim sein Waffenarsenal jemals zum Einsatz bringen wird.
"Kim ist ja nicht selbstmordgefährdet"
"Kim ist ja nicht selbstmordgefährdet", sagte der Verteidigungsexperte Michael Raska von der S. Rajaratnam School of International Studies in Singapur nach einem Bericht in der "Welt". "Jede Form der Attacke würde sofort einen Gegenschlag auslösen, und das wäre das Ende von Nordkorea".
Doch auch wenn Kim wahrscheinlich sehr wohl bewusst ist, dass jeder echte Angriff einem Selbstmord gleich käme, kann er nach Ansicht des Experten inzwischen überhaupt nicht mehr darauf verzichten, in regelmässigen Abständen die Drohkulisse zu verschärfen.
"Er braucht einen Feind. Er muss die externe Gefahr für seine Heimat heraufbeschwören. Das ist die Essenz", sagte Raska. "Sie stecken dort in Pjöngjang in einem ständigen Zustand der Krise".
Eine ständige Krise, die nicht nur die enormen Ausgaben der kommunistischen Diktatur für das Militär rechtfertigen soll, sondern vor allem als Begründung dafür dient, dass das Volk seit Jahrzehnten in einem Zustand der fortgesetzten Massenarmut lebt.
Einer Armut, der vergleichsweise gigantische Ausgaben für das Militär gegenüberstehen. Alleine die bisherigen Raketen- und Atomtests haben nach Expertenschätzungen circa vier Milliarden Dollar gekostet. Viel Geld ist das, das überall anders im Land der hungernden Bevölkerung fehlt.
Eine der letzte kommunistischen Diktaturen auf diesem Planeten
Damit sich die nicht irgendwann erhebt und eine der letzten kommunistischen Diktaturen auf diesem Planeten zu Fall bringt, tut das Regime alles, seinem Volk ein konkretes Feindbild zu liefern.
Der Westen, allen voran die USA, sind an allem Schuld, an den fehlenden Nahrungsmitteln, der schlechten medizinischen Versorgung, den Energieproblemen und dem allgemeinen Verfall.
Nur mit einem ständigen Kriegszustand kann die Regierung die für jedermann offensichtlichen Mängel rechtfertigen. Sobald das isolierte Land in einen Zustand der aussenpolitischen Entspannung geraten würde, fehlte genau diese Rechtfertigung und der Zorn der Bevölkerung könnte sich nach Innen richten.
Ein Mechanismus ist das, der übrigens nicht exklusiv für die Diktatur in Nordkorea gilt, sondern vielen Deutschen auch noch aus der untergegangen DDR, dem einstigen sozialistischen "Bruderstaat" Nordkoreas, in Erinnerung sein dürfte.
Auch für Ost-Berlin war das Gerede von einer imperialistischen Bedrohung, der unmittelbaren Kriegsgefahr und einer angeblichen Angriffsstrategie der NATO, lange Teil der ideologischen DNA, mit der sich unter anderem die Mauer, der Schiessbefehl, aber auch Versorgungslücken und ebenfalls gigantische Militärausgaben rechtfertigen liessen. Auch martialische Militärparaden gehörten einst in Ost-Berlin zum Alltag.
Zu dieser bekannten Dramaturgie passt, dass auch Kim seine Tests mit Parolen garniert, die in allererster Linie nach Innen gerichtet sein dürften.
Kim unterstellt den USA eine "Enthauptungsoperation" gegen sein Land zu planen - und glaubt wahrscheinlich selber nicht an diesen, in Kenntnis der bisherigen Aussenpolitik der Obama-Regierung, reichlich absurden Vorwurf.
Macht aber nichts, denn die Anschuldigung ist vor allem Theater für das Volk, dem Kim in einem weiteren aus Nordkorea überlieferten Zitat gleich die Stossrichtung für die kommenden Monate mit verkündet.
Kim will atomares Arsenal ausbauen
"Der einzige Weg zur Verteidigung der Souveränität unseres Volkes und dessen Existenzrecht in der derzeit extremen Situation ist, die atomare Streitmacht in Qualität und Quantität auszubauen", sagte Kim nach einem Bericht der dpa.
Wenn es also auch künftig an Nahrung, Versorgung und Medikamenten mangelt, braucht in Nordkorea niemand gross zu fragen, es ist klar, wohin das Geld in unruhigen Zeiten fliessen muss.
Aber auch wenn Kim schon aus eigenem Überlebenswillen niemals einen echten Angriff auf eines seiner Nachbarländer starten wird, ist die Situation nach Ansicht des Nordkorea-Experten Raska dennoch nicht ungefährlich, weil das Regime irgendwie auf die neuen Sanktionen reagieren muss, schon um eine weitere allgemeine Verschlechterung der Lebensqualität im Land zu rechtfertigen.
Die dürfte nämlich diesmal auch die mächtigen Parteikader treffen, weil auch beliebte Luxusgüter wie teure Uhren nach den jüngsten Sanktionen nicht mehr in das Land importiert werden dürfen. Das führt zu Unruhe ausgerechnet unter Denjenigen, die dem jungen Kim gefährlich werden könnten.
Nordkorea werde bald einen fünften Atombombentest zünden oder "einen anderen Paukenschlag" aus seiner Waffenschmiede, betont Raska in der "Welt".
Dann ist es wieder Aufgabe des Westens, eine angemessene Antwort auf die fortdauernden Provokationen zu finden - eine, die dem Regime eine Grenze setzt - und gleichzeitig eine weitere Eskalation verhindert.
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