Das Schweizer Militär-Detachement an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea ist sich bewusst, dass der kleinste Fehler für die Menschheit katastrophal sein kann. Aber die Berufssoldaten bewahren Ruhe – eine neutrale Kraft in einem Konflikt, der noch lange nicht zu Ende ist.
Seit mehr als sechs Jahrzehnten sind Schweizer Soldaten an der Grenze zwischen Nordkorea und Südkorea, der so genannten demilitarisierten Zone (DMZ), stationiert.
Trotz ihres Namens ist sie die am stärksten militarisierte Zone der Welt. Auf der einen Seite stehen zwei Millionen nordkoreanische Soldaten und 14'000 Artilleriegeschütze, die auf die südkoreanische Hauptstadt Seoul gerichtet sind. Die andere Seite wird von 600'000 südkoreanischen Soldaten bewacht.
Der Funke, der das Potenzial hätte, einen Dritten Weltkrieg auszulösen, könnte hier jederzeit durch einen Fehler oder ein Missverständnis entstehen. Die jüngste nordkoreanische Nuklearkrise hat die Spannungen verschärft, insbesondere im Wissen, dass eine Rakete Seoul in 92 Sekunden erreichen würde.
Aber das ruhige Auftreten der Berufstruppen widerlegt die unausgesprochene Angst, die sich entlang der 270 Kilometer langen Demarkationslinie zwischen Nord und Süd ausbreitet.
"Business as usual"
Einige der Schweizer Soldaten sind seit Jahren im Rahmen einer einzigartigen Militärmission hier. Seit 1953 überwacht ein Schweizer und ein schwedisches Detachement das Waffenstillstands-Abkommen, das den Krieg zwischen Nordkorea und Südkorea beendete.
Da es keinen Friedensvertrag gibt, befinden sich die beiden Länder technisch gesehen immer noch im Krieg.
"Trotz der erhöhten Spannung sind wir hier nicht beunruhigt", sagt der 48-jährige Oberst Beat Klingelfuss aus Zürich. "Wenn meine Mutter, mein Bruder und andere Leute anrufen, fragen sie, wie ich hier mitten im Krieg bleiben könne. Aber so schlimm ist es nicht. Für uns ist das 'Business as usual'."
Klingelfuss ist seit zwei Jahren hier. Zuvor hatte er in Kashmir, Afghanistan, Südlibanon und Bosnien schwierige Aufgaben zu bewältigen. Aber in der DMZ zu dienen, ist etwas ganz anderes.
"Die Gefahr spielt sich nicht vor unseren Augen ab. Wir sind ein sehr kleines Teilchen in einem grossen Puzzle. Gleichzeitig sind wir die einzige unabhängige und unparteiische Instanz auf der koreanischen Halbinsel."
Die Runde machen
Die fünf Schweizer Soldaten und ihre fünf schwedischen Kollegen folgen einer bestimmten Prozedur. Jeden Tag führen sie Inspektionen auf der südkoreanischen Seite durch und überwachen, ob es keine militärische Eskalation gibt.
Sie kontrollieren zum Beispiel, ob keine schweren Waffen in die entmilitarisierte Zone gebracht werden und ob militärische Übungen nur einen defensiven Zweck haben. Manchmal sind sie an der Übergabe der Leichen verstorbener nordkoreanischer Soldaten beteiligt oder nehmen an Befragungen nordkoreanischer Überläufer teil.
"Wir sind die Augen und Ohren der internationalen Gemeinschaft", sagt Klingelfuss. Alles, was sein Team beobachte, werde an die internationale Kommission neutraler Staaten zur Waffenstillstands-Kontrolle in Korea (UNCMAC) gemeldet.
"In den meisten Fällen werden alle Regeln befolgt [von beiden Seiten, N.d.R.]", sagt Klingelfuss.
Das tägliche Leben
Oberflächlich betrachtet ist die erhöhte militärische Spannung in der DMZ kaum spürbar. Idyllische Baumhaine und Vogelgesang umgeben das schweizerische und das schwedische Basislager auf einem kleinen Hügel, auf dem auch zahlreiche Eichhörnchen und Kaninchen leben.
Jedes Detachement verfügt über ein eigenes Haus mit Privatzimmern und ein geräumiges Wohnzimmer mit Klavier.
Die beiden Detachemente essen zusammen in einer gemeinsamen Kantine, wo sich schweizerische und schwedische Gerichte wöchentlich abwechseln: Lachs- oder Erbsensuppe, Raclette oder Trockenfleisch.
Ausserdem verfügt die Basis über eine renovierte Turnhalle und einen Bunker, "den wir zum Glück nie benutzen mussten", sagt Klingelfuss.
"Wir sind wie eine grosse Familie mit den Schweden. Wir haben viele Gemeinsamkeiten und feiern sogar gemeinsam Weihnachten", sagt er.
Der Oberst vergleicht seine Umgebung mit einem Naturschutzgebiet, "ruhig und voller Schönheit".
Es stehe in krassem Gegensatz zum metropolitanen Seoul und dessen amerikanischen Militärstützpunkt, wo die Schweizer Soldaten vier Nächte in der Woche und die meisten Wochenenden mit ihren Familien verbringen – die einzige Schweizer Armeemission, bei der die Soldaten ihre Familien mitbringen können. Dies trage dazu bei, dass sie sich "wie zu Hause fühlen", sagt Klingelfuss.
Lärmkrieg
Aber still ist es nicht in der DMZ. Gigantische Lautsprecher auf der nordkoreanischen Seite strahlen jede Nacht militärische Musik und Propaganda über den "Grossen Führer" Kim Il Sung aus.
Südkorea antwortet, indem es Non-Stop-Popmusik über seine eigenen leistungsstarken Lautsprecher schmettern lässt. Der Kultur- und Ideologie-Kampf mit Dezibel ist Teil der psychologischen Kriegsführung: ein Lärmkampf.
Es sei sehr merkwürdig, wie man sich an den Sound gewöhnen könne, sagt ein anderer Schweizer Soldat, Oberstleutnant Yiannis Locher. "Am Anfang war es stressig, aber nach einer Weile gewöhnt man sich daran."
Der Tisch und die Tür
Es ist Zeit für einen Spaziergang zur legendären Conference Row – dem Ort, wo drei blaue Baracken Nordkorea und Südkorea verbinden und wo 1953 das Waffenstillstands-Abkommen unterzeichnet wurde.
Die Strasse führt über eine hellblaue Brücke, die Felder überquert. Die Schweizer und die schwedischen Soldaten passieren sie täglich für ihre Inspektionen.
In der Conference Row schiebt ein nordkoreanischer Soldat in dunkelgrüner Uniform Wache. Menschen, die sich ihm nähern, beobachtet er mit Argwohn. Eine Zementschwelle in der Mitte zeigt die faktische Grenze zwischen den beiden Ländern.
Ein glänzender Mahagoni-Tisch steht in der Mitte des Raumes in der Kaserne. An diesem Tisch treffen sich seit dem Waffenstillstand jeden Dienstag Schweizer und schwedische Soldaten. Seit 1953 fanden bisher 3586 Sitzungen statt, von denen jede unter der gleichen Tagesordnung durchgeführt wurde.
Meistens sind die Treffen von kurzer Dauer, "weil es nicht viel zu besprechen gibt", sagt Klingelfuss.
Hoffnungsvoll
"Wir hoffen, dass Nordkorea eines Tages an unseren Treffen teilnimmt", sagt Klingelfuss.
"Wir versuchen, durch unsere Anwesenheit den Dialog zu fördern, der eines Tages zu einem Friedensabkommen führen könnte. Das Waffenstillstands-Abkommen hätte 1953 nur wenige Monate dauern sollen, aber nun stehen wir – fast 65 Jahre später – vor der gleichen Situation. Es ist unglaublich."
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