17 Monate war er in Nordkorea in Haft, 15 Monate lag er im Koma. Jetzt ist Otto Warmbier tot. Die genauen Umstände sind noch ungeklärt. Bekannt ist aber: Das Lagersystem der Diktatur gilt als Horror mit System. Warmbier hat seine Haft wohl mit dem Leben bezahlt.
Folter, Vergewaltigungen, schwere Arbeit, Essensentzug – all das ist Alltag für die Gefangenen in den Straflagern Nordkoreas.
Die Zustände sind grausam, die Vereinten Nationen sprechen in einem Bericht von "krassen" Verstössen gegen die Menschenrechte.
Warmbier überlebte den Albtraum nicht
In dieses System hineinzugeraten, muss ein Albtraum sein. Genau den erlebte der 21-Jährige US-Student Otto Frederick Warmbier
Warmbier soll eine Fahne aus seinem Hotel geklaut haben, ein Gericht verurteilte ihn wegen eines schweren Vergehens gegen den Staat zu 15 Jahren Arbeitslager.
17 Monate blieb er dort in Haft, ehe er in der vergangenen Woche nach intensiven diplomatischen Verhandlungen zurück in die USA geflogen worden war. Nur wenige Tage später war Warmbier tot.
Was nun genau mit dem jungen Mann in seiner Haftzeit passiert ist, ist schwer zu sagen. Das Regime hat das Land völlig abgeschottet, es gibt kaum gesicherte Informationen.
Auch der Nordkorea-Beauftragte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Arnold Fang, konnte über das Schicksal von Otto Warmbier nur spekulieren.
Im Gespräch mit unserem Portal erklärt Fang bereits im März den Prozess und das brutale Lagersystem.
Eine harte Strafe
Falscher Ort, falsche Zeit – das gilt offenbar für den Fall Otto Warmbier. Allem Anschein nach wollte er sich nur ein ausgefallenes Urlaubs-Souvenir mitnehmen.
In einem Land wie Nordkorea eine schlechte Idee, die politische Grosswetterlage erschwert die Situation.
"Man kann die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass dieser Prozess ein politischer war", sagte Arnold Fang von Amnesty International. "Vor allem nach den schweren Sanktionen gegen Nordkorea nach dem jüngsten Atomtest."
Ein Gefangener als Faustpfand also? Es wäre nicht das erste Mal. "Es gab viele Fälle, in denen Amerikaner oder Kanadier gegen Geldzahlungen freigekommen sind", erklärte Fang.
Im Jahr 2009 musste Ex-Präsident Bill Clinton eigens nach Nordkorea reisen und Kim Jong-Il seine Aufwartung machen, um die Freilassung von zwei US-Reporterinnen zu erreichen.
Eine unsichere Zukunft
Selbst ein Blick in den Text der Verurteilung gab Arnold Fang damals keinen definitiven Hinweis darauf, was mit Otto Warmbier geschehen würde. "Der Wortlaut würde bedeuten, dass er in einem normalen Gefangenenlager untergebracht wird."
Allerdings gab es dabei ein Problem: Offiziell gibt es keine anderen Lager. Aber bei internationalen Menschenrechtsorganisationen und den Vereinten Nationen gilt als gesichert, dass ein System von besonderen Lagern für politische Gefangene existiert, die sogenannten "Kwanliso".
Die UN schätzen, dass rund 100.000 Menschen in diesen Einrichtungen eingesperrt sind.
Auch wenn Arnold Fang nicht sicher sein konnte, für wahrscheinlich hielt er es nicht, dass der US-Student in so ein Lager eingeliefert worden war.
"Wenn Nordkorea sich entscheidet, ihn wieder freizulassen, wäre er ja ein Zeuge", meinte der Amnesty-Experte damals auf Rückfrage.
Dass Warmbier also seine Strafe wohl in einem "normalen" Gefangenenlager ableisten musste, konnte nicht beruhigen.
"In jeder dieser Einrichtungen kann man Folter ausgesetzt sein, Zwangsarbeit oder sogar willkürlichen Exekutionen. Das können wir für kein Gefängnis in Nordkorea ausschliessen", sagte Fang.
Die Lager, die es nicht gibt
Ganz besonders gilt das für die "Kwanliso", die Lager für die politischen Gefangenen, deren Existenz die Regierung leugnet. Sie dienen der Stabilisierung des diktatorischen Regimes von Kim Jong-Un, erklärte Arnold Fang.
"Dort werden die Leute weggesperrt, die als Staatsfeinde gelten. Dafür müssen sie nicht einmal ein Verbrechen begangen haben."
Noch immer kommt es dem UN-Bericht zufolge vor, dass dort Menschen in Sippenhaft genommen werden. Das kann sich über drei Generationen erstrecken, erklärte Fang.
Tatsächlich gibt es Berichte über Minderjährige, die in einem "Kwanliso" landen, weil ihr Grossvater zum Staatsfeind erklärt wurde.
Die Augenzeugenberichte, die im UN-Bericht über diese Lager gesammelt wurden, sind erschreckend.
Ein Befragter sagte aus, er habe in seinen zehn Monaten Haft so wenig zu essen bekommen, dass er nur noch 36 Kilogramm gewogen habe.
Um ein Geständnis von ihm zu erpressen, hingen ihn die Wächter kopfüber auf, tagelang.
Ein ehemaliger Lagerkommandant, mit dem Amnesty International sprechen konnte, berichtete, dass Sträflinge ihre eigenen Gräber ausheben mussten und mit Hammerschlägen in den Nacken hingerichtet wurden.
So schlecht die Bedingungen schon in den normalen Gefängnissen in Nordkorea sind, für politische Gefangene sind sie noch schlimmer.
"Wir haben noch keine Ergebnisse vorzuweisen"
Die schrecklichen Verhältnisse in den Lagern sind breit dokumentiert. Neben den Berichten von UN, Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen gibt es Zeichnungen und Bücher wie "Flucht aus Lager 14", in dem Shin Dong-hyuk seine Geschichte erzählt.
Er wurde in einem Lager geboren, musste dort mitansehen, wie seine Mutter und sein Bruder hingerichtet wurden. Er konnte schliesslich fliehen.
Doch trotz aller Berichte und aller Bemühungen: "Ergebnisse haben wir noch nicht vorzuweisen", sagte Arnold Fang.
Amnesty International berichtete jüngst, dass die Lager sogar noch ausgebaut werden. Verlassen muss sich die Menschenrechtsorganisation dabei auf Satellitenbilder.
Für Arnold Fang ist es deshalb wichtig, dass zuerst einmal mehr Informationen öffentlich werden. "Die Regierung muss es Organisationen wie den UN und Amnesty International erlauben, ins Land zu kommen."
Derzeit aber existiert nicht einmal für Nordkoreaner Informationsfreiheit. Handys und Videoaufnahmen müssen aufwendig ins Land und aus dem Land herausgeschmuggelt werden.
Besonders optimistisch ist Fang nicht: "Im Hintergrund gibt es Gespräche zwischen UN und Nordkorea. Aber die aktuelle Situation mit den Sanktionen und den Atomtests macht die Lage eher komplizierter."
Sollte es irgendwann doch einmal zu einer Verbesserung der Haftbedingungen in Nordkorea kommen, für Otto Warmbier kommen sie zu spät.
Der 22-Jährige hatte nach Darstellung von Ärzten schwere Hirnschäden erlitten und hatte sich auf seinem Rückflug in die USA bereits im Wachkoma befunden.
Mord oder Krankheit?
Die Führung in Pjöngjang hatte US-Diplomaten gegenüber angegeben, Warmbier sei in der Haft in Nordkorea an Botulismus erkrankt - einer schweren Nahrungsmittelvergiftung.
Er habe eine Schlaftablette eingenommen und sei nicht mehr aufgewacht.
In einer Erklärung des Weissen Hauses hiess es: "Die Vereinigten Staaten verurteilen aufs Neue die Brutalität des nordkoreanischen Regimes, während wir dessen jüngstes Opfer betrauern." Den Eltern sprach Donald Trump sein Mitgefühl aus.
Der konservative Senator John McCain fand hingegen drastischere Worte als der US-Präsident: "Sprechen wir die Tatsachen aus, wie sie sind: Otto Warmbier, ein amerikanischer Staatsbürger, wurde von Kim Jong-uns Regime ermordet."
So plausibel diese Anschuldigung angesichts der von Amnesty International dokumentierten Gräuel auch klingen mag, Beweise kann auch McCain nicht liefern.
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