Nach dem Mord am Bruder des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un in Malaysia herrscht grosse Anspannung zwischen den Staaten. Ob der Zwist zu einer schweren Krise führen könnte, ist unter Experten umstritten.
Der Halbbruder des nordkoreanischen Diktators
Auf dem Weg ins Krankenhaus verstarb Kim Jong Nam, der sich wiederholt kritisch gegenüber seinem Heimatland und der herrschenden Familiendynastie geäussert hatte. Malaysia macht Nordkorea für den Tod des 45-Jährigen verantwortlich, Pjöngjang dementiert.
Beide Regierungen verwiesen daraufhin die Botschafter der Gegenseite ihres Landes und verhängten eine vorübergehende Ausgangssperre für die Staatsangehörigen des Konfliktpartners. Die Massnahme betrifft laut "BBC" elf Malaysier und rund 1.000 Nordkoreaner, von denen viele in der Gastronomie beschäftigt sind. Malaysias Ministerpräsident Najib Razak erklärte gegenüber der Zeitung "The Star", sein Land sei friedliebend, aber der Schutz der Bürger sei die erste Pflicht.
"Wir werden nicht zögern, alle Massnahmen zu ergreifen, wenn sie bedroht werden." Alle Massnahmen – diese Ansage lässt Raum für Interpretationen. Wie ernst ist der Konflikt zwischen den ostasiatischen Mächten? Besteht gar das Potenzial für eine schwerwiegende Eskalation?
Verbündete, aber keine Freunde
Das Verhältnis zwischen den Ländern, die mehr als 4.500 Kilometer Luftlinie trennen, war bislang relativ eng. "Die Beziehungen haben nun einen massiven Rückschlag erlitten", sagt der Nordkorea-Experte Eric J. Ballbach von der Freien Universität Berlin im Gespräch mit unserer Redaktion. "Allerdings hatten sie sich nach den letzten Nukleartests schon etwas verschlechtert."
Seit den 1970er Jahren bestanden diplomatische Beziehungen, seit 2003 unterhielt Malaysia als einer von nur 30 Staaten eine Botschaft in Pjöngjang, seit 2011 gab es eine direkte Flugverbindung. Und selbst wechselseitige Besuche waren visafrei möglich. Nur ganz wenigen Ländern wurde das in der Vergangenheit durch das kommunistische Regime gestattet.
Jong Kun Choi, Politikwissenschaftler der Yonsei Universität in Seoul, erklärt das gute Verhältnis gegenüber "CNN" vor allem mit der offenen, inklusiven malaysischen Mentalität. Jong schränkte aber zugleich ein: "Man sollte es nicht Freundschaft nennen. Ist Nordkorea aus der südostasiatischen Perspektive wichtig? Nein, nicht wirklich."
Ein wichtiger Handelspartner
Wirtschaftliche Interessen Nordkoreas waren ein wichtiger Motor für die engen Beziehungen. Das Land importierte 2014 Waren für rund zwei Millionen US-Dollar (rund 1,9 Millionen Euro) aus Malaysia, hauptsächlich Palmöl, Kautschuk und Verpackungen, und fuhr Güter im Wert von 200.000 Dollar (rund 190.000 Euro) aus, vor allem Eisen und Stahl. Zum Vergleich: China lieferte Waren im Wert von rund 3,5 Milliarden Dollar nach Nordkorea.
Trotz des geringen Handelsvolumens zählt Malaysia zu den wichtigeren Partnern Pjöngjangs, während Kuala Lumpur auf der Gegenseite im Falle einer Verschärfung des Konflikts praktisch keine Auswirkungen auf seine Tourismusindustrie zu befürchten hat. Der malaysische Handels- und Industrieminister Ong Ka Chuan kündigte nach dem Tod Kims an, die Handelsbeziehungen in einer Kabinettssitzung neu zu bewerten.
Beziehungen "schwer beschädigt"
Es wäre nicht das erste Mal, dass Nordkorea im Ausland einen Mord in Auftrag gegeben hat – sofern sich der aktuelle Vorwurf als wahr erweisen sollte. 1983 versuchten Agenten in Myanmar, den südkoreanischen Präsidenten Chun Doo Hwan zu töten – erfolglos.
Myanmar brach die Beziehungen zu Pjöngjang daraufhin für mehr als zehn Jahre ab. Droht nun das gleiche Szenario mit Malaysia? Politikwissenschaftler Jong sagte "CNN", falls die nordkoreanische Beteiligung bewiesen würde, stehe dieses Szenario im Raum. "Denn das wäre eine Verletzung der malaysischen Souveränität."
Für Ostasien-Kenner Ballbach ist klar, dass "die bilateralen Beziehungen zwischen Nordkorea und Malaysia schwer beschädigt sind". Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen sei möglich, aber keineswegs sicher. Eine militärische Eskalation des Konflikts oder schwerwiegende Auswirkungen auf die Region hält der Politikwissenschaftler dagegen für unwahrscheinlich.
"Wie weit die Regierungen gehen werden, den Konflikt weiter anzuheizen, ist derzeit aber kaum abzusehen." China werde sehr bedacht sein, die diplomatischen Auswirkungen gering zu halten und zu einer Lösung beizutragen, glaubt Ballbach.
Die schwerwiegendste Folge des aktuellen Konflikts sieht der Experte darin, dass "ein weiterer Kommunikationskanal mit Nordkorea geschlossen wird": In Malaysia hatte es in der Vergangenheit wiederholt informelle Gespräche zwischen den Machthabern aus Pjöngjang sowie den USA und Japan gegeben. Dies wird vorerst nicht mehr möglich sein. Statt in eine grosse Eskalation könnte die aktuelle Krise einfach in ein grosses Schweigen münden.
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