Sie schreiben eine E-Mail oder eine SMS, posten etwas in einem sozialen Netzwerk - und plötzlich steht die Polizei vor Ihrer Tür. Kann Ihnen nicht passieren? Vielleicht doch. Denn falls der Staat gerade mithört, können selbst harmlose Äusserungen plötzlich verdächtig werden. Wir zeigen Ihnen, wie schnell Unschuldige zu Überwachungsopfern wurden.

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"Was hat das mit mir zu tun? Ich habe ja nichts zu verbergen", hört man häufig, wenn es um den NSA-Skandal geht. Trotz immer neuer Enthüllungen, wie die Geheimdienste Bürger vieler Nationen ausspähen, hält sich die Empörung in Deutschland in Grenzen. Doch was bedeutet es eigentlich, wenn Computer und Telefone aller Bürger überwacht werden? Sätze und Worte werden aus ihrem Zusammenhang gerissen. Ironie ist in Textform oft nur schwer deutbar, wie wohl jeder schon mal im Chat mit Freunden erfahren hat. Auch Daniel Bangert musste erleben, dass die NSA keinen Spass versteht.

Rasterfahndungen verstehen keine Ironie

"Das kann nicht wahr sein", dachte der Griesheimer, als die Polizei eines Morgens vor seiner Tür stand. Der 28-Jährige ahnte, warum er Besuch von den Beamten bekam: Er interessierte sich für den Whistleblower Edward Snowden und wollte sich deshalb das Gelände "Dagger Complex" des US-Militärs in seinem Heimatort einmal näher ansehen. Aus Jux lud er seine Freunde auf Facebook dazu ein. Den Eintrag las auch die NSA und schickte die deutsche Polizei bei Bangert vorbei. "Die Menschen, die sagen 'Das geht mich ja nichts an', merken an meiner Geschichte, welche Folgen ein Spasseintrag im Internet haben kann", sagt der gelernte Heizungsbauer.

Für seine launigen Kommentare bei Twitter erhielt Leigh Van Bryan 2012 sogar ein Einreiseverbot in die USA. Bei ihrer Ankunft in Los Angeles wurden der junge Ire und seine Freundin verhört, durchsucht und nach einer Nacht in der Zelle wieder nach Europa zurückgeschickt. Der Grund? Vor dem Urlaub hatte Van Bryan in dem sozialen Netzwerk geschrieben, er werde "Amerika zerstören" - in der englischen Jugendsprache auch ein Ausdruck für "Party machen". Die Heimatschutzbehörde der USA hatte keinen Sinn für seinen Humor.

Als Terroristen und Drogenschmuggler verdächtigt

Ein Opfer der amerikanischen Rasterfahndung wurde ebenfalls Saad Allami. Im Januar 2011 wurde der Kanadier von der Polizei festgenommen, sein Haus durchsucht und seine Arbeitskollegen verhört. Anlass für dieses Vorgehen war eine Nachricht, die Allami an seine Kollegen gesendet hatte. Als Motivation für eine Verkaufsmesse in New York schrieb der Vertriebsmanager, sie sollen die Konkurrenz "wegblasen" - auf französisch "exploser". Dieses Wort in Kombination mit der marokkanischen Abstammung von Allami reichte den Behörden offenbar aus, ihn unter Terrorverdacht zu stellen. Er erwies sich bald als haltlos.

Selbst Wissenschaftler, die sich mit kritischen Themen beschäftigen, geraten ins Visier der Behörden. Der Religionswissenschaftler Michael Blume fiel 2003 wegen einer E-Mail unter Islamismus-Verdacht. Der Verfassungsschutz und ein Journalist argwöhnten bei dem Filderstädter CDU-Stadtrat einen engen Kontakt mit extremistischen Kräften, weil er für seine Magisterarbeit auch ein Interview mit einem Islamisten führte. In seiner Arbeit hatte Blume ihn selbst so charakterisiert, ohne mit dessen Haltung zu sympathisieren. An den Vorwürfen war nichts dran, versicherten auch das Staats- und Innenministerium später in einer Stellungnahme.

Blume musste durch die Berichterstattung in den lokalen Medien sogar um seine berufliche Existenz fürchten, bekam Drohanrufe und wird bis heute auf rechten Internetseiten angegriffen. "Die Vorwürfe hören nie auf. Selbst wenn sich die Unschuld herausstellt, bleibt der Verdacht immer im Netz", sagt Blume. Der NSA-Skandal habe ihm die Folgen von Überwachung wieder in Erinnerung gerufen: "Es kann jeden treffen."

Als Mitfahrer unter Drogenverdacht

Auch wer nur zufällig oder weitläufig in Kontakt mit einem möglichen Kriminellen steht, kann unangenehme Folgen zu spüren bekommen. Die NSA darf zwei bis drei Kontaktebenen eines Verdächtigen überwachen, also auch Bekannte um mehrere Ecken. So landet man von einem einzigen Menschen schnell bei einer Million Ausgespähten, wie Bernd Neumann-Henneberg erfahren musste.

"Ich bin immer von dem ausgegangen, was unser Innenminister gesagt hat: Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten", sagt der 69-Jährige. Der Regensburger Kutscher wollte Anfang Oktober seine Kinder in Grossbritannien besuchen. Unmittelbar nachdem er mit der Fähre im englischen Harwich angekommen war, wurde Neumann-Henneberg von britischen Polizisten abgeführt und sein Gepäck durchwühlt. Ausserdem musste er eine Leibesvisitation bis in den Intimbereich über sich ergehen lassen. Erst nach einer halben Stunde erfuhr er, dass die Beamten ihn für einen Drogenkurier hielten. Offenbar hatten die Behörden seine E-Mails und sein Telefon überwacht, denn sie wussten von einer Fahrt, die Neumann-Henneberg ursprünglich mit dem Fahrer einer Mitfahrzentrale ausgemacht hatte. Der Fahrer, vermutlich ein Rauschgiftschmuggler, hatte ihm kurzfristig abgesagt. Als er seine tatsächliche Fahrt mit einer gestempelten Zugfahrkarte beweisen konnte, durfte der Kutscher gehen.

Im Hotel traf er auch noch eine Frau, die nach ihm auf der Fähre eingecheckt hatte. Sie wurde verdächtigt mit dem vermeintlichen Drogenkurier in Verbindung zu stehen und anderthalb Stunden lang verhört. Der Oberpfälzer ist über die Ereignisse immer noch empört: "Diesen massiven Angriff gegen den Rechtsstaat werde ich nicht akzeptieren." Er hat inzwischen einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Vorsichtiger ist er dadurch nicht geworden: "Ich muss mein Verhalten nicht ändern, sondern der Staat muss sein Verhalten ändern."

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