Donald Trump hat bereits angedeutet, dass er als US-Präsident Nato-Partner unter Umständen nicht mehr schützen will. Kann dann die Atommacht Frankreich einspringen? Doch dort sind die Machtverhältnisse nach den jüngsten Parlamentswahlen unklarer denn je. Was bedeutet das alles für Deutschlands Sicherheit?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Freckmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Deutschland hat selbst keine Atomwaffen und steht seit Jahrzehnten unter dem nuklearen Schutzschirm der USA. Doch möglicherweise wird bald wieder Donald Trump Präsident der USA sein. Und der erklärte zuletzt, dass sein Land europäische Partner gegen Russland nur schützen würde, wenn sie genug Geld bezahlen.

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Bald darauf meldete sich Frankreichs Präsident Macron zu Wort. Er wiederholte sein Angebot, dass Frankreich nuklear einen "grösseren Beitrag" zur europäischen Verteidigung leisten könne, wie der "Deutschlandfunk" meldete. Doch auch im Nachbarland ist die Zukunft ungewiss.

USA werden langfristig wohl ihr Engagement in Europa reduzieren

Wie also steht es um Deutschlands Sicherheit, wenn es um den nuklearen Schutzschirm geht? Ganz so bedrohlich sieht Karl-Heinz Kamp die aktuelle Lage nicht. Er ist Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Zudem war er Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. "Eine Präsidentschaft Trumps wäre natürlich eine Katastrophe, aber es wäre nicht das Ende der Nato und nicht das Ende der nuklearen Abschreckung", sagt Kamp im Gespräch mit unserer Redaktion.

Für einen Ausstieg der USA aus der Nato brauche es ohnehin die Zustimmung des US-Kongresses. Auch bei einer möglichen Entscheidung Trumps, europäische Staaten im Einzelfall nicht zu schützen, stünden dem potenziellen Angreifer immer noch britische und französische Atomwaffen gegenüber, erklärt Kamp. Zwar hätten beide Staaten weniger Waffen als die Amerikaner. Doch das reiche theoretisch trotzdem aus, um das Konzept der Abschreckung zu erfüllen.

Dennoch würde es für Deutschland zukünftig wohl kaum so weitergehen wie bisher. Denn in den USA wird seit Jahren darüber diskutiert, den Schwerpunkt der US-Aussenpolitik zu verlagern. So gibt es nach einer Analyse des Fachmagazins "Internationale Politik" innerhalb der Republikaner mehrere Flügel. Neben denen, die weiterhin eine dominante Rolle der USA in der Welt wollen, gibt es die, welche sich möglichst weitgehend aus der Weltpolitik zurückziehen wollen. Eine andere wichtige Gruppe bei den Republikanern will den Blick mehr in Richtung Pazifik richten.

Aber auch bei den Demokraten von Präsident Biden steht eine solche Pazifik-Verlagerung auf der Agenda. Bereits jetzt ist die Regierung Biden schon damit beschäftigt, ihren Einfluss etwa in Japan und auf den Philippinen geltend zu machen. Das könnte sich zulasten der Europäer auswirken.

Franzosen würden wohl keinen Schutzschirm aufspannen

Wie soll Deutschland nun darauf reagieren? Der Sicherheitsexperte Kamp rät allen europäischen Staaten, sich für den Fall vorzubereiten, dass die Amerikaner ihr Engagement in Europa reduzieren. Doch wie genau? Von gemeinsamen europäischen Atomwaffen hält der Experte gar nichts.

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Sollten dann die Einsatzentscheidungen in einer Brüsseler Nachtsitzung beschlossen werden?, fragte der Experte bereits Anfang des Jahres in einem Aufsatz der "DGAP". Ein rotierender Wechsel in der Entscheidungsgewalt sei auch nicht ratsam – denn dann komme irgendwann auch Viktor Orban zum Zuge und könnte über den "Roten Knopf" entscheiden.

Und Macrons Angebote für ein grösseres Gewicht von Frankreichs nuklearen Fähigkeiten in Europa? Auch hier mahnt Kamp, genau hinzuhören, was gemeint ist. Zwar habe es seit den 90er-Jahren immer wieder Angebote der Franzosen gegeben, mit Deutschland Kooperationen einzugehen.

Jedoch könne Deutschland von Frankreich kein "Sicherheitsversprechen" erwarten, wie die USA dieses einmal ausgesprochen hätten, als sie Deutschland unter ihren Schutzschirm aufnahmen. Dass also Frankreich ohne Weiteres seine Atomwaffen zur Verteidigung Deutschlands einsetze, damit sei nicht zu rechnen, betont Kamp.

Jens Stoltenberg

Nato will keine Atomwaffen in weiteren Ländern stationieren

Polens Präsident Andrzej Duda hatte zuletzt Interesse an einer Stationierung von US-Atomwaffen in seinem Land gezeigt. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg schloss das jedoch aus. (Photocredit: picture alliance/Anadolu/Dursun Aydemir)

Ziel sollten demnach erst einmal Gespräche mit Briten und Franzosen darüber sein, wie sich Deutschland an einer gemeinsamen Sicherheit beteiligen könne, erklärt der Sicherheitsexperte. Die Ausgangslage, dass sich dort etwas erreichen lasse, sei auch gar nicht so schlecht: Denn derzeit würde Russland permanent schwächer werden.

Die europäischen Nato-Staaten erhöhten ihre Verteidigungsetats und mit Schweden und Finnland seien zwei neue Staaten zur Nato hinzugekommen. "Damit verändern sich grundlegende Kräfteverhältnisse", erklärt der Sicherheitsexperte. Es stelle sich dann aber natürlich auch die Frage, was Deutschland und andere Länder für eine Zusammenarbeit zu zahlen bereit wären.

Experte: Den Fokus nicht auf Nuklearwaffen reduzieren

Derweil warnt der Sicherheitsexperte Moritz Kütt von der Universität Hamburg vor den Auswirkungen solcher Debatten auf andere Länder – und den Folgen für die Sicherheitslage insgesamt. Dass solche Diskussionen um atomare Schutzschirme auch viele andere Länder ermutigten, dasselbe für sich zu fordern, genau das sieht Kütt mit Sorge. "Dadurch könnte sich die Lage erst recht verschärfen", mahnt der Wissenschaftler.

Hinzu komme, dass ohnehin bereits jetzt rund 15 amerikanische Atomwaffen in Deutschland stationiert seien. Nach einer Zusammenstellung des Portals Statista liegen amerikanische Atomwaffen ausser in Deutschland innerhalb Europas noch in Belgien, den Niederlanden, Italien und der Türkei. Diese Praxis der Stationierung sei jedoch international sehr umstritten, betont Kütt, weil es sonst oft darum gehe, Kernwaffen zu reduzieren und sie nicht zusätzlich noch in anderen Ländern zu stationieren.

Die Tatsache, dass ausländische Atomwaffen in Deutschland lägen, bedeute natürlich, dass Deutschland dann auch eher ein Ziel von Angriffen sein könne. Es müsse in der Breite der Öffentlichkeit mehr ankommen, was es bedeute, von einem nuklearen Schutzschirm geschützt zu werden und daran mitzuwirken, fordert der Hamburger Sicherheitsexperte: "Also auch, welche Gefahren davon ausgehen."

Vielmehr, sagt Moritz Kütt, müsse Deutschland in seinen Sicherheitsdebatten auch das in den Fokus nehmen, was ohnehin schon bestehe. Denn sowohl der EU-Vertrag als auch der NATO-Vertrag sähen vor, dass andere Mitgliedstaaten einem angegriffenen Staat helfen müssten. Letztlich warnt Kütt davor, sich zu sehr auf das Thema Nukleare Waffen zu konzentrieren: "Ich bin der Meinung, dass die nukleare Ebene letztlich nicht die Lösung sein kann, weil die Zerstörungen bei atomaren Auseinandersetzungen immens sein würden – insbesondere in Europa."

Über die Gesprächspartner

  • Dr. Karl-Heinz Kamp ist Associate Fellow im Zentrum für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Er war Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin.
  • Dr. Moritz Kütt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Verwendete Quellen

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