Demos, Ausschreitungen, Hitlergruss: Die Vorfälle in Chemnitz beherrschen derzeit die Schlagzeilen. Die Eskalationen in Sachsen könnten sich auf den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland auswirken, schätzt Wirtschaftswissenschaftler Thomas Köllen.
Seit Tagen kommt Chemnitz nicht aus den Schlagzeilen. Videoaufnahmen zeigen Rechtsextreme, die "Töten!" skandieren und den Hitlergruss zeigen. Wie sehr schaden die Randale dem Image der Region?
Thomas Köllen: Solche Bilder schaden auf jeden Fall. Allerdings haftet allen fünf neuen Bundesländern ja tendenziell das Image an, recht aktive und gut organisierte rechte Szenen zu haben.
In letzter Zeit war vor allem Sachsen im Fokus. Auch wenn dieser rechte Rand bei weitem nicht die Mehrheit der Gesellschaft darstellt, so schadet er dem Ansehen der Region doch sehr extrem.
Welche Folgen haben die Eskalationen für die dort ansässigen Unternehmen?
Wenn sich diese Bilder verfestigen, dann wird es für die Unternehmen natürlich schwieriger, ihre Beschäftigte ans Unternehmen zu binden beziehungsweise neue Arbeitnehmer zu gewinnen. Das gilt für deutsche und für ausländische MitarbeiterInnen.
In Deutschland hat man es gerade relativ leicht, einen Arbeitsplatz zu finden - vor allem, wenn man gut ausgebildet ist. Wenn man zusätzlich noch sehr mobil ist, dann spielen Aspekte wie Lebens- und Wohnqualität natürlich eine grössere Rolle bei der Wahl des Arbeitsplatzes beziehungsweise des Arbeitsortes.
Einen Ort, mit dem ich solche Bilder verbinde, wie sie gerade in Chemnitz entstanden sind, wird man dann natürlich weniger in Betracht ziehen.
Sollten Unternehmen wie VW, das einer der grössten Arbeitgeber in der Region ist, politisch Stellung beziehen?
Der Industrieverein Sachsen hat das mit der Initiative "Chemnitz ist weder grau noch braun" ja schon getan. Aber neben der Aussendarstellung und Imagekampagnen ist es wichtig, nicht-deutschen genauso wie deutschen ArbeitnehmerInnen die gleiche Wertschätzung auch nach innen entgegenzubringen, beispielsweise durch Diversity-Initiativen.
Es muss auf allen Ebenen weiter daran gearbeitet werden, dass das gewünschte Image eben auch Realität werden und bleiben kann.
Wenn sich Firmen weniger in Sachsen engagieren oder die Gewinnung ausländischer Fachkräfte in der Region noch schwieriger wird, bahnt sich ein Teufelskreis an: Könnte Sachsen wirtschaftlich der grosse Verlierer der Proteste werden?
Ich würde das nicht an Chemnitz festmachen. Sachsen war in den vergangenen Jahren schon öfter im Fokus der Aufmerksamkeit, wenn es um rechte politische Aktivitäten ging.
Aber ja: Wenn es hier nicht gelingt, eine Entwicklung anzustossen hin zu einem offeneren und integrativeren Image, kann das wirtschaftliche Konsequenzen haben. Das gilt gerade auch im Hinblick auf Dresdens Ambitionen, sich als High-Tech Standort international zu etablieren.
DIHK-Präsident Eric Schweitzer mahnt im Gespräch mit dem "Handelsblatt", Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus und Selbstjustiz schadeten auch dem Ansehen des gesamten Wirtschaftsstandorts Deutschland. Wie schätzen Sie die Auswirkungen ein?
Generell stimmt das schon. Um ein genaues Bild nachzeichnen zu können, was genau in Chemnitz passiert ist, braucht es wohl noch etwas Zeit. Auch, um das dann zu bewerten. Leider sind Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit derzeit europaweit zu beobachtende Phänomene.
Rund 20 Unternehmen aus Chemnitz haben für die Familie des getöteten 35-jährigen Deutschen Geld gesammelt. In den kommenden Tagen solle der Familie eine Spende von 20.000 Euro übergeben werden. Wie ist die Reaktion dieser Firmen zu verstehen?
Es sind mittlerweile ja deutlich mehr Einrichtungen, nicht nur Unternehmen. Eingesammelt wurden dort über 100.000 Euro, von den 20.000 Euro für die Familie des Opfer vorgesehen sind.
Die restlichen 80.000 Euro sind für die "Chemnitz ist weder grau noch braun"-Kampagne und, wie es dort genannt wird, "demokratiefördernde Projekte". Solche Akzente zu setzen in Richtung eines integrativeren, alle mitnehmenden Miteinanders, finde ich sehr positiv. Dazu gehört eben auch die Wertschätzung des Opfers.
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