Der neue russische Verteidigungsminister ist alles andere als ein Militär. Deshalb überrascht die Ernennung des Wirtschaftsexperten Andrej Beloussow angesichts der andauernden Offensive gegen die Ukraine. Dass Wladimir Putins Wahl ausgerechnet auf ihn fiel, sagt jedoch viel über die Prioritäten des Präsidenten: Die Umstellung auf eine durch die Rüstungsindustrie angetriebene Wirtschaft.

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Der weisshaarige Ökonom Beloussow, Verfechter einer staatlich gelenkten Wirtschaft, war bislang stellvertretender Regierungschef. "Er ist eine Vertrauensperson für Putin, insbesondere wenn es um wirtschaftliche Fragen geht", kommentiert der als militärnah geltende russische Telegram-Kanal Rybar die Personalie.

Aufgrund seines Profils wird Beloussow vermutlich nicht das letzte Wort bei militärischen Entscheidungen haben. Aber der 65-Jährige wird über den riesigen Verteidigungshaushalt bestimmen, die Investitionen in die Rüstungsindustrie und die Versorgung von Veteranen und Verwundeten. "Die Ernennung Beloussows bedeutet den Beginn einer grossen Revision und Umstrukturierung aller Finanzmodelle", schreibt Rybar.

In seiner Rede vor einem Ausschuss des russischen Parlaments am Montag war der Ukraine-Konflikt kein Thema. Auf die Fragen der Abgeordneten versprach Beloussow, die "übermässige Bürokratie" im Verteidigungsministerium abzubauen und sich um Wohnungen für Veteranen zu kümmern.

Auch mit Korruption in seinem Haus wird Beloussow sich beschäftigen müssen: Ende April war ein stellvertretender Minister wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit festgenommen worden. Am Dienstag teilte das russische Ermittlungskomitee mit, den im Verteidigungsministerium für das Personal zuständigen General Juri Kusnezow wegen ähnlicher Anschuldigungen festgenommen zu haben.

"Es ist sehr wichtig, die Wirtschaft des Sicherheitsapparats an die Wirtschaft des Landes anzupassen", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Sonntagabend, als die Nachfolge für den entlassenen Verteidigungsminister Sergej Schoigu bekannt gegeben wurde. Beloussow sei "offen für Innovationen", um den Sieg auf dem Schlachtfeld zu sichern.

"Heute ist die stärkste Person diejenige, die Krieg und Wirtschaft auf die für das Land schonendste Weise verbinden kann", schrieb der kremlnahe russische Kriegsberichterstatter Alexander Sladkow, dem fast eine Million Menschen auf Telegram folgen. Demnach scheint Beloussow für Putin in der momentanen Situation der ideale Mann.

Beloussow ist der Sohn eines angesehenen sowjetischen Ökonomen; 1981 machte er selbst seinen Abschluss an der Staatlichen Universität Moskau. Seine Karriere begann er am Institut für Wirtschaftsprognosen der Russischen Akademie der Wissenschaften. Auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ging Beloussows Aufstieg weiter. Zwischen 2000 und 2006 engagierten ihn Regierungschefs als unabhängigen Berater, dann wurde er zum stellvertretenden Wirtschaftsminister ernannt und blieb bis 2008 auf diesem Posten.

Als Putin in jenem Jahr Ministerpräsident wurde, leitete Beloussow den Beraterstab der Regierung für Wirtschafts- und Finanzfragen. Von 2012 bis 2013 stieg er zum Minister für wirtschaftliche Entwicklung auf, anschliessend fungierte Beloussow bis Anfang 2020 als Putins Wirtschaftsberater.

Die Corona-Pandemie und die ersten beiden Jahre des Ukraine-Konflikts erlebte er als stellvertretender Regierungschef und kümmerte sich unter anderem um Unterstützung für russische Unternehmen. Eines von Beloussows grossen Themen auf diesem Posten war die "technologische Souveränität" Russlands, ein gravierendes Problem aufgrund der westlichen Strafmassnahmen. Beloussow selbst steht auch auf den Sanktionslisten der USA und der EU – und das nicht erst, seit Putin ihn zum neuen Verteidigungsminister berief.  © AFP

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